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Kommissar im Fettnäpfchen

Verheugen redet nordzypriotischen Politiker mit "Präsident" an

Von Karin Leukefeld, Nikosia *

Der Besuch von Günther Verheugen auf der Mittelmeerinsel Zypern in dieser Woche, dürfte für den für wirtschaftliche und industrielle Entwicklungen zuständigen EU-Kommissar nicht allzu erfreulich verlaufen sein. Nach einem Gespräch mit dem Präsidenten des EU-Mitglieds Zypern, Christos Christofias in Nikosia, hatte Verheugen zum Abendessen die »Grüne Linie« überquert, die Südzypern von dem nördlichen Teil der Insel trennt, der seit 35 Jahren von der Türkei besetzt gehalten wird.

Dort traf Verheugen mit Mehmet Ali Talat zusammen, wobei er diesen nordzypriotischen Presseberichten zufolge mit »Präsident« angesprochen haben soll, was wiederum im Süden des Landes für Unmut sorgte. Nordzypern bezeichnet sich selbst als »Türkische Republik Nordzypern« und wird als solche einzig von der Besatzungsmacht Türkei anerkannt. Südzypern bezeichnet den Norden als »besetztes Gebiet« und erkennt demzufolge auch die dort amtierende Administration unter Vorsitz von Mehmet Ali Talat nicht an.

Das machten am folgenden Tag die Abgeordneten des EU-Ausschusses im südzypriotischen Parlament deutlich, als sie mit Verheugen zusammentrafen. Der Ausschußvorsitzende Nicos Cleanthous ließ den EU-Kommissar eine Viertelstunde warten, während andere Abgeordnete Verheugen mit Informationsmaterial über die Zerstörung Nordzyperns durch die türkischen Invasionstruppen 1974 versorgten. Die Abgeordneten kritisierten, daß die EU mit der Türkei eine priviligierte Partnerschaft unterhalte, während türkische Besatzungstruppen noch immer auf Zypern stationiert seien. Der 1999 vorgelegte Plan des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan, Zypern zu einer Konföderation von zwei selbstständigen Teilstaaten zu machen, habe einen sukzessiven Abzug türkischer Truppen vorgesehen, konterte Verheugen. Damit erinnerte er indirekt daran, daß Südzypern 2004 den Annan-Plan abgelehnt hatte. Während 65 Prozent der Einwohner im Norden den Plan akzeptierten, war das Referendum im Süden des Landes mit 76 Prozent Neinstimmen negativ ausgefallen. Erst Anfang 2008 war in die festgefahrene Situation wieder Bewegung gekommen, als unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen eine neue Gesprächsrunde begann und als Zeichen des guten Willens der Grenzübergang auf der Ledra Straße im Zentrum Nikosias geöffnet worden war.

Mehr als ein Jahr später stagnieren nun die Gespräche, die ohnehin nur mühsam voran gekommen waren. Während die Vertreter Südzyperns bei den Verhandlungen mit einem gewissen Entscheidungs- und Handlungsspielraum ausgestattet sind, muß jeder Vorschlag auf der nördlichen Seite erst in der türkischen Hauptstadt Ankara vorgelegt werden. Die Idee einer souveränen zypriotischen Föderation von zwei Bundesstaaten mit einer Regierung wird von beiden Seiten unterschiedlich interpretiert. Die Sicht der Türkei wurde erneut deutlich, als kürzlich der türkische Parlamentspräsident, Köksal Toptan, in Nikosia erklärte, die Zypern­frage könne erst dann gelöst werden, wenn die Existenz von zwei Staaten, zwei Demokratien und zwei Gesellschaften auf Zypern als Vorbedingung anerkannt werde. Ministerpräsident Tayyib Erdogan schloß derweil in Ankara einen Minderheitenstatus für die türkischen Zyprioten auf der Insel aus, der Staat Nordzypern werde auch in Zukunft existieren.

Trotz aller Spannungen konnten sich aber die beiden Bürgermeister von Nikosia einigen, das völlig veraltete Abwassersystem der geteilten Stadt durch eine neue gemeinsame Kläranlage zu entlasten, die 2012 fertig gestellt sein soll. Die Vereinbarung war mit Hilfe des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) und der Europäischen Union zustande gekommen. Außerdem wird vermutlich in den nächsten Wochen ein weiterer Grenzübergang im Nordwesten der Insel geöffnet werden. Damit würde eine alte Verbindungsstraße der Hauptstadt Nikosia mit den Städten Katopyrgos und Polis im Nordwesten der Insel wieder befahrbar sein. Allerdings müßten Reisende an den Kontrollstellen weiterhin ihre Pässe vorzeigen und für ihre Fahrzeuge jeweils rund 60 Euro Versicherung zahlen.

* Aus: junge Welt, 19. Juni 2009


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