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Verfrühter Jubel in Nikosia

Konservativer Favorit Anastasiades muss in die zweite Runde der Präsidentenwahl in Zypern

Von Christiane Sternberg, Nikosia *

Die Entscheidung in der viel beschworenen »Schicksalswahl« Zyperns ist um eine Woche verschoben. Mit einem Vorsprung von 20 Prozentpunkten scheint der konservative Kandidat Nikos Anastasiades jedoch als Sieger der Stichwahl am nächsten Wochenende festzustehen.

Für einen kurzen Moment sah es am Sonntag so aus, als hätte Zypern bereits einen neuen Präsidenten. Der staatliche Fernsehsender CyBC prognostizierte während der Auszählung schon 51 Prozent der Stimmen für Nikos Anastasiades. Im Lager der Konservativen herrschte Siegesstimmung, die ersten Sektkorken knallten. Doch um 21 Uhr holte das Endergebnis Anastasiades und seine Anhänger auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Favorit im Rennen um den Posten des Staatsund Regierungschefs der Republik Zypern hatte die absolute Mehrheit knapp verpasst. Die Zyprer entscheiden am 24. Februar in einer Stichwahl, wer für die nächsten fünf Jahre das höchste Amt im Süden der Insel übernimmt – Nikos Anastasiades von der DISY (45,46 Prozent) oder Stavros Malas von der linken AKEL (26,91 Prozent).

Die Aussichten scheinen auf den ersten Blick klar, doch in Zypern können parteipolitische Entscheidungen binnen Wochenfrist jede Prognose über den Haufen werfen. Denn die 24,93 Prozent der Stimmen, die der drittplatzierte Giorgos Lillikas auf sich vereinte, sind nun verfügbar und tendieren nicht zwingend zu einer Symbiose mit der konservativen Seite. Der parteilose Lillikas, angetreten für die sozialdemokratische EDEK, betrachtet sich als Königsmacher und wird die für ihn günstigste Allianz aushandeln, die ihm einen Platz in der neuen Regierung sichert. Führt er seine Wähler mit denen der AKEL zusammen, kann dieses Anti-Sparprogramm-Bündnis gegen Anastasiades und seine pragmatische Politik sogar gewinnen. Allerdings gehen Experten davon aus, dass die EDEK nach einer gescheiterten Koalition mit dem amtierenden Präsidenten Dimitris Christofias nicht noch einmal einen Kandidaten der AKEL unterstützen wird.

Das Resultat des ersten Wahlgangs bedeutet für die Republik Zypern eine weitere Woche des Stillstands. Im ganzen Land zögert die Wirtschaft vom kleinsten Laden bis zum größten Unternehmen Entscheidungen hinaus. Niemand weiß, wie sich Preise und Kreditzinsen entwickeln, ob Einnahmen wegbrechen und Ausgaben steigen. Denn ob und zu welchen Bedingungen letztendlich die EUPartner finanzielle Hilfe gewähren, hängt vom neuen Präsidenten ab. Die Verhandlungen um einen Kredit in Höhe von bis zu 17 Milliarden Euro aus dem EU-Rettungsfonds liegen auf Eis.

Die feierliche Amtseinführung des Präsidenten wird zwar sofort am Abend des 24. Februar erfolgen. Die anschließenden Koalitionsverhandlungen und die Regierungsbildung nehmen aber mindestens zwei Wochen in Anspruch. Erst danach können die Gespräche mit der Troika wieder aufgenommen werden. Bis alle strittigen Fragen geklärt, die exakte Auszahlungssumme ermittelt und alle Zustimmungen eingeholt sein werden, gehen weitere Wochen ins Land. Zeit und Geld werden in Zypern immer knapper. Ende März, hieß es jüngst, verliere das Euro- Land seine Liquidität.

Es liegt in der Hand des neuen Präsidenten und seiner Regierung, ob bald mit den EU-Rettungsmilliarden zu rechnen ist oder ob weitere zähe Verhandlungen und damit finanzielle Ungewissheit auf der Tagesordnung stehen. Anastasiades steht für das Primat der schnellen Sanierung, Malas für die soziale Abfederung aller Sparmaßnahmen. Die Wähler müssen sich zwischen zwei extremen Polen für den künftigen Weg ihres Landes entscheiden.

In dieser einen Woche bis zur Stichwahl werden Kandidaten und Parteien ihr Tauziehen um die Stimmen noch verstärken. Aber obwohl die Zyprer traditionell gemäß den Vorgaben der Partei wählen, der sie angehören oder mit der sie sympathisieren, dürfte die Sorge um die persönliche Zukunft in diesem Jahr zu einem differenzierten Stimmverhalten führen. Es ist noch alles offen für kommenden Sonntag.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 19. Februar 2013


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