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Kulturkampf auf den Balearen

Regionalregierung will katalanische Sprache marginalisieren. Massive Gegenwehr

Von Carles Solà und Mela Theurer, Barcelona *

Die balearischen Inseln erlebten am vergangenen Sonntag die größte Demonstration ihrer Geschichte. Allein in Palma de Mallorca gingen laut Angaben der Veranstalter rund 100000 Menschen für den Erhalt der katalanischen Sprache im Unterricht auf die Straße, die Regierung sprach von 70000 Personen. Ihr Protest richtete sich gegen eine Reform, die den Gebrauch der Unterrichtssprachen neu regelt. Englisch, Spanisch und Katalanisch sollen in den Klassenzimmern nach dem Dekret zum »Integrierten Sprachumgang« (»Tractament integrat de llengües«, Til) künftig zu gleichen Teilen gesprochen werden. Eltern, Schüler und Lehrkräfte sehen darin einen Angriff auf die katalanische Sprache.

Bereits in der ersten Jahreshälfte formierte sich dagegen Widerstand. Drei Direktoren, die angekündigt hatten, sich dem neuen Bildungskonzept zu widersetzen, wurden ihres Amtes enthoben und mit einer Unterrichtssperre bis November belegt. Seitdem erhalten sie keinen Lohn. Die Gewerkschaften, die Aktionen gegen das Til angekündigt hatten, sahen sich von Beginn an einer Regionalregierung unter Führung der rechten Volkspartei (PP) gegenüber, die nicht zu Verhandlungen bereit war. Obwohl der Oberste Gerichtshof der Balearen das Dekret in einer Entscheidung vom 6. September aussetzte, war Präsident José Ramon Bauzá (PP) nicht bereit, dem Protest auf den Straßen Gehör zu schenken. Durch die Entscheidung an den Urnen sieht sich seine Regierung zur uneingeschränkten Entscheidungskompetenz legitimiert. In einem Eilverfahren erließen die Konservativen stattdessen ein neues Gesetzesdekret, mit dem sie das Urteil des Gerichtshofes umgingen. Die Gewerkschaften reagierten mit einem Aufruf zum unbefristeten Streik, dem in der ersten Woche mit rund 13000 Lehrern die Mehrheit der Pädagogen folgte. Die Klassenräume sind seit dem Schulbeginn am 16. September überwiegend leer, 165000 Schüler an öffentlichen und staatlich geförderten Schulen betroffen.

Die PP versuchte, den Protest mit harter Hand niederzuschlagen. Angedrohte Sanktionen sorgten in der zweiten Streikwoche dann auch tatsächlich für eine abnehmende Beteiligung. Selbst Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken wollen, sind von Repressialien bedroht. Die Regierung hat angekündigt, ihnen unter Umständen gar das Sorgerecht zu entziehen. Am vergangenen Sonntag füllten sich die Straßen dennoch mit einem Meer aus grünen T-Shirts, dem Symbol der Bewegung für den Erhalt der katalanischen Sprache im Unterricht.

Für Bauzá ist das allerdings immer noch kein Grund zum Einlenken. Die Marginalisierung des Katalanischen, die der spanische Bildungsminister José Ignacio Wert für Katalonien vergeblich versuchte, will er auf den Balearen gegen jeden Widerstand durchsetzen. So verlief auch die vierte Verhandlungsrunde zwischen Regierungsvertretern und Gewerkschaften am Folgetag der Demonstration ergebnislos. Der Streik geht also weiter. Die Oppositionsparteien haben inzwischen eine gemeinsame Erklärung abgegeben, nach der sie das Dekret bei einer Wahlniederlage der PP im Mai 2015 sofort abschaffen wollen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 2. Oktober 2013


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