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Zyprer müssen eine eigene Lösung finden

Zehnte Verhandlungsrunde zwischen Christofias und Talat

Neoklis Sylikiotis ist Innenminister der Republik Zypern und Mitglied des Zentralkomitees der regierenden Fortschrittspartei des Werktätigen Volkes (AKEL). Zu den Perspektiven des Einigungsprozesses in dem seit 1974 geteilten Mittelmeerstaat äußerte sich Minister Sylikiotis im Interview, das Harald Neuber für das "Neue Deutschland" in Nikosia führte und das wir im Folgenden dokumentieren.



ND: Am Dienstag trafen sich Präsident Dimitris Christofias und der Führer der türkischen Zyprer, Mehmet Ali Talat, zur zehnten Gesprächsrunde seit Beginn des Dialogs im September. Wie verlaufen die Verhandlungen?

Sylikiotis: Ich möchte vorausschicken, dass es schon vorher Kontakte gegeben hat. Schon Ende der 70er Jahre, wenige Jahre nach der türkischen Invasion 1974, hat es Übereinkünfte zwischen beiden Seiten gegeben. Das Neue bei den jetzigen Gesprächen ist, dass wir erstmals intensiv und ernsthaft auf eine bikommunale Lösung hinarbeiten.

Eine Regierung -- zwei Bundesländer. Um diese Formel geht es doch?

Durchaus. Für uns ist oberstes Prinzip, dass Zypern ein Staat ist. Es kann also nur eine Staatsangehörigkeit geben, auch wenn zwei Volksgruppen bestehen. Die Gründung eines solchen gemeinsamen Staates ist Gegenstand der laufenden Gespräche.

Obgleich die Talat-Verwaltung zuletzt auf eine Zweistaatenlösung bestand,

... was für uns völlig inakzeptabel ist ...

... ist das nicht das einzige Problem. Wie steht es um die Eigentumsrechte der 1974 aus dem Norden vertriebenen griechischen Zyprer?

Das ist ein schwieriges Thema. Als Innenminister bin ich verantwortlich für den Schutz des Eigentums in den freien Gebieten südlich der grünen Linie, die unser Land trennt. In der Frage des Besitzes bestehen wir auf unbedingtem Schutz des Eigentums. Einen Landaustausch würden wir nicht akzeptieren. Es geht dabei aber nicht nur um das Eigentum der griechischen Zyprer, die aus dem Norden vertrieben wurden, sondern auch um den Schutz des Besitzes türkischer Zyprer im Süden.

Je mehr Zeit verstreicht, desto größer wird das Problem, denn die Türkei forciert im Norden den Zuzug von Siedlern.

Und diese Politik ist nicht nur für uns problematisch, sondern auch für die türkischen Zyprer im Norden. Sie bekommen die negativen Konsequenzen des unbegrenzten Zuzugs ebenso zu spüren. In einem künftigen Zentralstaat würden wir die Rechte aller Menschen achten. Viele Bewohner im Norden wurden als Kinder von Siedlern geboren, andere haben türkische Zyprer geheiratet. Wir sind unter Umständen bereit, ihr Aufenthaltsrecht zu diskutieren. Aber der Zuzug muss begrenzt und kontrolliert werden.

Diskutieren Sie solche Fragen mit türkisch-zyprischen Parteien?

Wir stehen in Kontakt mit den linken Parteien und auch mit der Republikanischen Türkischen Partei (CTP). Seit die CTP aber die sogenannte Regierung stellt, steht sie deutlich unter dem Einfluss Ankaras und hat sich von früheren Positionen distanziert. Aber wir haben auch Kontakt mit der gewerkschaftlich getragenen »Plattform Frieden«. Diese Kontakte sind nicht unproblematisch. Die Lehrergewerkschaft im besetzten Teil hatte mit mir Kontakt und ist deswegen unter starken Druck geraten. Das zeigt, dass sich die türkischen Zyprer in einer Art politischen Geiselhaft der Türkei befinden.

Im Jahr 2004 ist ein Referendum zur Vereinigung am Widerstand der griechischen Zyprer gescheitert. Bedauern sie diese vertane Chance?

Nein, denn wir müssen erst die bestehenden Probleme klären. Erst nach erfolgreichem Abschluss einer solchen Verhandlung kann ein Referendum angesetzt werden. Die Zyprer beider Volksgruppen müssen selbst eine Lösung finden. Deswegen lehnen wir Schiedsrichter ab, die von außen in den Prozess eingreifen.

Wie die Europäische Union?

In erster Linie betrifft das noch nicht einmal die EU. Nach der Unabhängigkeitserklärung Zyperns 1960 wurden drei sogenannte Garantiemächte festgelegt: Großbritannien als ehemalige Kolonialmacht, Griechenland und die Türkei. Dieses Modell ist völlig überholt. Heute kann ein Staat wie die Türkei keine »Garantiemacht« für ein Mitglied der EU sein.

Und welche Rolle spielt Brüssel?

Keine so aktive, wie sie spielen sollte. Appelle bringen wenig.

Das mag auch daran liegen, dass die Türkei für die NATO eine strategisch bedeutsame Rolle spielt.

Sicher hat die Türkei in der Energie- und Sicherheitspolitik eine gewisse Bedeutung. Aber auch die türkische Staatsführung wird akzeptieren müssen, dass sie durch das Problem in Zypern Nachteile hat. Eine Lösung liegt auch im Interesse Ankaras.

Die Türkei ist nicht die einzige fremde Macht in Zypern. Auch Großbritannien verfügt über zwei ausgedehnte Militärstützpunkte im Norden. Wie werden sie mit dieser ausländischen Militärpräsenz umgehen?

Wir können nur ein Problem nach dem anderen lösen. Zunächst geht es darum, die türkische Besatzung zu beenden. Wenn dieses Ziel erreicht ist, können wir über die britische Militärpräsenz reden. Ich bin mir sicher, dass in einem wiedervereinten Zypern die Mitglieder der griechischen und der türkischen Volksgruppe gemeinsam für einen Abzug der britischen Armee kämpfen werden.

* Aus: Neues Deutschland, 26. November 2008


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