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Wirtschaft am Boden, der Hunger wächst

Über den Zustand der sozialen und wirtschaftlichen Lage in der Zentralafrikanischen Republik

Von Arif Husain, Bangui *

Bei meiner Reise legte ich einen besonderen Fokus auf den Nahrungsmittelsektor und die Frage, wo wir im Hinblick auf die humanitäre Hilfe stehen. Ich war schockiert darüber, was ich sah und wie tief die Krise greift. Die Wirtschaft der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) steht vor dem Abgrund und der Agrarsektor, der das ökonomische Rückgrat des Landes bildet, ist zerstört. Allein 2013 sank die Nahrungsmittelproduktion um mehr als ein Drittel; die Produktion von Agrarexportgütern um fast die Hälfte und der Viehbestand um mehr als die Hälfte. Arbeitslosigkeit ist sowohl im formellen als auch im informellen Sektor weit verbreitet – rund drei Viertel aller Erwerbsfähigen sind betroffen.

Die meisten Staatsbediensteten haben im letzten halben Jahr keinen Lohn erhalten, staatliche Pensionäre seit mehr als einem Jahr keine Ruhestandsgelder mehr. Es ist kaum Liquidität in der Wirtschaft, weil die öffentlichen Kassen im Kern leer sind und das Eintreiben von Steuern nicht funktioniert. Bereits 2013 sanken die Exporte um 60 Prozent und die Importe um mehr als ein Viertel im Vergleich zu 2012.

Der Handel und der Transportsektor liegen nahezu brach, da die muslimische Gemeinschaft diese Sektoren größtenteils betrieben hat und nun vertrieben ist. Mangel an Transportkapazitäten, die Unsicherheit und Wegezölle behindern den Handel mit den Nachbarstaaten. Dasselbe gilt im Inland für den Transport von lokalen Waren aus Überschussgebieten in Mangelgegenden wie Bangui.

Darüber hinaus ist der Großhandel für Nahrungsmittel in der Hauptstadt Bangui nahezu kollabiert und hat kaum noch Waren. Mehr als 70 Prozent der Händler mussten aus der Stadt fliehen und die derzeitigen Bestände liegen bei zehn bis 20 Prozent des Üblichen.

Die Ernährungslage in der ZAR kann nur als bedrohlich beschrieben werden: Die Hungersaison vor der nächsten Ernte hat zwei Monate früher begonnen als üblich und es wird erwartet, dass sie sich in den kommenden Monaten noch erheblich verschlimmert.

Die üblichen Überlebensstrategien – einen Kredit aufzunehmen, weniger zu essen und Besitz zu verkaufen – waren im vergangenen Jahr eine letzte Zuflucht für viele Leute und sind nun erschöpft. Schon vor der Krise war in der ZAR die Lebenserwartung eine der niedrigsten in der Welt. So verschärft diese Krise eine schon zuvor schlechte Ausgangslage.

Offensichtlich ist, dass es nicht mehr nur um Binnenvertriebene und Flüchtlinge geht. Die allgemeine Bevölkerung ist betroffen – direkt oder indirekt. Das Desaster greift um sich und wird länger dauern. Noch beunruhigender ist, dass sich die Landwirtschaft diese Saison mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weiter verschlechtern wird, wenn sich die Sicherheitslage nicht substanziell und sehr schnell bessert. Viele Bauern haben ihre landwirtschaftlichen Produktionsmittel und Geräte verloren und brauchen jetzt dringend Ersatz, um zu säen und zu pflanzen.

Unterm Strich steht, dass das UN Welternährungsprogramm weder in der Zentralafrikanischen Republik noch in der Region genug finanzielle Mittel hat, ausreichend Nahrung zu kaufen und zu lagern, bevor die Regenzeit beginnt. Wir müssen die Hilfe dringend ausbauen, weil jeder Tag, der vergeht, die Nothilfe schwieriger und teurer macht und noch mehr unschuldige Leben kostet.

http://de.wfp.org/zentralafrika

* Arif Husain ist Chefökonom des UN Welternährungsprogramms.

Aus: neues deutschland, Donnerstag, 10. April 2014


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»Nieder mit Samba-Panza«

Die neue Präsidentin in der Zentralafrikanischen Republik steht hilflos zwischen den Fronten

Von Vera Macht, Bangui **


In Zentralafrika wütet ein blutiger Konflikt zwischen christlichen und muslimischen Gruppen. Ein Viertel der 4,6 Millionen Einwohner sind auf der Flucht, 1,6 Millionen Menschen brauchen dringend Nahrung.

Sie tanzen im Feuerschein, mit glühenden Macheten, die sie auf den Asphalt schlagen. Funken sprühen. Eine Demonstration in der Nacht, Dutzende junge Männer, zwischen Hass und Ekstase. »Tod den Arabern«, schreien sie, und »Nieder mit Samba-Panza«. Samba-Panza ist die christliche Übergangspräsidentin, die in der Zentralafrikanischen Republik Ruhe und Frieden wiederherstellen sollte. Doch die Hoffnung, dass Samba-Panza dazu in der Lage wäre, hat man hier schon lange aufgegeben. Anfang Januar wurde sie gewählt, seitdem ist wenig geschehen.

Die muslimischen Séléka-Rebellen, die im März letzten Jahres die Macht übernommen haben und das Land in Chaos und Blutvergießen gestürzt haben, sind größtenteils geflohen, doch die christlichen Anti-Balaka Milizen, die sich ursprünglich zur Verteidigung gegen die Séléka gebildet haben, sind stärker denn je. Es sind die jungen Männer mit den glühenden Macheten, die nachts losziehen, um das Land von allen Muslimen zu befreien. Auch von denen, die seit Jahrzehnten friedlich im Land leben. Die Anti-Balaka haben ein Machtvakuum gefüllt, gegen das auch 6000 afrikanische und 2000 französische Soldaten nicht ankommen.

Ungefähr 80 Prozent der Bevölkerung in der Zentralafrikanischen Republik sind Christen, wie viele der einstmals 10 bis 15 Prozent Muslime noch am Leben oder im Lande sind, wagt derzeit keiner zu schätzen. Die Verbleibenden leben in Flüchtlingslagern, sind in den Norden des Landes geflohen oder halten tapfer die Stellung in den beiden berühmt-berüchtigten muslimischen Stadtvierteln der Hauptstadt Bangui: Kilometer 5 und Miskine. Berühmt-berüchtigt für die schweren Kämpfe, die dort bis jetzt noch jeden Tag stattfinden.

Doch auch in anderen Teilen der Hauptstadt, in der längst keinerlei Muslime mehr sind, will keine Ruhe einkehren. Viele der jungen Anti-Balaka Kämpfer kamen aus allen Teilen des Landes nach Bangui, nachdem ihre Hütten von den Séléka verbrannt und ihre Familien getötet wurden. Was ihnen bleibt, ist der Zusammenhalt ihrer Rebellengruppe, jedoch keinerlei Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben.

Patrice Edourd Ngaissona, der politische Koordinator der Anti-Balaka, einst Sportminister des Landes, gewährt Audienzen für Journalisten. Nicht für Französische allerdings, die würden die Realität verfälschen, so betont er am Anfang des Gesprächs in einer abgelegenen militärischen Festung, eingenommen von den Anti-Balaka, streng bewacht von jungen Kämpfern, die aufgeregt telefonieren. Ja, die Ausländerin darf eingelassen werden, hatte schließlich einer von ihnen gesagt, kaum erwachsen, das selbstgebaute Gewehr im Anschlag. Die Situation schwankt zwischen Groteske und Gefährlichkeit. Wie sooft in diesem Land, in dem sich Rebellenführer »Rambo« nennen und mit Baseballschlägern bewaffnet sind. In dem die französischen Panzer die wenigen von Schlaglöchern durchsiebten breiten Straßen nicht verlassen können, die sich quer durch die Stadt ziehen, weil sie zu breit für die Seitengassen sind, in denen die Kämpfe stattfinden. In dem UNO-Mitarbeiter am Pool liegen, schwer bewacht von afrikanischen Soldaten, während eine Liveband spielt, damit die Schießereien draußen nicht stören. In dem afrikanische MISCA-Truppen flirtend mit zentralafrikanischen Frauen an jeder Straßenecke stehen, für ein Interview hätten sie jedoch gerne Geld, sie haben seit Monaten keinen Lohn bekommen.

Geld und Lohn sind ohnehin die zentralen Fragen des momentanen Konflikts. Ngaissona, der gedrungene Anführer der Anti-Balaka im Jogginganzug, erweist sich als besonnener Analysator der Lage. »Ein französischer General sagte mir, ich solle meine Kämpfer einfach nach Hause schicken. Er hat doch überhaupt keine Ahnung von der Realität dieses Landes. Sollte ich jetzt Hunderte junger Männer, ohne Perspektive, aber mit Waffen in der Hand durchs Land schicken?«, fragt er leise, aber wütend.

Es gibt kein Geld für ein Demilitarisierungs- und Wiedereingliederungsprogramm der unzähligen Kämpfer. Kein Geld für die eigentliche Polizei und das Militär des Landes, sie arbeiten ohne Lohn und ohne Waffen. Cédric Londoumon sitzt mit fünf weiteren Polizisten vor einer kleinen Polizeistation im Norden der Stadt. Sie sind alle unbewaffnet. Londoumon ist wütend. »Uns wurde von der neuen Regierung so viel versprochen«, sagt er, »aber ich habe seit fünf Monaten kein Geld bekommen. Wir haben keinerlei Ausrüstung. Keine Büros, keine Kommunikationsmittel, keine Gefängnisse. Ich arbeite aus Liebe zu meinem Land, aber kann mir nichts zum Essen kaufen.« Auch die Schulen und Universitäten sind seit Beginn des Konflikts geschlossen und die Lehrkräfte können nicht bezahlt werden.

Seit letzter Woche hat die MISCA begonnen, die Anti-Balaka entwaffnen und eindämmen zu wollen. Die Führung der afrikanischen Friedensmission hat sie offiziell zum Feind des Landes erklärt. Bangui versinkt in Chaos und Schießereien, Granaten fliegen auf Kirchen und Wohnhäuser, Dutzende Menschen sterben, wie viele, das schätzt man hier oftmals nur. Gerade die muslimischen MISCA-Soldaten aus Tschad überschreiten die Grenzen bloßer Verteidigung und Friedenssicherung oftmals deutlich. Bei Auseinandersetzungen zwischen ihnen und Anti-Balaka Kämpfern sollen die letzten Tage an die 40 Menschen getötet worden sein, unter ihnen auch viele Zivilisten.

Auf dem Weg ins Landesinnere, in das große Flüchtlingslager im Norden des Landes, Bossangoa, wird der Konvoi aus Jeeps, Mitarbeitern von Hilfsorganisationen und Sicherheitskräften immer wieder von Straßensperren der Anti-Balaka aufgehalten. Mit Macheten bewaffnete Jugendliche fragen nach Geld und Zigaretten. Je weiter man die Hauptstadt verlässt, desto mehr bewegt man sich in rebellenkontrolliertem Gebiet. Die ZAR hat eine Fläche der Größe Frankreichs, der Großteil der ausländischen Truppen ist in der Hauptstadt stationiert und nicht einmal dort gelingt es, für Ruhe zu sorgen.

In Bossangoa befinden sich immer noch geschätzte 6000 Christen im Flüchtlingslager. Es ist überfüllt, es gibt kaum fließendes Wasser, es ist laut und stinkt. Die Menschen sind seit dem Überfall der Séléka noch nicht heimgekehrt. »Wir wissen nicht wohin«, sagt Désirée Polomayo, die seit Monaten in dem Lager lebt, »unsere Hütten und Felder sind abgebrannt, hier haben wir Nahrung und medizinische Versorgung.« Bereitgestellt von 45 Hilfsorganisationen, die sich innerhalb von drei Monaten hier niedergelassen haben.

Etwas weiter abseits liegt das muslimische Lager. Fast alle Muslime Bossangoas sind geflohen, nur noch geschätzte 3000 harren hier weiter aus. Sie warten auf einen Konvoi, der sie weiter in ein Flüchtlingslager nach Tschad bringen soll, auch jetzt sind es Soldaten aus Tschad, die für ihre Sicherheit sorgen.

Ibrahim Souma-Inie, der für die Verteilung der Nahrungsmittelrationen im Lager zuständig ist, erzählt, einer seiner Großväter sei aus dem Sudan, der andere aus Nigeria gekommen. Fast alle Muslime der Zen-tralafrikanischen Republik haben Migrationshintergrund. Doch schon seine Eltern seien hier geboren. »Dieses Land ist meine Heimat«, sagt er, »aber ich sehe hier keine Zukunft mehr für mich.« Während zahlreiche Hilfsorganisationen muslimisch-christliche Versöhnungstreffen organisieren, interessieren sich dafür vor allem die Muslime wenig. Sie wollen das Land nur noch so schnell wie möglich verlassen. »Wir können nicht aus dem Lager gehen, ohne in Lebensgefahr zu sein, nicht einmal auf den Markt zum Einkaufen«, sagt Hauwa Halidu, die mit ihren Kindern in einer staubigen Ecke des Lagers sitzt. »Und auch hier im Lager sind wir in ständiger Lebensgefahr«.

Währenddessen wird der Exodus der muslimischen Gemeinde vor allem für die Ernährungslage Zentralafrikas ein großes Problem. Muslime haben als Händler und Geschäftsleute einen Großteil der Nahrungs- und auch Saatversorgung übernommen. Jetzt drohen Hungersnöte. So wurden vor den Unruhen in Bangui jeden Tag offiziell bis zu 250 Rinder geschlachtet, seit kaum noch Muslime in der Stadt sind, kein einziges mehr. Außerdem steht die Regenzeit bevor, es müsste gesät werden, doch es mangelt an Saatgut. Die Zentralafrikanische Republik ist ein Binnenland, die Verbindungsstraßen in die Nachbarländer sind noch immer zu unsicher und für muslimische Händler ohnehin unpassierbar. Schon jetzt sind die Nahrungsmittelpreise deutlich gestiegen, doch die Folgen werden erst in Monaten abzuschätzen sein, wenn die nächste Ernte fehlt.

Emilien, ein junger Anti-Balaka-Kämpfer, steht am Rande des muslimischen Lagers. »Die Muslime provozieren uns«, sagt er grimmig. Er erzählt, wie er vor dem Konflikt ein kleines Stück Land bewirtschaftete, das zerstört wurde. Den Rest verkaufte er, um die magischen Amulette der Anti-Balaka bezahlen zu können, die ihn unsichtbar für den Feind machen sollen. Und wenn der Konflikt vorbei ist, irgendwann? Was will er dann aus seinem Leben machen? »Dann würde ich gerne für eine Hilfsorganisation arbeiten«, sagt Emilien und lächelt leise.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 10. April 2014


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