Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Neue Zweifel an der NATO-Version vom "Racak-Massaker"

Wichtigste Legitimation für den NATO-Krieg erschüttert

Schon vor einem Jahr meldete die Berliner Zeitung ernste Zweifel an der NATO-Version vom Racak-"Massaker" an. Nach Einsicht in die Unterlagen der an der Obduktion von 40 Leichen beteiligten finnischen Gerichtsmediziner waren keine Hinweise zu finden gewesen, die auf ein serbisches Massaker an albanischen Zivilisten schließen ließen. Am 17. Januar 2001 war es wiederum die Berliner Zeitung, die "Neues in der Verschlusssache Racak" zu berichten wusste. Diesmal beriefen sich die Journalisten auf den Abschlussbericht der unabhängigen Kommission, der in Kürze in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift "Forensiv Science International" erscheinen soll. Die Autoren sind Juha Rainio, Kaisa Lalu und Antti Penttilä.

Gerichtsmedizinische Befunde

Die wichtigsten Befunde aus dem Bericht können dahingehend zusammengefasst werden:
  • Der Leiter der OSZE-Mission im Kosovo, William Walker, hatte am 16. Januar 1999 erklärt, man habe Beweise für "Tötungen und Verstümmelungen unbewaffneter Zivilisten" gefunden, "viele aus extremer Nahdistanz erschossen". Das angebliche serbische Massaker von Racak diente vielen Politikern auch in Deutschland als Begründung für ihre Zustimmung zum Nato-Angriffskrieg gegen Jugoslawien. In einem Brief an Jugoslawiens Präsident Milosevic schrieb der deutsche Außenminister Joseph Fischer am 20. Januar, jedwede Entschuldigung Belgrads würde "auf keinen Fall die Hinrichtung von 45 unbewaffneten Personen, darunter Frauen und Kinder, durch die Sicherheitskräfte rechtfertigen". Später sagte Fischer, Racak sei für ihn "der Wendepunkt" gewesen.
  • Die Gerichtsmediziner Rainio, Lalu und Penttilä gehören zu einem finnischen Experten-Team unter Leitung von Frau Helena Ranta, das im Frühjahr 1999 von der Europäischen Union mit der Untersuchung des Geschehens von Racak beauftragt worden war. Die Untersuchungen wurden gemeinsam mit serbischen und belorussischen Fachkräften vorgenommen. Die Aufgabe bestand darin, vier Fragenkomplexe zu beantworten: Identifikation der Opfer, Ursache, Art und Zeit des Todes, Umstände des Todes und schließlich die Frage nach eventuellen Verstümmelungen. Im finnischen Abschlussbericht heißt es: Das Team "konnte nicht feststellen, dass die Opfer aus Racak stammten". Auch die "Ereignisse" bis zur Autopsie konnten "nicht festgestellt werden", und schließlich sei nicht einmal die "Lage der Opfer am Ort des Zwischenfalls" zweifelsfrei zu rekonstruieren.
  • Zweifelsfrei konnten die drei Experten aber feststellen, dass es "keine Anzeichen von nachträglichen Verstümmelungen" durch Menschen gab. Im Bericht wird im Einzelnen aufgelistet, dass an den 40 untersuchten Leichen zwischen einer und 20 Schusswunden entdeckt wurden. Doch nur in einem Fall fanden die Gerichtsmediziner Pulverspuren, die auf eine Exekution hinweisen könnten.
  • Der Expertenbericht für die Fachzeitschrift "Forensic Science International" kommt zum Ergebnis: Die seinerzeit von der OSZE und vielen westlichen Politikern behaupteten Beweise für eine Massenhinrichtung albanischer Zivilisten durch serbische Sicherheitskräfte gibt es nicht. Völlig ausgeblendet wurde die Frage, ob es sich nicht zumindest bei einem Teil der in Racak gefundenen Toten um Kämpfer der albanischen UCK handelte, die im Zuge von Gefechtshandlungen mit jugoslawischen Einheiten fielen.
  • Für "aufschlussreich" hält die Berliner Zeitung in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass auf politischer Ebene bis zum heutigen Tag eine Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse "verhindert wurde". Die Leiterin des finnischen Experten-Teams, Frau Helena Ranta, hatte am 17. März 1999 auf einer Pressekonferenz ihre "persönliche Meinung" zu Racak abgegeben. Dieses Statement enthielt "Widersprüche und Halbwahrheiten", die im Sinne der Kriegsbefürworter interpretiert werden konnten. Das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag stützte sich in seiner Anklage gegen Belgrad im Wesentlichen auf das Racak-"Massaker". Nach Kriegsende stellte Frau Ranta im EU-Auftrag erneut Nachforschungen zu Racak an. Am 21. Juni 2000 lieferte sie einen Bericht beim Jugoslawien-Tribunal ab. Offenbar passte er nicht in das Bild, das sich die Anklagebehörde vom Massaker und vom kriegsverbrecherischen Regime Milosevic gemacht hatte. Der Bericht wurde zur Verschlusssache erklärt und geheim gehalten. Auch ein Referat, das Frau Ranta einen Tag später in einer nicht öffentlichen Sitzung vor Beamten der EU-Staaten über ihre Erkenntnisse hielt, wurde nicht veröffentlicht. Sogar Mitgliedern des Europa-Parlaments wurde der Zugang zu den Fakten verwehrt. Die Berliner Zeitung hierzu: "Vielleicht hängt das damit zusammen, dass Frau Ranta auch vor den EU-Beamten wiederholte, was sie einer mit der 'Berliner Zeitung' kooperierenden kanadischen Journalistin - weit weg von der interessierten europäischen Öffentlichkeit - mitteilte: Dass ihre Recherche die offizielle Version einer Massenhinrichtung nicht untermauert; dass sie nicht wisse, was in Racak wirklich passiert sei."

Massaker hin oder her: Krieg musste dennoch sein!

Die Kommentatoren großer Zeitungen fechten solche Erkenntnisse bis heute aber kaum an. Ihre Zustimmung zum NATO-Krieg im Frühjahr 1999 wird auch heute noch gerechtfertigt, Racak hin oder her. Interessant ist die Argumentation. Denn wer vor zwei Jahren mit den NATO-Wölfen geheult und den Scharping-Lügen geglaubt hatte, müsste heute im Lichte neuer Erkenntnisse den Krieg doch mit anderen Augen sehen, zumal man, wie es am 18. 01. 2001 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hieß, offenbar "geleimt" worden war. Doch Konsequenzen daraus will kaum jemand ziehen. In der Süddeutschen Zeitung vom 19.01.2001 schreibt Peter Münch u.a.: "Doch was ist neu? Das Härteste, was gegen die Massaker-Theorie ins Feld geführt wird, ist, dass eine Massenhinrichtung nicht belegt werden konnte. Doch auch das Gegenteil – also kein Massaker – ist nicht zu beweisen." Nur: rechtfertigt dies einen Krieg? Was würden wir von einem Richter halten, der einen Angeklagten mit folgenden Worten verurteilt: "Beweisen können wir dir nichts, aber ins Gefängnis musst du trotzdem!"?

Rolf Paasch kapituliert in seinem Kommentar in der Frankfurter Rundschau (19.01.01) vor den "Gesetzen" des Krieges, wenn er schreibt: "Krieg und Kriegsverbrechen lassen sich einfach nicht sauber trennen. Auch nicht in Racak."

Genauso gut hätte er schreiben können: Lüge und Wahrheit lassen sich angesichts des Krieges nicht sauber trennen. Deshalb glauben wir am besten gar nichts mehr und entscheiden uns trotzdem für den Krieg.
Pst

Weitere Beiträge über Jugoslawien

Weitere Beiträge zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien

Zurück zur Homepage