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Basken geeint im Protest

Großdemonstration in Donostia: Zehntausende fordern die Freilassung verhafteter Linkspolitiker. Gewerkschaften gegen Repression

Von Ingo Niebel und Stefan Natke, Donostia *

Es war eine der größten Demonstrationen, die das Baskenland seit langem erlebte. Zehntausende protestierten am Samstag (17. Okt.) in der Atlantikmetropole Donostia (span.: San Sebastián) gegen die Inhaftierung von linken Politikern und Gewerkschaftern. Annähernd 40000 Teilnehmer zählte die Zeitung Gara, »mehrere Zehntausend« waren es laut bürgerlichen Medien Spaniens. Aufgerufen hatte ein Bündnis aus baskischen Gewerkschaften. Unterstützung erfuhr dieses von einem breiten Spektrum aus Parteien, Initiativen und Einzelpersönlichkeiten des Landes. Erstmals seit langem beteiligte sich sogar die christdemokratische baskische Nationalpartei (PNV) wieder an Straßenprotesten.

Mehrere Stunden lang bahnte sich eine unübersehbar große Menschenmenge den Weg durch die engen Straßen von Donostia. In Sprechchören wurde eine sofortige Freilassung der am Dienstag Inhaftierten sowie »Demokratie für das Baskenland« und eine Lösung des baskisch-spanischen Konflikts gefordert. Angeführt wurde der Zug von Vertretern der beiden stärksten Gewerkschaften, der der PNV nahestehenden ELA und der LAB, die der linken Unabhängigkeitsbewegung zugeneigt ist. Beide zusammen vertreten mehr als 70 Prozent der im Baskenland organisierten Arbeiter.

»Für die Freiheit. Alle Rechte für alle«, hatten die Gewerkschaften ihren Aufruf überschrieben. Auf der Abschlußkundgebung forderten ihre Generalsekretäre Ainhoa Etxaide und Adolfo Muñoz von Madrid in einer gemeinsamen Erklärung »die sofortige Abschaffung des Parteiengesetzes«, das seit 2003 zum Verbot mehrerer Linksparteien diente, »sowie die Schließung der Sondertribunale zur politischen Verfolgung«. Gebraucht würden dringend »Initiativen, die die baskische Gesellschaft und die Arbeiterinnen und Arbeiter zu Protagonisten machen«, erklärten die Gewerkschafter.

Einen ebensolchen neuerlichen Anlauf, einen Friedensprozeß zu initiieren, bereiteten offensichtlich jene zehn Gewerkschafter und Politiker der verbotenen Linkspartei Batasuna (Einheit) vor, als die spanische Polizei sie am Dienstag in der LAB-Zentrale in Donostia festnahm. Ihnen unterstellt der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón, sie hätten versucht, im Auftrag der Untergrundorganisation ETA (Baskenland und Freiheit) eine neue Partei zu bilden. Diese sollte unter anderem eine Friedensinitiative mit internationaler Vermittlung starten, steht in Garzóns Haftbegründung.

Mittlerweile wurden fünf der Verhafteten auf Kaution freigelassen. Der ehemalige LAB-Vorsitzende Rafa Díez Usabiaga und Arnaldo Otegi, Sprecher der linken Unabhängigkeitsbewegung, sowie drei weitere Personen befinden sich seit Samstag in Untersuchungshaft. Folglich wirkte die Reaktion von Spaniens Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba (PSOE) auf die Großdemonstration von Donostia verwirrt und hilflos. Er riet Otegi wörtlich: »Batasuna muß die ETA überzeugen, daß sie mit dem Töten aufhört. Solange das nicht geschieht, wird sich Batasuna nicht der Politik widmen können.« Wie Otegi dem Rat folgen soll, wenn er im Gefängnis sitzt und Batasuna verboten bleibt, verriet Rubalcaba nicht.

* Aus: junge Welt, 19. Oktober 2009


Baskische Antwort

Zehntausende demonstrierten

Von Gerd Schumann **

Die spanische Politik der Arroganz, also der Repression, gegenüber dem Baskenland, befindet sich in einer Sackgasse. Durch die Verhaftungen von zehn baskischen Linkspolitikern am vergangenen Dienstag erfuhr der Widerstand gegen die spanischen Unterdrücker einen ungeahnten Aufschwung, der im fernen Madrid registriert worden sein dürfte. Konsequenzen: offen.

Insbesondere die Besetzung der Zentrale von LAB, der klassenkämpferischen Gewerkschaft, sorgte für eine massenhafte Empörung, die selbst die eher gemächlichen baskischen Christdemokraten auf die Straße trieb. Das gab es zuletzt auf den Tag genau vor sechs Jahren, als Madrid Egunkaria schloß, die einzige rein-baskischsprachige Zeitung, und deren mutigen Chefredakteur und andere Journalisten in Isola­tionshaft schwer mißhandelte.

Jetzt sitzen mit Arnaldo Otegi und Rafa Díez Usabiaga populäre Sprecher der Unabhängigkeits- und Gewerkschaftsbewegung hinter Gittern. Sie hätten die verbotene Linkspartei Batasuna – eine Kraft, die regelmäßig bei Wahlen bis zu 18 Prozent der Stimmen erhielt – unter neuem Namen wiedergründen wollen. Der Zugriff sei »prophylaktisch« gewesen, so Madrids Sonderrichter Baltasar Garzón. Eine haarsträubende Begründung. Einige Männer und Frauen treffen sich im Gewerkschaftsbüro, das wird gestürmt, besetzt, vermummte Spezialpolizisten besorgen den Rest. Rechtsstaat Spanien?

Nach dem Tod des Faschisten Franco Ende 1975 und der Errichtung einer parlamentarischen Monarchie änderte sich die Form der Herrschaft, aber nicht die Herrschaft selbst. Die alten falangistischen Strukturen blieben weitgehend unangetastet, Klerus und Kapital sowieso. Und so demonstriert die intakte spanische Reaktion bis heute ihre Mobilisierungsfähigkeit nicht nur, wenn es gegen ETA und das Baskenland geht, sondern auch gegen Abtreibung und Frauenrechte. Wie am Samstag in Madrid, wo sich ewiggestrige alte Kämpfer, verhüllte Nonnen und biedere Politiker der postfranquistischen Nationalpartei (PP) andächtig versammelten und das Mittelalter predigten.

Dort gegen die regierenden Sozialdemokraten der PSOE, die eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts planen. Im Baskenland mit der PSOE, deren Minderheitsregierung im baskischen Gasteiz (Vitoria) sie stützt. Auf die PP ist Verlaß, wenn es um Krieg nach innen und außen geht. Und das eben auch – wenn nötig – mit den Sozialdemokraten, wie in Sachen des unerklärten Ausnahmezustands im Baskenland. Mit der Verfolgung der dortigen Arbeiterbewegung allerdings könnten die Sozialdemokraten die Repressionsschraube überdreht haben. Die Basken galten durch die Zeiten als widerständig, von Franco über Gonzales zu Aznar und Zapatero.

Und nun Donostia (San Sebastian). Dort zeigte sich am Samstag (17. Okt.), daß die sozialdemokratisch-postfranquistische Politik einer immer weiteren Eskalation der Unterdrückung gescheitert ist. Das Baskenland will Frieden und Freiheit, so die Botschaft der Massendemonstration. Und dazu braucht es seine Linke.

** Aus: junge Welt, 19. Oktober 2009


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