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Sozialisten wollen "Wandel" im Baskenland

Fliegt der Wahlsieger aus der Regierung?

Von Ralf Streck, San Sebastian *

Seit 30 Jahren regieren im spanischen Baskenland die »gemäßigten« Nationalisten der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV). Aus den Regionalwahlen am Sonntag (1. März) gingen sie erneut als stärkste Kraft hervor, und doch könnten sie aus der Regierung verdrängt werden.

»Ich führe mich dazu legitimiert, den Wandel anzuführen«, sagte der Spitzenkandidat der spanischen Sozialisten im Baskenland (PSOE) am späten Sonntag. Auf den ersten Blick sieht es auch so aus, als hätte Patxi López mit knapp 31 Prozent der Stimmen und 24 Abgeordneten im 75-köpfigen Regionalparlament ein gutes Wahlergebnis erzielt. Doch gewonnen hat erneut die Baskisch-Nationalistische Partei (PNV). Der bisherige PNV-Regierungschef Juan José Ibarretxe hat fast 39 Prozent der Stimmen und 30 Abgeordnete des Parlaments in Gasteiz (Vitoria) auf seiner Seite. Die PNV liegt zudem in den beiden bevölkerungsreichsten Provinzen des Baskenlandes, Biskaya und Gipuzkoa, klar vorn. Nur im dünn besiedelten Alava übertraf die PSOE die Nationalisten knapp.

Weil aber in jeder Provinz, unabhängig von der Bevölkerungszahl, 25 Parlamentarier gewählt werden, sieht López eine Chance, die PNV erstmals nach 30 Jahren aus dem Regierungssitz »Ajuria Enea« zu verdrängen: »Ich halte an meinem Wort und meinem Ziel fest, die nötige Unterstützung für ein Projekt des Wandels anzuführen.«

Unterstützung erwartet López von der konservativen spanischen Volkspartei (PP), die bei leichten Verlusten auf 14 Prozent der Stimmen und 13 Sitze kam. Das reicht jedoch nicht für die Mehrheit. Die kann López nur erreichen, wenn er auch den Vertreter der Union für die Demokratie (UPD), einer Abspaltung der Sozialisten, hinter sich bringt. Der baskische PSOE-Chef muss also in der »Autonomen Baskischen Gemeinschaft« (CAV) eine Front von Parteien schmieden, die sich zu gleicher Zeit in Madrid heftig beharken.

Derweil sieht sich Ibarretxe durch sein gutes Ergebnis berechtigt, das Baskenland weiter zu regieren. Er will sofort Gespräche über die Regierungsbildung aufnehmen. »Es kommt uns zu, die Verhandlungen mit den übrigen Parteien zu beginnen«, sagte er. Sein Problem ist, dass die bisherigen Koalitionspartner der PNV eingebrochen sind. Die Vereinte Linke (IU) hat weiter verloren und stellt mit 3,5 Prozent nur noch einen statt drei Abgeordneten. Die sozialdemokratische Baskische Solidaritätspartei (EA) erhielt knapp 4 Prozent und lediglich zwei statt der bisherigen sieben Sitze. Sie musste einen Teil ihrer Stimmen an die PNV abtreten, ein anderer Teil ging an die linksnationalistische Partei Aralar, die mit gut 6 Prozent und vier Sitzen einen Erfolg erzielte.

Zusammengenommen käme das baskische Lager aber nur auf 37 statt der erforderlichen 38 Sitze. Deshalb will Ibarretxe zunächst mit der PSOE sprechen, denn eine große Koalition ist nicht gänzlich undenkbar. Im spanischen Zentralparlament hatte die PNV der PSOE erst im Dezember eine knappe Mehrheit für die Verabschiedung des Haushalts verschafft.

Erstmals seit dem Ende der Franco-Diktatur werden keine Vertreter der radikalen linken Unabhängigkeitsbewegung mehr im Parlament vertreten sein, denn deren sämtliche Parteien waren von den Wahlen ausgeschlossen worden. Gut 100 000 Menschen haben die verbotenen Parteien trotzdem gewählt. Das hätte, wenn die Stimmen nicht als ungültig gewertet würden, für sieben Sitze ausgereicht. Viele Wähler blieben auch zu Hause, weshalb die Wahlbeteiligung um 15 Prozentpunkte niedriger lag als 2005. Damals hatten die inzwischen ebenfalls verbotenen baskischen Kommunisten (EHAK) mit 12,5 Prozent neun Sitze errungen.

Der baskische IU-Chef Javier Madrazo beklagte ein schweres »Demokratiedefizit« und warf der PSOE Schiebung vor. »Das neue Parlament bildet nicht die baskische Gesellschaft ab. Das Bild ist durch das Verbot einer politischen Kraft verzerrt. Klares Ziel dieser Illegalisierung war es, die sozialistische Partei zu begünstigen«. Madrazo hat Recht, denn am Wählerverhalten hat sich nichts geändert. Die bisherige Regierungskoalition hat auch ohne die Stimmen für die Ausgeschlossenen deutlich mehr Zuspruch erhalten als der spanisch-nationalistische Block, aus dem López die Regierung bilden will. Im Vergleich zu den spanischen Parlamentswahlen im März 2008 hat die PSOE im Baskenland sogar mehr als 100 000 Stimmen verloren.

Woran sich zeigt, dass die PSOE angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs in Spanien einen schweren Stand hat. Deutlich wurde dies bei den Regionalwahlen in Galicien, die ebenfalls am Sonntag stattfanden. Dort hatte seit 2005 – erstmals seit dem Ende der Diktatur – eine Koalition aus PSOE und dem Nationalistischen Block Galiciens (BNG) regiert. Doch die Regierung erfüllte selbst bescheidene Erwartungen nicht. Folgerichtig eroberte die rechte Volkspartei die absolute Mehrheit wieder zurück. Das ist mehr als ein Denkzettel für die spanische Zentralregierung in Madrid.

* Aus: Neues Deutschland, 3. März 2009


Iberische Wende

Postfranquisten erobern Galicien zurück. Über 100000 Stimmen für illegalisierte Linkspartei im Baskenland

Von Ingo Niebel **


Die Stimmberechtigten der autonomen baskischen und galicischen Gemeinschaften Spaniens haben bei den Regionalwahlen am Sonntag (1. März) die politische Landkarte maßgeblich verändert: In Galicien kehrt die postfranquistische Volkspartei (PP, Partido Popular) nach vier Jahren in der Opposition an die Regierung zurück. Sie errang die absolute Mehrheit. Die Zweiparteienkoalition von spanischen Sozialdemokraten (PSOE) und galicischen Nationalisten (BNG) kehrt zurück auf die harten Bänke der Opposition.

Zwei Möglichkeiten

In der Autonomen Baskischen Gemeinschaft (CAV), zu der drei der vier Provinzen des spanischen Baskenlandes gehören, haben die gesamtspanischen Parteien ihr Hauptziel erreicht: da der linken Unabhängigkeitsbewegung verboten war, an den Wahlen teilzunehmen, wurde die Vormachtstellung des nationalbaskischen Lagers -- zumindest was das parlamentarische Kräfteverhältnis betrifft -- gebrochen. Daß der Widerstand gegen die Quasi-Notstandsmaßnahmen des Zentralstaats weitergehen wird, demonstrierten über 100 000 Wahlberechtigte, die trotz Verbot Stimmzettel für das illegalisierte linke Wahlbündnis D3M in die Urnen einwarfen. Damit hätte die Linke sieben Abgeordnetenmandate erreicht.

Welche Partei indes den zukünftigen baskischen Präsidenten, den Lehendakari, stellen wird, hängt unter anderem mit der Wahlniederlage der PSOE in Galicien zusammen. Dort hatte die Partei von Spaniens Premier José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE) gehofft, eine hohe Wahlbeteiligung würde ihr den Sieg an den Urnen bescheren. Das Gegenteil war der Fall: Die Teilnahme stieg zwar von 67 auf 70 Prozent, aber sie bescherte den Postfranquisten 39 Sitze (bisher 37) -- ein Mandat mehr als die absolute Mehrheit. Die Sozialdemokraten kamen auf 24 (25) Parlamentarier und ihr Koalitionspartner, der Nationalgalicische Block (BNG), auf 12 Sitze (13). Für den PP-Vorsitzenden Mariano Rajoy kommt der Wahlsieg einem Befreiungsschlag gleich: Die Medienberichte und Verhaftungen im Zusammenhang mit Korruptions- und Spionageskandalen haben wider Erwarten seiner Partei nicht geschadet. Außerdem gelang seinem Spitzenkandidaten Alberto Núñez Feijóo die Rückeroberung eines politisch wichtigen Landstrichs: 16 Jahre lang hatte dort bis 2005 die PP unter Führung von Francos ehemaligem Innenminister Manuel Frage Iribarne regiert; jetzt wird die Heimat des faschistischen Diktators wieder von rechts dominiert. Die PP gewann vor allem in den ländlichen Gebieten, verzeichnete aber auch Zugewinne in den Städten.

Den Verlust von Galicien muß Zapatero jetzt politisch ausgleichen und das geht nur mit der Regierungsübernahme in Gasteiz (span.: Vitoria), der Hauptstadt der Autonomen Baskischen Gemeinschaft. Dort bleib zwar die seit 1980 regierende Baskische Nationalpartei (PNV) stärkste Kraft, aber die anderen nationalbaskischen Koalitionspartnern sind zu schwach, um mit ihr erneut die Regierung zu stellen. Zusammen mit der Baskischen Solidarität (EA), der Vereinigten Linken (EB-IU) und der linksnationalen Aralar kommt der geschäftsführende Lehendakari Juan José Ibarretxe (PNV) nur auf 37 Mandate; die absolute Mehrheit liegt bei 38 Sitzen. Auf der spanischen Seite errang der Sozialdemokrat Patxi López (PSOE) 24 Sitze (bisher 18). Wenn ihn die Postfranquisten mit ihren 13 Mandaten (bisher 15) und die rechte Minipartei Union, Fortschritt und Demokratie (UPD) unterstützen, dann könnte der Sozialdemokrat sein Wahlversprechen, eine »Regierung des Wechsels« zu bilden, umsetzen. Die Alternative für López ist, wie schon in den 80er Jahren, mit der PNV eine Koalition zu bilden.

Am Wahltag verhaftet

Was bei diesen mathematischen Spielchen fehlt, sind die über 101000 ungültigen Stimmen, die Basken für die verbotene Unabhängigkeitsbewegung abgegeben haben. Hätte deren Wahlplattform »Demokratie für 3 Millionen« (D3M) an dem Urnengang teilnehmen dürfen, wären ihr mindestens sieben Sitze sicher gewesen. Auch dieses Ergebnis ist ein Achtungserfolg, weil der Organisation verboten war, öffentlich für die Abgabe von ungültigen Stimmen zu werben. Noch am Wahltag verhaftete die Polizei Bürger, die vor den Wahllokalen ungültige Stimmzettel von D3M verteilen wollten. Mehrere zehntausend Linkswähler beschlossen, taktisch zu wählen, indem sie der Abspaltung Aralar als dem geringeren Übel ihre Stimme gaben, um die Regierungsübernahme durch López zu verhindern. So erklärt sich der Anstieg von einem auf vier Mandate.

** Aus: junge Welt, 3. März 2009


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