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Terror im Königreich

ETA erinnert zu ihrem fünfzigsten Gründungstag an 70 Jahre Unterdrückung im spanischen Staat

Von Gerd Schumann *

Die Wurzeln des Untergrunds liegen tief. »Baskenland und Freiheit«, wie ETA übersetzt heißt, beweist in diesen Tagen, daß sie sich nicht nur ihrer eigenen Geschichte bewußt ist. Die begann vor 50 Jahren in Iparralde, dem französischen Baskenland, wo junge antifaschistische Widerstandskämpfer im Exil die Organisation gründeten. Da waren sie noch nicht bewaffnet, obwohl der Caudillo Franco im Auftrag von Klerus, Kapital und Latifundistas bereits seit zwei Jahrzehnten mit eiserner Faust über Spanien und Hegoalde, die vier baskischen Provinzen südlich der Pyrenäen, herrschte. Formiert hatte sich der franquistische Terror 1936 auf Mallorca. Von dort aus zog der Verrätergeneral aus, um die gewählte Regierung der Volksfront mit Gewalt zu stürzen. 1939, am Ende des Bürgerkriegs, zog er in Madrid ein.

Druckvoll erinnerte ETA nun in Palma de Mallorca an dieses – neben dem Kolonialismus – dunkelste Geschichtskapitel des Königreichs. Zwei bewaffnete Mitglieder der Guardia Civil, auf die sich bereits Führer Franco gestützt hatte, starben dabei, es gab Verletzte, wie tags zuvor in Burgos, ebenfalls ein geschichtsträchtiger Ort. Von September bis Dezember 1970 standen in Francos nordspanischem Kommandozentrum 15 ETA-Kämpfer vor einem Militärtribunal. Sie wurden in einem Schauprozeß zum Tode oder zu lebenslänglicher Haft verurteilt, weil sie einen Folterer der Guardia Civil getötet hatten. Der weltweite Aufschrei verhinderte die Hinrichtungen. ETA wurde zum Synonym für Antifaschismus.

Daß sich die seit 1968 bewaffnet kämpfende Organisation nach dem Tod des Diktators 1975 nicht auflöste, liegt am spanischen König, dessen Reich in der Verfassung als »unteilbar« verankert wurde – gegen den Mehrheitswillen der Basken beim Referendum von 1978. Daß es ETA noch gibt, ist aber auch der Hartleibigkeit des spanischen Zentralstaat, nunmehr parlamentarisch-demokratisch seine Funktion als Unterdrückungsapparat der kastilischen herrschenden Klasse wahrnehmend, geschuldet.

Ob mit postfranquistischer Regierung – José Maria Aznar – oder sozialdemokratischer – Felipe Gonzales, José Luis Rodríguez Zapatero. Obwohl sich alle auf Gespräche mit der »Terrororganisation« dann und wann einließen – als seriös im Interesse einer Lösung des Konflikts präsentierten sie sich niemals. Daß ETA ungeduldig reagierte – wie beim Abbruch der Verhandlungen 1999 – oder gewalttätig – wie in Madrid-Barajas 2006 – gehört zu den schwerwiegenden Fehlern der Organisation, stellt aber deren Geschichte nicht grundsätzlich in Frage.

Spaniens derzeitiger Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba (PSOE) muß sich nun den Vorwurf gefallen lassen, in Sachen ETA wieder einmal in die Kristallkugel geschaut zu haben, als er deren Untergang für spätestens 2016 prophezeite. Normalerweise müßte er dafür seine sieben Sachen packen und gehen, zumal es Tote und Verletzte gegeben hat, und der runde ETA-Geburtstag nicht unbedingt überraschend kam.

Die bewaffnete Organisation demonstrierte dagegen in Burgos und Mallorca Geschichtsbewußtsein. Die Wurzeln des baskischen Untergrunds liegen tief. Wollen die spanischen Sozialdemokraten diese tatsächlich dadurch ziehen, daß sie verbieten, die Fotos der über 700 politischen Gefangenen aus dem ETA-Bereich – über 700 bei 2,5 Millionen Einwohnern! – öffentlich zu zeigen? Welche Naivität. Warum eigentlich wehrt sich Madrid gegen ein Referendum, in dem die Basken, wie von ihnen, und nicht nur von ETA gefordert, über die Zukunft ihrer Gesellschaft abstimmen? Der baskisch-spanische Konflikt wird letztlich nur politisch zu lösen sein.

* Aus: junge Welt, 1. August 2009


Spanien belagert

Von Ingo Niebel und Raoul Wilsterer **

Ganz Spanien befand sich am Freitag (31. Juli) in einer Art staatlichem Belagerungszustand. Die »Sicherheitskräfte« des Königreichs wurden in »höchste Alarmbereitschaft« versetzt. Auf der Insel Mallorca, wo am Donnerstag (30. Juli) zwei Mitglieder der kasernierten Spezialtruppe Guardia Civil bei einem Anschlag getötet worden waren, wimmelte es von Uniformierten. Die Fahndungsaktion galt zwei jungen Basken, die eine Wohnung in Palma gemietet hätten und verschwunden seien, so der spanische Rundfunk am Freitag (31. Juli). Zudem wurden Steckbriefe von sechs mutmaßlichen Mitgliedern der baskischen Untergrundorganisation ETA veröffentlicht. Das geschah, obwohl das Madrider Innenministerium nicht mitteilte, ob diese verdächtigt werden, an dem jüngsten Anschlag beteiligt gewesen zu sein.

Am Freitag jährte sich die Gründung der ETA zum fünfzigsten Mal. Aus diesem Anlaß liefen in Madrid schwerbewaffnete Polizisten Streife vor den Parteizentralen der regierenden Sozialdemokraten (PSOE) und der oppositionellen postfranquistischen Volkspartei (PP). Derweil flogen Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero und PP-Chef Mariano Rajoy nach Mallorca und legten Ehrenmedaillen auf die Särge der beiden toten Elitepolizisten. Mit einer Trauerfeier in der Kathedrale von Palma de Mallorca und fünf Schweigeminuten wurde am Freitag der Toten gedacht. Im gesamten spanischen Staat läuteten um 12 Uhr mittags die Kirchenglocken.

Auch Kronprinz Felipe und Prinzessin Leticia nahmen an den Trauerzeremonien für die beiden Zivilgardisten teil. Der Anschlag am Donnerstag hatte sich nur etwa zehn Kilometer von der Sommerresidenz des Königs Juan Carlos entfernt ereignet. Das Staatsoberhaupt wollte allerdings erst in den nächsten Tagen dort eintreffen. Bisher stand Thronfolger Prinz Felipe noch nicht im Fadenkreuz der ETA, wohl aber sein Vater. König Juan Carlos I. verdankt seinen Posten dem Caudillo Francisco Franco, der von 1939 bis 1975 herrschte, und ist in seiner Funktion als Staatsoberhaupt auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Damit ist er in den Augen der ETA auch politisch verantwortlich für die Menschenrechtsverletzungen der Guardia Civil, die Teil der Armee sind.

Bereits unmittelbar nach dem Attentat auf Mallorca hatten Politik und Medien den Sicherheitskräften einen Freibrief ausgestellt, repressiv zu agieren. »Sie werden dafür bezahlen«, sagte Rosa Eva Díaz Tezanos vom katalanischen Landesverband der PSOE. Premier Zapatero »versprach« den Attentätern, sie würden ihr Leben im Gefängnis verbringen. Haftzeiten von 30 bis 40 Jahren gehören schon lange zur Realität der politischen Gefangenen.

Der Anschlag von Mallorca war der zweite innerhalb von 36 Stunden. Am Mittwoch morgen (29. Juli) hatte war die 14stöckige Kaserne der Zivilgarde im nordspanischen Burgos mit einer Autobombe zerstört worden.Unmittelbar nach dem Attentat in Burgos nahm die Guardia Civil drei Basken fest, die sie verdächtigt, die ETA und die verbotene Jugendorganisation Segi über ihre Webseite »Gaztesarea« (Das Jugendnetz) finanziert zu haben. Bekennerbriefe zu den Bombenattentaten lagen am Freitag (bei jW-Redaktionsschuß) nicht vor. Nach Darstellung der Regierung ist die Untergrundorganisation nach mehreren Razzien in Spanien und Frankreich in den vergangenen Monaten erheblich geschwächt. Man sei dabei, die Organisation zu zerschlagen.

** Aus: junge Welt, 1. August 2009


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