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Empört ins Establishment

Angehörige der spanischen Demokratiebewegung gründeten Partei

Von Ralf Streck, San Sebastián *

Die Bürgerbewegung der Indignados will mit der Partei X in Spanien das Zwei-Parteien-System aufbrechen. Leitungsorgane und die Aufstellung von Listen für Wahlen sind noch nicht vorgesehen.

Am Dienstagabend traten Vertreter der »Partei der Zukunft« erstmals öffentlich auf. Die Vorstellung vor großem Publikum in der Hauptstadt Spaniens war ein voller Erfolg. Die Veranstaltung wurde per Internet simultan in weitere Räume in Madrid und in große Städte wie Barcelona, Zaragoza, Palma de Mallorca, Málaga, Granada und Sevilla übertragen. Sieben »unbekannte und normale« junge Frauen und Männer erklärten das Programm. Sie kommen aus der Empörten-Bewegung 15M.

Die machte ab dem 15. Mai 2011 mit wochenlangen Platzbesetzungen im ganzen Land auf sich aufmerksam und fand weltweit Nachahmer. Seither wird für eine »wahre Demokratie« auf die Straße gegangen. »Demokratie und Punkt« lautet nun auch der Slogan des Programms der Partido X. Es gehe um den »Neustart des Systems«, sagte Maria, die wie alle Parteimitglieder ihren Nachnamen verschwieg. Transparenz, Bürgerbeteiligung, verbindliche Referenden und die Möglichkeit, Abgeordnete jederzeit abwählen zu können, sind zentrale Pfeiler ihrer Politik. »Bürger müssen stets über das entscheiden, was sie betrifft«, sagte Juan.

Die neue Formation lehnt sich an Piratenparteien an, ist aber deutlich linker orientiert. »Die Zukunft hat begonnen«, schreibt die Partei X und hat nicht weniger vor, als die beiden großen Parteien der rechten Volkspartei (PP) und der Sozialdemokraten (PSOE) aus Regierungen zu vertreiben. Sie verfolgten nur ihre und nicht die Interessen der Bürger.

Der Kampf gegen die Korruption und Steuerbetrug steht ganz oben auf der Dringlichkeitsliste. Für die Anti-Korruptionskommission wurde Hervé Falciani, der hier als »Robin Hood der Finanzwelt« gilt, zur Mitarbeit verpflichtet. Der Informatiker aus Genf hatte mit 130 000 Datensätzen von Kunden der HSCB-Bank europaweit zur Aufklärung von Steuerbetrug beigetragen. Falcianis Daten spülten nicht nur Millionen Euro in leere Kassen europäischer Staaten. Sie halfen in Spanien auch, einen Schwarzgeldskandal der regierenden Volkspartei (PP) aufzudecken. Der ehemalige Schatzmeister Luis Bárcenas gab inzwischen zu, dass sich die PP 20 Jahre lang illegal finanziert hat.

In der Empörten-Bewegung stieß die Idee einer Parteigründung bisher auf Ablehnung. Der zweite Kongress zu »Alternativen von unten« am vergangenen Wochenende in Madrid markierte aber eine Wende. Statt nur auf Protestbewegungen gegen Kürzungen im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem zu setzen, sollen nun »soziale Bewegungen und Parteien« zusammenfließen. Und: »Eine mögliche Kandidatur ist kein Tabu mehr«, sagte der Teilnehmer Raúl Camargo von der »Antikapitalistischen Linken«. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass seit 2011 von der propagierten Wahlenthaltung vor allem die PP profitierte.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 10. Oktober 2013


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