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Kein Kampf der Kulturen

Hintergrund. Zerfallener Staat: Der Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik ist nicht in erster Linie auf ethnische und religiöse Konflikte zurückzuführen. Entscheidend sind die ökonomischen Interessen der alten Kolonialmacht Frankreich

Von Werner Ruf *

Wenig erfahren wir aus den Medien über das, was in der Zentralafrikanischen Republik geschieht (ZAR), außer daß immer mehr Soldaten in das Bürgerkriegsland geschickt werden. Damit wird der Eindruck erweckt, als ob nach der französischen Intervention und der Stationierung der schließlich vom UN-Sicherheitsrat mandatierten Truppen der MISMA (Mission der Afrikanischen Union in Zentralafrika) und vor allem jener Frankreichs wieder relative Ruhe und Sicherheit eingekehrt seien. Dies ist jedoch mitnichten der Fall, und die Wahl der Interimspräsidentin Catherine Samba-Panza am 20. Januar 2014 hat auch nicht einmal in Ansätzen zur Herstellung funktionierender staatlicher Strukturen geführt.

Wenn es nicht schon längst durch die Einsätze in Afghanistan, Irak, Libyen und in anderen Ländern erwiesen wäre, daß Militär untauglich ist zur »Befriedung«, dann lieferte die ZAR in grausiger Weise einen weiteren Beleg: Der Korrespondent der Agentur Reuters berichtete am 5. Februar aus der Hauptstadt Bangui, wie Angehörige der prochristlichen Milizen der »Anti-Balaka« einen Mann angreifen, der der Zugehörigkeit zum muslimisch dominierten Milizenbündnis »Séléka« beschuldigt wird. Ein französischer Soldat steht in Sichtweite, als der Mann mit Ziegelsteinen zusammengeschlagen wird. Dann kommt eine Gruppe von burundischen »Friedenssoldaten«, stellt sich schützend um den am Boden Liegenden. Der Mob wird aggressiver – die Soldaten verschwinden. Der Mann wird mit Ziegelsteinen und Messern ermordet, seine Leiche durch die Straßen gezerrt und schließlich mit Benzin übergossen und verbrannt. Dies geschah unweit des Präsidentenpalastes.

Der Weg ins Chaos

1960 wurde die Zentralafrikanische Republik, zusammen mit 15 weiteren ehemaligen Kolonien Frankreichs, »unabhängig«. Man darf sich fragen, ob diese Unabhängigkeit je mehr bedeutete als die durch Frankreich vorgenommene Inthronisation eines Präsidenten mit schwarzer Haut und das Hissen einer Nationalfahne: Wie alle Länder des ehemaligen, französisch beherrschten West- bzw. Zentralafrika ist diese Republik reich an Rohstoffen und zählt zugleich, wie die Nachbarländer auch, zu den zwanzig ärmsten der Welt. Zentralafrika verfügt über Gold, Diamanten, Tropenhölzer – und Uran. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 350 US-Dollar pro Jahr, und noch immer trägt die Landwirtschaft mit Maniok, Bananen, Mais, Kaffee und Tabak mit 55 Prozent zum Bruttosozialprodukt bei. Im ganzen Land gibt es kaum Straßen, die befahrbar wären (nur drei Prozent des Netzes sind asphaltiert, der Rest ist vor allem in der Regenzeit unbenutzbar). Darüber hinaus existieren lediglich einige kleine Flugplätze.

Wie in vielen Staaten der Region spielte das Militär auch in der Vergangenheit eine entscheidende Rolle, vor allem als Akteur verschiedener Staatsstreiche, an denen Frankreich stets teils indirekt, teils direkt beteiligt war. Und schon immer hatte – auch innerhalb der Armee – die ethnische Zugehörigkeit eine wichtige Rolle gespielt. Wegen nicht bezahlten Soldes, wegen der Bevorzugung hoher Offiziere aufgrund ihrer Stammeszugehörigkeit (abhängig von der regionalen Herkunft der jeweiligen Präsidenten) löste ein Staatsstreich den anderen ab. Teile der ehemaligen Aufständischen wurden zwecks Ruhigstellung in die Armee aufgenommen, was allerdings deren Geschlossenheit in Frage stellte. Deshalb legten sich die verschiedenen Machthaber eigene Milizen zu, deren Loyalität auf ihrer ethnischen Zugehörigkeit basierte. Die Übernahme der politischen Macht wurde so zur Pfründe der jeweils agierenden Präsidenten und ihrer Ethnien. Eine wirkliche Integration der Bürger in ihren Staat fand nicht statt, vor allem im Norden gab es über Jahrzehnte kaum funktionierende öffentliche Strukturen. De facto war die ZAR spätestens seit etwa 2000 ein zerfallener Staat.

So nimmt es nicht Wunder, daß die Aufstände gegen die Zentralregierung meist vom Norden ausgingen. Dort ist die Mehrheit der Bevölkerung muslimischen Glaubens. Spätestens 2004 begann der bis heute andauernde Krieg einer aus dem Norden stammenden Allianz, die sich den Namen Séléka gab, unter Führung von Michel Djotodia. Ein von Staaten der Afrikanischen Union vermitteltes »Friedensabkommen« mit dem damals amtierenden Präsidenten François Boizizé hielt nur kurze Zeit, die Rebellen marschierten auf die Hauptstadt. Einen dringenden Hilferuf ließ Frankreich – ganz im Gegensatz zu seinem Verhalten in Mali – unbeantwortet. Im März 2013 floh Boizizé, die Macht übernahm mit Hilfe der Séléka-Rebellen kurzfristig Michel Djotodia, der dann allerdings das Milizenbündnis formal auflöste. Unter dem Druck der Nachbarstaaten, vor allem des mit Frankreich eng verbundenen Tschads, gab er Anfang Januar 2014 sein Amt auf und ging ins Exil.

Die Truppen der Séléka-Rebellen bestanden jedoch weiter. Sie errichteten eine terroristische Willkürherrschaft. Mord, Vergewaltigung, Plünderung waren an der Tagesordnung. Außerdem rekrutierten die bewaffneten Einheiten Kindersoldaten. Gegen diese Banden, die größtenteils aus dem muslimischen Norden und den angrenzenden muslimischen Gebieten des Tschads und des Sudans stammten, formierte sich Widerstand aus den anderen Bevölkerungsteilen, die in den Medien meist als Christen bezeichnet werden. Die Zuschreibung ist schon deshalb mehr als unscharf, weil viele Einwohner im Süden animistischen, also vorrationalen Welterklärungsmodellen anhängen, wonach die Natur beseelt ist, und die Übergänge zwischen Christen und Animisten fließend sind. Die auf diese Weise entstandenen Milizen nannten sich Anti-Balaka. »Balaka« bedeutet auf Sango, neben dem Französischen Amtssprache der Republik, »Machete«. Der Begriff könnte auch eine phonetische Zusammenziehung aus dem französischen »balle« (Kugel) und dem Namen für die Maschinenpistole AK 47 (Kalaschnikow) sein. Amulette sollen die Angehörigen dieser Milizen unverwundbar machen, was dem Begriff »Anti-Balaka« einen anderen Sinn gibt: Schutz vor Kugeln.

Die Bezeichnung dieser einander bekämpfenden Gruppen suggeriert, bei dem Geschehen handele es sich um einen religiösen Konflikt, ein Klischee, das seit der Erfindung des »Kampfes der Kulturen« durch den 2008 verstorbenen Politikwissenschaftler und Berater des US-Außenministeriums Samuel P. Huntington gehegt und gepflegt wird. Die Anti-Balaka betreiben jedoch weniger den Kampf gegen die Séléka-Banden als vielmehr die Verfolgung und Ermordung von Muslimen sowie die Plünderung von deren Eigentum. Inzwischen hat der Konflikt internationale Dimensionen angenommen: Tausende Menschen wurden getötet. Fast eine Million Zentralafrikaner, etwa ein Fünftel der Bevölkerung, mußten seit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen aus ihren Dörfern und Städten fliehen. Davon sind 600000 Menschen Binnenflüchtlinge, also Männer, Frauen und Kinder, die aus einem Landesteil in einen anderen flohen. Die übrigen 400000 flohen in Nachbarstaaten. Darunter auch Kombattanten, teils »Christen«, teils Séléka-Anhänger, die nach Kamerun und die DR Kongo zogen, wo sie sich mit Waffengewalt aneignen, was sie zum Überleben benötigen bzw. was sie für wertvoll halten.

Das System der Françafrique

Die tatsächliche Herrschaft im Lande wird über ein System aus militärischer Kontrolle, Korruption, Kriminalität und Ausbeutung ausgeübt, das unter dem Namen Françafrique, eine Neubildung aus France und Afrique, traurige Berühmtheit erlangt hat, weshalb es kein Zufall sein dürfte, daß dieser Begriff – phonetisch korrekt – auch als France à Fric (Frankreich des Geldes) bekannt wurde. Trotz der Entkolonialisierung der 60er Jahre wollte die »Grande Nation« sich nicht damit abfinden, ihre Einflußsphären aufzugeben. Der Zugang zu Energieressourcen im ehemaligen kolonialen Machtbereich, der beispielhaft für die französischen Interessen in Afrika ist, galt als Garant für die energiepolitische Unabhängigkeit und somit die machtpolitische Stärke Frankreichs auf internationaler Ebene.

Zu diesem System der Françafrique gehören Militärbasen im Tschad, an der Côte d’Ivoire, im Senegal, in Gabun und Dschibuti, die bereits in den Unabhängigkeitsprotokollen festgeschrieben worden waren. Sie waren Ausgangsbasis für mehr als 50 französische Militärinterventionen in den vergangenen 50 Jahren – von den verdeckten Aktionen zum Sturz mißliebiger Regimes ganz abgesehen. Teil dieses Systems ist aber auch ein Geflecht aus Korruption und Kriminalität, das vor allem von den großen Konzernen geknüpft und alimentiert wird und das die Spitzen des französischen Staates erfaßt.

Hierfür liefert auch die Zentralafrikanische Republik Anschauungsmaterial: Nachdem der erste Staatschef Barthélemy Boganda (vor der Unabhängigkeit zum Premierminister ernannt) bei einem mysteriösen Flugzeugunfall ums Leben gekommen war, installierte Frankreich David Dacko. Dieser wurde von seinem Cousin Jean-Bedel Bokassa 1965 mit Hilfe französischer Fremdenlegionäre gestürzt. Bokassa hatte Frankreich in dessen (Kolonial)kriegen (Zweiter Weltkrieg, Indochina, Algerien) treu gedient. Er errichtete ein Schreckensregime im Lande, rief schließlich die Monarchie aus und ließ sich am 4. Dezember 1976 feierlich zum »Kaiser Bokassa I. des zentralafrikanischen Kaiserreichs« krönen.

Das System der Françafrique wurde zu allen Zeiten von der französischen Politik protegiert: Legendär sind die Jagdausflüge des französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing ins Kaiserreich, wie auch die Säckchen voller Diamanten, die Bokassa dem französischen Staatsoberhaupt schenkte. Noch immer geistern Gerüchte durch die Literatur, wonach sich dieser damit bedankte, daß er Bokassa jene Kühltruhen schenkte, in denen letzterer seine ermordeten Gegner aufbewahrte, um sie bei Gelegenheit zu verspeisen.

Doch 1979 verlor der Kaiser die Gunst seiner Förderer: Mit Hilfe französischer Truppen wurde sein Vorgänger und Cousin David Dacko erneut auf den Präsidentenstuhl gesetzt und die Republik wieder eingeführt. Bokassa selbst ging ins – französische – Exil, wo er in einem relativ bescheidenen Schloß an der Loire residierte. Schließlich kehrte er freiwillig nach Zentralafrika zurück, wo er wegen Massenmordes, Folter und Kannibalismus zum Tode verurteilt, später aber freigelassen wurde. Nach dieser Episode folgten die Putsche, stets unter französischer Beteiligung, immer schneller aufeinander. Das wachsende Elend führte zu den bereits erwähnten Aufständen im Norden. Daran beteiligt waren auch die während der Krise in der an die ZAR angrenzenden westsudanesischen Provinz Dafur entstandenen Banden, wo sich ab 2003 Rebellen gegen die Zentralmacht in der Hauptstadt Khartum erhoben. Direkt und indirekt beteiligt am Konflikt war auch Idriss Déby, Präsident des Tschad von Frankreichs Gnaden, da im Norden der ZAR auch Gruppen agierten, die von dort aus oder im Tschad selbst gegen Déby kämpften.

Über Wohl und Wehe entscheiden im ehemaligen französischen Afrika vor allem die großen halbstaatlichen französischen Konzerne Total (Erdöl und Erdgas) und Areva (Uran). Während Total monopolistisch die Erdölförderung in Gabun, Côte d’Ivoire, Tschad usw. kontrolliert, liefert Areva das Uran für die 58 französischen Nuklearanlagen. Mit Abstand wichtigster Produktionsstandort ist Niger, das allerdings infolge der Entwicklungen in Libyen und Mali und der dortigen Militärintervention durch die »Grande Nation« ebenfalls zunehmend instabiler wird: Bei einem terroristischen Angriff auf die Uranminen in Agadez und Arlit starben am 22. Mai 2013 23 Menschen. Angesichts solcher Gefährdungen erscheint es wohl dringend, die Uranvorkommen in der ZAR unter Kontrolle zu halten. Auch für die BRD fallen vom Reichtum Arevas Krümel ab: Der Konzern ist mit Siemens Nuclear verschachtelt und u. a. Hauptsponsor des 1. FC Nürnberg.

Das Fundament, auf dem Françafrique ruht, wurde schon 1945 mit dem Abkommen von Bretton Woods gegossen: Damals verankerte Frankreich in den Verträgen die »Afrikanische Finanzgemeinschaft« (Communauté Financière d’Afrique), mit der eine spezielle Währung eingeführt wurde, die bis heute in 16 Ländern des Kontinents – darunter der ZAR – Gültigkeit hat: Der »Franc CFA« wird von der französischen Staatsbank garantiert, der Kapitaltransfer zwischen der CFA-Zone und Frankreich ist völlig frei. Damit hat Frankreich die Kontrolle über den Geldverkehr dieser Staaten und ermöglicht den französischen Konzernen wie den korrupten Potentaten die Verschiebung ihrer Gewinne und der kriminell generierten Vermögen. Investitionen unterbleiben zugunsten einer konsequenten Ausplünderung: Die Finanztransfers aus der CFA-Zone nach Frankreich übersteigen die Auslandsinvestitionen in diesen Währungsraum jährlich um das Zwei- bis Vierfache. Kein Geringerer als Omar Bongo, 41 Jahre lang Staatspräsident von Gabun, einem der wichtigsten Erdölförderländer Westafrikas, hat das System der Françafrique, in dem er selbst immer eine zentrale Rolle innehatte, treffend beschrieben: »Afrika ohne Frankreich, das ist wie ein Auto ohne Fahrer, Frankreich ohne Afrika, das ist wie ein Auto ohne Sprit.«

Erodierendes Machtmonopol

Der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy hatte während seiner Amtszeit zwischen 2007 und 2012 den Versuch gemacht, die französische Militärpräsenz in Afrika merklich zu reduzieren, um mit den gesparten Geldern eine Militärbasis in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufzubauen und so Frankreich als Global Player im Zentrum der Weltenergiereserven zu etablieren. Dies hatte zu großem Unmut in der französischen Armee geführt. Ranghohe Offiziere und Generalstäbler hatten (ohne ihre Namen zu nennen) in der konservativen Zeitung Le Figaro einen offenen Protestbrief lanciert, der den »Rückzug« Frankreichs aus den angestammten Positionen in Afrika aufs Heftigste kritisierte. Die Militärpräsenz der République Française auf dem Kontinent blieb unverändert.

Die erste Herausforderung der Dominanz war der Bürgerkrieg in Côte d’Ivoire 2002–2007, wo sich Präsident Laurent Gbagbo den Zorn der Françafrique zugezogen hatte, als er mit US-amerikanischen Konzernen über die Ausbeutung der Ölressourcen im Golf von Guinea verhandelte. In einem Konflikt zwischen dem (muslimischen) Norden und dem (christlich-animistischen) Süden unterstützte Frankreich daraufhin die Rebellen des Nordens. Gbagbo wurde schließlich gestürzt, die Macht übernahm der von Frankreich protegierte Alassane Ouattara. Der alte Machthaber wurde dem Internationalen Strafgerichtshof überstellt. Frankreich besaß (und besitzt) in Côte d’Ivoire eine Basis und war von Beginn des Konflikts an (2002) militärisch präsent und beteiligt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß nicht nur die ECOWAS (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) und die Afrikanische Union vermittelnd in den Konflikt eingeschaltet wurden, sondern daß der UN-Sicherheitsrat sich mit den Kämpfen in der Côte d’Ivoire befaßte und eine Militärmission (UNOCI) beschloß, für die die Truppen aus den afrikanischen Staaten zusammengestellt wurden. In verschiedenen Resolutionen legte der Sicherheitsrat die enge Zusammenarbeit zwischen der ­UNOCI (Opera­tion der Vereinten Nationen in Côte d’Ivoire) und der kurz nach Beginn des Bürgerkriegs ins Leben gerufenen französischen Militäropera­tion »Licorne« (dt: Einhorn) fest: Paris forderte erstmalig internationale Unterstützung an und vermochte es aber, die UN-mandatierten Truppen zur Durchsetzung seiner Interessen einzubinden. Dies deutet darauf hin, daß Frankreich die Fähigkeit verloren zu haben scheint, seine Politik des Regime change in Afrika unilateral durchzusetzen.

So versucht die alte Kolonialmacht nun, die Legitimität ihrer Einsätze durch die UNO absegnen und militärisch unterfüttern zu lassen. Idealer Kooperationspartner ist hierfür die EU, wie sich beim späteren Einsatz (ab 2008) der EUFOR Tschad/ZAR (European Union Force: zeitlich befristete multinationale Militärverbände) zeigte, der die Stabilisierung des Frankreich-freundlichen Diktators Déby zum Ziel hatte. Paris gelang es damit, die Europäer – zuletzt in Mali – auch militärisch für seine Ziele in Afrika zu mobilisieren und die Kosten der Einsätze ebenfalls auf andere Schultern zu verteilen. Der Élysée-Palast hatte es innerhalb der EU immer vermocht, die Afrika-Politik der Union quasi allein zu bestimmen. Nun soll in Zukunft im militärischen Bereich wohl grundsätzlich ein Burden-sharing (Lastenteilung) praktiziert werden. Allerdings: Frankreichs Alleinzuständigkeit für seine ehemaligen afrikanischen Kolonien dürfte damit zu Ende gehen, denn die anderen Truppensteller werden ein Mitspracherecht verlangen.

Grundlage für Militärinterventionen der EU sind die im Lissabon-Vertrag festgeschriebene Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (EVSP). Zu ihrer Umsetzung hatte Brüssel schon 2003 die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS, 2003) beschlossen, in der es heißt: »Wir müssen fähig sein zu handeln, bevor Länder um uns in eine schwierige Lage kommen (…) bevor humanitäre Notlagen entstehen. Präventives Engagement kann schwierigere Probleme in der Zukunft vermeiden.« Diese Zielformulierung steht in eklatantem Widerspruch zu Artikel 2.4 der Charta der Vereinten Nationen (Gewaltverbot), aber das scheint den Träger des Friedensnobelpreises EU nicht zu kümmern. Der Weltordnungsanspruch der Union steht seither auf der internationalen Tagesordnung.

Aufstieg Deutschlands

Folgerichtig fordert nun die Bundesrepublik Deutschland, die bereits ökonomisch und finanzpolitisch die Führung Europas übernommen hat, auch im militärischen Bereich ein Mitspracherecht. Dies zeigten die Reden der politisch Verantwortlichen auf der Münchner »Sicherheitskonferenz«, allen voran die des Bundespräsidenten: »Schritt um Schritt wird die Bundesrepublik von einem Nutznießer zu einem Garanten internationaler Sicherheit und Ordnung.« Die gewachsenen Ambitionen der BRD in dieser Weltgegend lassen sich in den unlängst von der Bundesregierung veröffentlichten »Afrikapolitischen Leitlinien« nachlesen.

Die steigende Anzahl der Militäreinsätze Deutschlands gerade in Afrika, die sich meist noch auf Logistik und Ausbildung beschränken, läßt darauf schließen, daß Berlin auch mit »seinen« Soldaten den Gang der Welt mitbestimmen will, nach dem Motto: Nur wer mitschießt, darf mitreden. Dies ist es, was sich hinter der vollmundigen Formel »mehr Verantwortung tragen« verbirgt. Dabei kann Deutschland seiner alten Maxime problemlos treu bleiben, daß es nur »im Bündnis« handelt. Die Westalliierten verfolgten mit der Aufnahme der BRD in die NATO auch das Ziel, sie unter Kontrolle zu halten. Aber: Deutschlands wachsende Bedeutung in solchen Militäreinsätzen lockert auch die Fesseln, die ihm aus seiner Mitgliedschaft in NATO und WEU ursprünglich angelegt worden waren.

Zur Erinnerung: Die Grundlage der EU-Militarisierung ist jener Brüsseler Pakt von 1948, in dem sich Frankreich, Großbritannien und die Benelux-Staaten zusammengeschlossen hatten, um im Angesicht der Wiedererstehung eines restaurativen deutschen Staates (Gründung der BRD 1949) präventiv ein Bündnis gegen das Aufleben des deutschen Militarismus zu schaffen. Durch den Beitritt zur NATO (1954) schien dieses Bündnis obsolet geworden zu sein. Es dümpelte fortan dahin als Westeuropäische Union (WEU) und erhielt dann durch den Maastricht-Vertrag neues Leben, das mit GASP, EVSP und Europäischer Sicherheitsstrategie konkretisiert wurde. Die bisherige relative Zurückhaltung Berlins dürfte mehr dem noch immer nicht erloschenen Mißtrauen der Bündnispartner als jener selbst auferlegten militärischen Zurückhaltung geschuldet sein, die Gauck auf der »Sicherheitskonferenz« in München geißelte. Ziel der »Großen Koalition« scheint es nun, diese Zurückhaltung zu beenden.

Der Staat in diesem Land ist schon lange zerfallen, die Sicherheit von Menschen seit Jahrzehnten nicht gewährleistet. Chaos und Gewalt sind Folge jahrzehntelanger Ausbeutung, der Herrschaft von Frankreich gestützter korrupter diktatorischer Regimes und extremer Armut. Die ZAR ist auf der internationalen Agenda nach oben gerückt, nachdem die gesamte Sahelzone in der Folge des Krieges in Libyen zu einem rechtsfreien, gewaltdominierten Raum geworden ist. Die Sicherung der Ressourcen der ZAR und vor allem der dortigen Uranvorkommen haben für die europäischen Geostrategen dadurch höchste Priorität erhalten.

Allen überlicherweise vorgetragenen Deutungen zum Trotz: In der ZAR handelt es sich – wieder einmal – nicht um einen religiösen Konflikt, sondern um eine Ökonomie der Gewalt, um Bandenkriege, deren bestimmende Momente Raub, Plünderung, Vergewaltigung und Kinderversklavung heißen. Dazu bedarf es der Konstruktion von Identität und Zusammenhalt, um sich dann ethnischer und religiöser Deutungsmuster zu bedienen. Die Deutung von bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Mustern des »Kampfes der Kulturen« dient dazu, die wahren Ursachen des Umbruchs struktureller in extreme offene Gewalt zu vernebeln – und die dahinter liegenden ökonomischen Interessen zu verschleiern.

* Werner Ruf ist emeritierter Professor für Internationale Politik an der Universität Kassel.

Aus: junge Welt, Mittwoch 28. Mai 2014



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