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Und wenn sich in der Türkei die Verhältnisse ändern?

Interview: Zyperns Linke fordert Garantien für die Sicherheit bei einer Wiedervereinigung

Vor einem Monat, am 24. April, scheiterte die Wiedervereinigung Zyperns am Nein der zyprischen Griechen zum Plan des UNO-Generalsekretärs Kofi Annan: Rund 76 Prozent lehnten den Annan-Plan ab. 65 Prozent der Türken auf Zypern stimmten dagegen mit Ja. (Vgl. "Zypern: Nein zur Vereinigung".)
Die linke Fortschrittspartei des Werktätigen Volkes (AKEL), mit etwa 35 Prozent der Wählerstimmen die stärkste Partei in Zypern, hatte ebenfalls zum Nein aufgerufen. Andros Kyprianou, Mitglied des Politbüros des ZK der AKEL und Sekretär für Internationale Beziehungen, wurde in einem Interview der Zeitung "Neues Deutschland" nach Gründen der Ablehnung und nach den Perspektiven des Zypern-Streits gefragt.
Wir dokumentieren im Folgenden das Gespräch.



Neues Deutschland: Warum hat die Mehrheit der griechischen Zyprer Annans Wiedervereinigungsplan abgelehnt?

Kyprianou: Seit November 2002, als uns der Annan-Plan zum ersten Mal vorgelegt wurde, war klar, dass die darin vorgeschlagene Lösung nicht ausgewogen war. Der Plan berücksichtigt in keiner Weise das Sicherheitsbedürfnis der griechischen Zyprer nach der türkischen Invasion von 1974 und die Tatsache, dass der Norden des Landes seitdem okkupiertes Gebiet ist. Auf der Insel sind noch immer 45000 türkische Soldaten stationiert, 120000 Siedler aus Anatolien leben im Norden. Diese »Realität« mag von den türkischen Zyprern anerkannt werden, nicht aber von den griechischen. Unglücklicherweise haben politische Kräfte den griechischen Zyprern eingeredet, die Türken und selbst die türkischen Zyprer seien Feinde, mit denen man nicht zusammenleben kann. Diese Stimmung hat sich auch auf die junge Generation übertragen. Jede Lösung erfordert einen Kompromiss. Aber wenn der Plan nicht ausgewogen ist, wird er von den griechischen Zyprern nicht akzeptiert.

Worin äußert sich denn die »Unausgewogenheit«?

Ein Beispiel ist die Präsenz der türkischen Truppen bis 2018. Selbst danach sollen noch 650 türkische Soldaten bleiben – und 950 griechische. Wozu braucht man fremde Truppen auf der Insel? Und dann: Nichts gegen die türkischen Siedler. Viele von denen sind nach der türkischen Invasion schon in Zypern geboren. Die hier geboren oder verheiratet sind, sollten die Chance haben zu bleiben. Aber es gibt insgesamt 120000 türkische Siedler auf der Insel, dagegen nur 80000 türkische Zyprer. Das heißt, die Siedler vom Festland sind inzwischen in der Überzahl. Laut Plan sollen etwa 65000 legal auf der Insel bleiben dürfen. Und was ist mit den anderen 55000? Es heißt, sie bekommen Geld dafür, wenn sie die Insel verlassen. Aber es gibt keine Mechanismen, die sichern, dass sie es tatsächlich tun.
Das sind zwei der Punkte, mit denen die griechischen Zyprer nicht einverstanden waren. Unsere Partei hat von Anfang an Sicherheitsgarantien gefordert. Denn auch wenn jetzt vielleicht beide Seiten guten Willens sind, einen solchen Plan umzusetzen: Was ist, wenn sich die Verhältnisse in der Türkei oder unter den türkischen Zyprern ändern?

Warum hat die AKEL eine Garantie des UN-Sicherheitsrates erst zwei Wochen vor dem Referendum gefordert, wo doch der Plan schon so lange auf dem Tisch lag?

Wir gehören nicht zur Verhandlungspartei der griechisch-zyprischen Seite. Aber als Partei haben wir bei Treffen mit Vertretern der UN, der USA und anderer Länder stets klar gemacht, dass wir zu einem Ja bereit sind – unter bestimmten Bedingungen. Leider ist man auf unsere Forderungen nicht eingegangen. Wir haben unsere Entscheidung etwa drei Wochen vor dem Referendum im Zentralkomitee diskutiert. Ich selbst habe unseren Entschluss Alvaro de Soto (dem UN-Sonderbeauftragten – d.R.) überreicht und ihm erklärt: Wir sind für einen Aufschub des Referendums. Wenn das nicht möglich ist, gebt uns Garantien für die Sicherheit! Weil unsere Forderungen nicht erfüllt wurden, waren wir gezwungen, Nein zu sagen.
Selbst wenn wir Ja gesagt hätten: Maximal hätte das 50 Prozent Ja-Stimmen beim Referendum gebracht. Da stellt sich die Frage: Ist ein wirkliche Wiedervereinigung zu erreichen, wenn nur 50 Prozent der Menschen den Plan unterstützen? Wäre das ein guter Start für ein gemeinsames Land geworden? Oder ist es nicht besser, Zeit zu gewinnen, mit den Leuten zu reden und Garantien zu erhalten, um letztlich eine Mehrheit zu überzeugen?

Dennoch hat die späte und ablehnende Entscheidung der AKEL viele türkische, aber auch griechische Zyprer enttäuscht. Wie erklären Sie die Diskrepanz zwischen deren Erwartungen und dem letztendlichen Nein der Partei?

Die Leute hatten unser Ja erwartet, weil die AKEL seit ihrer Gründung 1926 immer für die Rechte von griechischen und türkischen Zyprern eingetreten ist. Nach der türkischen Invasion 1974 haben wir betont, dass die türkischen Zyprer nicht unsere Feinde sind, sondern unsere Brüder. Gemeinsam wollten wir für die Einheit kämpfen. Aber auch wer grundsätzlich für die Wiedervereinigung ist, kann sie nicht akzeptieren, wenn sich wichtige Bestimmungen gegen die griechischen Zyprer richten. Die Vereinten Nationen waren sicher, dass die AKEL Ja sagen würde. Die USA erwarteten von der AKEL ein Ja. Unsere Antwort war: Wenn wir Ja sagen sollen, helft uns dabei! Doch man ist uns in unseren Kernforderungen nicht entgegen gekommen. Unser Nein brachte die Parteiführung nicht in Widerspruch zu den Wählern. Die Wähler selbst haben den Plan nicht akzeptiert.

Gibt es noch türkisch-zyprische Mitglieder der AKEL?

Ja, aber nur eine ganz kleine Zahl, sowohl in Zypern als auch in England. Wir verstehen natürlich die Enttäuschung der türkischen Zyprer über den Ausgang des Referendums, aber wir haben ihnen unsere Position erklärt und um eine neue Chance gebeten. Wir tun unser bestes für eine Lösung.

Welche nächsten Schritte sind möglich?

Um zu einem neuen Referendum zu gelangen, müssen die zyprischen Parteien und der Präsident zuerst Einigkeit in den Kernfragen erzielen. Die daraus resultierenden Vereinbarungen müssen wir dann mit den türkisch-zyprischen Politikern beraten, damit sie unsere Vorschläge unterstützen und mit uns zusammenarbeiten. Bei günstigem Ausgang tragen wir das Resultat der UNO vor. Für uns sind die Sicherheitsfragen wichtig, die Frage der Umsetzung der Vereinbarung, die Garantie, dass Siedler und Soldaten in die Türkei zurückkehren. Die Grundpfeiler des Plans bleiben davon unberührt, es bedarf also keiner neuen Verhandlungen darüber.

In welchem zeitlichen Rahmen soll das alles passieren?

So schnell wie möglich.

Wie kann die EU ihr Mitgliedsland Zypern dabei unterstützen?

Sie kann beide Seiten zur Zusammenarbeit mit dem Ziel einer Einigung ermutigen. Es ist doch eigenartig: 40 Jahre lang hat die griechisch-zyprische Seite für eine Wiedervereinigung gekämpft, während die türkisch-zyprische Seite dagegen arbeitete. Trotzdem ermutigte die internationale Gemeinschaft, besonders die USA und Großbritannien, die türkischen Zyprer immer wieder. Jetzt sollte sie es mit den griechischen Zyprern ebenso tun, denn wir hatten diesmal einen guten Grund, Nein zu sagen.

Ist die AKEL mit Fördermaßnahmen der EU für die türkischen Zyprer einverstanden?

Natürlich dürfen die türkischen Zyprer nicht dafür bestraft werden, dass es keine Einigung gab. Doch der türkisch-zyprische »Staat« darf weder direkt noch indirekt anerkannt werden.

Was bringt Zypern in die EU ein – außer der Teilung?

Zypern ist ein ziemlich kleines Land, aber wir können Erfahrungen einbringen. Beispielsweise hat Zypern schon immer gute Verbindungen zur arabischen Welt und auch zu China. Zypern kann eine Brücke zwischen der östlichen Welt und Europa sein.

Fragen: Christiane Sternberg

Aus: Neues Deutschland, 24. Mai 2004


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