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Machtwechsel? Galicien hat gewählt

Konservative Volkspartei (PP) des seit 15 Jahren regierenden Franco-Freundes Manuel Fraga hat absolute Mehrheit verloren

Am 19. Juni 2005 fand in der spanischen Region Galicien eine wichtige Regionalwahl statt. Über die Hintergründe informiert ein Artikel von Ralf Streck, der bei "Indymedia" und bei "Telepolis" veröffentlicht wurde. Wir dokumentieren ihn ebenfalls im Anschluss an die aktuellen Meldungen über die Wahlen, verzichten dabei auf die Quellenverweise (Links) im Artikel.



M e l d u n g e n z u r W a h l

Bei der mit Spannung erwarteten Wahl des Regionalparlaments in der autonome spanischen Region Galicien hat sich am Nachmittag eine Rekordbeteiligung abgezeichnet. Bis 12.00 Uhr gaben 18,5 Prozent der 2,6 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab, teilte die Landesregierung mit. Das war der höchste je in der Region verzeichnete Zwischenstand. Umfragen hatten ergeben, dass die konservative Volkspartei (PP) bei der Wahl vermutlich ihre seit über 30 Jahren bestehende Vormachtstellung in der Region verlieren wird.
(AFP, 19. Juni, 15.52 Uhr)

Für viele Spanier ist Fraga ein politischer Dinosaurier: Er war unter Diktator Francisco Franco Informationsminister und spanischer Botschafter in Großbritannien. Damit ist Fraga ein alterndes Symbol für Spaniens rechtsgerichtete Vergangenheit. In Umfragen zeigte sich jedoch, dass Fraga nicht leicht zu schlagen sein würde. Seine PP kam danach auf 34 bis 35 Sitze, bisher sind es 41. Die absolute Mehrheit liegt bei 38 der 75 Sitze des Parlaments. Die Sozialisten konnten sich danach von 17 auf 26 Sitze steigern, der Nationalistische Galizische Block verlor zwei bis drei seiner derzeit 17 Sitze.
Fragas lange Regierungszeit wird auf den tief verwurzelten Konservatismus in Francos Heimatregion Galizien zurückgeführt. Außerdem war die PP dort sehr gut organisiert und stand bisher einer zerstrittenen Opposition gegenüber.
(AP, 19. Juni, 14.07 Uhr)

Bei der mit Spannung erwarteten Wahl des Regionalparlaments in der autonomen spanischen Region Galicien hat die konservative Volkspartei (PP) Nachwahlbefragungen zufolge verloren. Das ging aus drei Umfragen nach Schließung der Wahllokale hervor. Damit wäre der 82-jährige Ministerpräsident der PP, Manuel Fraga, der schon unter dem Diktator Francisco Franco Minister war, nach 26 Jahren im Amt abgewählt. Dies käme nach Expertenmeinung einem politischen Erdbeben gleich, dessen Erschütterung bis in die Hauptstadt Madrid zu spüren wäre. (AFP, 20.34 Uhr)

In der spanischen Region Galizien steht die konservative Volkspartei (PP) des seit 15 Jahren regierenden Manuel Fraga vor dem Verlust der absoluten Mehrheit. Bei der Regionalwahl fehlte der Partei des 82-Jährigen nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen ein Sitz im Parlament. Die Stimmen der im Ausland lebenden Galizier dürften nun darüber entscheiden, ob der ehemalige Informationsminister unter General Francisco Franco das Mandat für eine fünfte Amtszeit bekommt. Das Ergebnis dürfte nicht vor dem 27. Juni feststehen.
Der Auszählung zufolge erreichte die PP laut Angaben vom späten Sonntagabend 37 der 75 Parlamentssitze, das sind vier weniger als im letzten Parlament. Die Sozialisten konnten demnach mit 25, der Nationalistische Galizische Block mit 13 Mandaten rechnen. Allerdings war das Ergebnis so knapp, dass noch eine endgültige Entscheidung noch ausstand. Fraga unterstrich, die PP habe sich als stärkste Partei behauptet. Sollte es zu einem Machtwechsel kommen, wolle er Oppositionsführer werden.
(AP, 20. Juni, 1.39 Uhr)

Die mit Spannung erwartete Wahl in Galicien hat keine Entscheidung über die Mehrheitsverhältnisse in der autonomen Region im Nordwesten Spaniens gebracht. Nach dem vorläufigen Endergebnis verlor die konservative Volkspartei (PP) unter dem 82-jährigen Manuel Fraga bei der Wahl am Sonntag erstmals seit 16 Jahren knapp die absolute Mehrheit. Danach wären ein Machtwechsel und die Bildung einer Koalitionsregierung von Sozialisten (PSOE) und Linksnationalisten (BNG) möglich. Dies wäre eine historische Niederlage für den letzten noch aktiven Politiker aus der Franco-Ära.
Allerdings kann sich das Resultat noch ändern, da erst in acht Tagen die Stimmen der im Ausland lebenden Galicier ausgezählt werden. "Die Wahl entscheidet sich erst in der Verlängerung", sagte ein Experte im staatlichen Rundfunk RNE. Rund 300.000 Galicier waren im Ausland stimmberechtigt, die meisten davon in Lateinamerika.
(Der Standard (Online-Ausgabe), 20. Juni, 7.13 Uhr)




Galicien entscheidet über Friedensprozess

Von Ralf Streck

Am Sonntag wird in der spanischen Armutsregion Galicien gewählt. Hier entscheidet sich, ob die in Spanien regierenden Sozialisten (PSOE) den Konflikt mit dem Baskenland auf einen Lösungsweg bringen. Erst wenn die ultrarechte Volkspartei (PP) ihre Hochburg einbüßt, ist der Weg frei für Verhandlungen mit der ETA, für die sich die PSOE schon das Plazet des Parlaments geholt hat. Die PP hat dagegen in Madrid Stärke gezeigt, und mehr als 200.000 Anhänger zum Protest in die Hauptstadt mobilisiert. Gleichzeitig demonstrierten mehr als 50.000 Basken gegen die anhaltende Repression und für einen Friedensprozess.

Am 19. Juni ist es soweit. Der greise Manuel Fraga Iribarne, Gründer der Volkspartei (PP) will es noch einmal wissen. Mit 83 Jahren tritt er erneut als Kandidat zum Regierungschef von Galicien an. Wie sein Vorbild, der Diktator Franco, war auch Fraga unfähig, die Nachfolge ordentlich zu regeln. Wie es scheint, wird er deshalb seine Partei in die tiefste Krise seit der Entstehung stürzen. Die Umfragen sagen voraus, dass der Ex-Minister der Diktatur die absolute Mehrheit verlieren wird. Das stellte das "Zentrums für soziologische Studien" (CIS) fest, auch wenn es schon wegen Manipulationen zu Gunsten der jeweiligen Regierung von den eigenen Beschäftigten denunziert wurde. Eine neuere Studie des Instituts Opina für die Radiokette SER bestätigte nun, dass die PP nur noch knapp 46 % erhalten würde. Erstmals seit Francos Militärputsch 1936, von dem sich Fraga nie distanziert hat, wäre die rechte Macht in Galicien gebrochen.

Die PP, die sich von dem selbst verschuldeten Machtverlust in Madrid, wegen ihrer Lügen um die Terroranschläge vom 11. März nicht erholt hat, wäre stark geschwächt. Die Machtkämpfen bestimmte Partei würde nach dem unehrenvollen Abgang von José María Aznar, politischer Ziehsohn von Fraga, erneut in eine Führungskrise stolpern. Dem PP-Chef Mariano Rajoy, einst von Fraga aus Galicien nach Madrid entsandt, um Aznar zu überwachen, würde die Machtbasis wegbrechen, auf die er sich noch stützt. Seine Widersacher, die wie der Madrider PP-Bürgermeister Ruiz Gallardón auf eine Erneuerung setzen, würden zum Angriff blasen.

So bäumt sich die Partei noch einmal auf. Für den Samstag mobilisiert sie zu einer Demonstration gegen die gerade eingeführte Homoehe. Am letzten Samstag mobilisierte sie nach Angaben der Nationalpolizei etwa 30.000 Menschen nach Salamanca, um gegen die Rückgabe von Dokumenten nach Katalonien zu protestieren, die während der Diktatur geraubt worden sind. Dabei schreckte sie selbst vor Morddrohungen nicht zurück. Der Chef der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) hat Anzeige erstattet, weil offen mit Transparenten dazu aufgerufen wurden Carod Rovira an die "Wand zu stellen". Rovira ist Hassobjekt der PP und war unter deren Regierung einer massiven Spionage und Verunglimpfung ausgesetzt. Eine Woche zuvor hatte die PP etwa 250.000 Mitglieder aus dem ganzen Land nach Madrid gekarrt, um gegen Verhandlungen mit der ETA zu demonstrieren. Erneut setzt sie auf Demagogie gegen die Basken, um Wahlen zu gewinnen. So wirft Fraga nun sogar die moderaten Nationalisten in Galicien mit der baskischen Untergrundorganisation in einen Topf. Er sagte, der Nationalistische Block Galiciens (BNG) "bringt die gesamte ETA nach Galizien".

Eigentlich hatte die "Vereinigung Terrorismusopfer" (AVT) - die weitgehend von der PP bestimmt ist- zu dem Marsch geladen, um gegen die Ankündigung der Sozialisten zum Dialog mit der ETA zu protestieren. Das Motto lautete: "Nicht in meinem Namen". Aber einige AVT-Gliederungen verweigerten sich Unterordnung unter die PP-Parteipolitik. Viele ETA-Opfer sprechen sich explizit für Verhandlungen aus. Andere Opferverbände wollten mit der Demonstration eh nichts zu tun haben. So musste die PP handeln und verwandelte die Demonstration, die einst für den Samstag vor den Wahlen geplant war, in eine Demonstration gegen die Regierung unter José Luis Rodríguez Zapatero.

So war es nicht die AVT, sondern die PP, die danach lautstark von der Regierung Konsequenzen forderte. Rajoy sprach sich erneut gegen eine friedliche Lösung des seit Jahrzehnten schwelenden bewaffneten Konflikts aus. Der "große Erfolg" der Demonstration habe gezeigt, dass "Hunderttausende von der spanischen Regierung fordern, den Terrorismus zu zerschlagen". Doch wohin das führt, zeigen nicht nur die letzten 50 Jahre im spanischen Staat, sondern auch das Desaster im Irak, wofür die PP ebenfalls mitverantwortlich ist.

Zapatero zeigt sich gelassen. Als Reaktion auf den Marsch hat er alle Opferverbände zum Gespräch geladen. "Mit Respekt" schenke er den Demonstranten Aufmerksamkeit. Er kritisierte aber die Instrumentalisierung der Opfer. Wie könnte es anders sein, liegt der Termin für das Treffen nach den Wahlen in Galicien. So zeigt auch Zapatero, dass sie die Schlüssel für sein weiteres Vorgehen sind.

Die PP wollte auf der Straße das umsetzen, was ihr im Parlament nicht gelang. Dort hatte sie alles in die Wagschale geworfen und Rajoy nannte Zapatero sogar einen "Verräter". Trotzdem trugen alle Parteien außer der PP den Kurs des Sozialisten und erteilten ihm im Mai das Plazet für einen "Dialog" mit der ETA. In dem Beschluss heißt es: "Wenn passende Umstände für ein Ende per Gewalt per Dialog auftreten", unterstützt das Parlament ihn. Mit dem Wort Dialog soll verschleiert werden, dass es um Verhandlungen geht. Dass es dafür keinen "Preis"; für den Frieden geben dürfe, kann auch als Sprachformel abgehakt werden, mit dem die PSOE dem Druck der PP auszuweichen sucht. Welchen Sinn haben Gespräche, wenn beide Seiten nicht zu Kompromissen bereit sind.

Seit längerem bahnt sich ein Friedensszenario an. Zwar wagte sich Zapatero die Truppen gegen den erbitterten Widerstand der PP aus dem Irak abzuziehen, doch sein Vorstoß im Parlament war der erste reale Schritt auf die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung zu. Seit letztem November hatte die 2003 unter der PP in Spanien verbotene Partei Batasuna (Einheit), die der ETA politisch nahe steht, ihm mehrfach eine friedliche Lösung des Konflikts vorgeschlagen, der sich die ETA grundsätzlich angeschlossen hat.

Doch ohne Galicien geknackt zu haben, traut sich Zapatero nicht, den definitiven Schritt zu gehen und Verhandlungen aufzunehmen. Vor den Wahlen setzt seine Regierung sogar konträre Signale ab. So hat das ihr untergeordnete Ministerium für Staatsanwaltschaft mit der Kriminalisierung der Batasuna-Führung begonnen. Das hatte selbst die PP nach dem Verbot nicht gemacht. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen den charismatischen Batasuna-Sprecher Arnaldo Otegi erhoben. Der 46jährige Ex-Parlamentarier soll nun angeblich, quasi als Nebentätigkeit, auch ETA-Führer gewesen sein. Am Mittwoch letzter Woche musste Otegi erneut vor dem Nationalen Gerichtshof in Madrid erscheinen, wo ihm die Anklage verlesen wurde. Allerdings konnte er das Gericht diesmal wieder verlassen.

Eine Woche zuvor hatte das Sondergericht ihn nach einer Vernehmung inhaftiert. Nach zwei Tagen kam er auf Kaution von 400.000 Euro wieder frei. Das sorgte für Gelächter im Baskenland. ETA-Chefs kommen nicht auf Kaution frei. Das entlarvte unter anderem das Vorgehen als politische Maßnahme. Otegi musste als Tribut an die Konservativen vor den Wahlen in den Knast, weil die ETA am Tag seiner Vernehmung in Madrid mit einer Autobombe heftigen Sachschaden angerichtet hat, um Aktionsfähigkeit zu beweisen.

Das Verfahren gegen Otegi und weitere Führungsmitglieder, geht auf die vielen offenen Verfahren des Ermittlungsrichters Baltasar Garzón zurück. Den hatte die PSOE nach der Machtübernahme ohnehin in die Wüste geschickt und offiziell seiner „Beurlaubung“ zur Lehrtätigkeit in der USA zugestimmt. Eigentlich müsste er schon für die Fehlleistungen im Rahmen der 11. März Anschläge längst suspendiert sein.

Der Skandalermittler Garzón hatte auch Otegi in das Verfahren gegen die Parteikneipen eingebunden. Die seien "unzugänglich für alle Personen, die nicht mit dem Gedankengut" von Batasuna verbunden seien, kaut der Staatsanwalt nun dessen Version wieder. Dort würden "Terroristen angeworben, temporär Waffen und Sprengstoffe gelagert und Informationen über mögliche Anschlagsziele gesammelt". Diesen haarsträubenden Unfug konnte Garzón bisher genauso wenig belegen, wie angebliche Verbindungen von Gruppen oder Kommunikationsmedien zur ETA, die er "vorläufig" verbieten ließ. Wie erklärt es sich sonst, dass die einst geschlossenen Kneipen längst wieder geöffnet sind, weil nicht einmal Finanzunregelmäßigkeiten zu finden waren. Bei keiner der vielen Durchsuchungen wurden Waffen gefunden. Ohnehin hat jeder freien Zutritt zu ihnen, wie viele Baskenlandurlauber auch in diesem Sommer wieder leicht feststellen können.

Auf das repressive Vorgehen vor den Wahlen in Galicien reagiert Batasuna gelassen. Die Partei bekräftigte, sich dadurch nicht vom Friedensweg abbringen zu lassen. Dass eine verbotene Partei am vergangenen Samstag mehr als 50.000 Menschen nach Bilbao mobilisieren konnte, die friedlich für einen Friedenprozess und gegen die Repression demonstrierten, zeigt, dass sie aus dem politischen Leben nicht abzudrängen ist. Auf der Demonstration bekräftigte Otegi die Vorschläge der Partei. Bis zum nächsten Frühling müssten zwei Runde Tische gebildet werden. An einem sollen sich alle Parteien auf einen Lösungsweg einigen, welcher der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt wird. Daneben soll Madrid und Paris mit der ETA über die Demilitarisierung verhandeln. "Der Prozess ist in der Phase angekommen, wo Verpflichtungen eingegangen werden müssen", sagte er mit Blick auf Zapatero.

Denn eines ist klar, will Zapatero sich nach den Wahlen in Galicien auf Verhandlungen einlassen, dann muss alles relativ schnell gehen. Neben einem Ende der Repression stehen dann vor allem Gesten in der Frage der Gefangenen an, die gegen geltendes Strafrecht über ganz Spanien verteilt sind. Erst am Wochenende wurden wieder Angehörige bei den langen Autofahrten in zum Teil bis zu 1000 Kilometer entfernte Knäste schwer verletzt. Der Friedensprozess muss vor den Wahlen 2008 unumkehrbar sein, damit Zapatero damit Wahlkampf machen und nötige Zugeständnisse rechtfertigen kann, ohne dass er den Attacken der PP zum Opfer fällt. Am 19. zeigt sich nun, wohin die Reise geht.

Ralf Streck, Donostia-San Sebastián den 15.06.2005 Quelle: "Indymedia": http://de.indymedia.org

Der Beitrag erschien auch in "Telepolis": www.heise.de/tp



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