Garzón spaltet Spanien
Urteil wegen Rechtsbeugung gegen den Richter wühlt das Land auf
Von Ralf Streck, San Sebastián *
Viele Kritiker sehen im Urteil gegen
Baltasar Garzón eine politische Abstrafung
für die Verfahren gegen
konservative Politiker. Der spanische
Untersuchungsrichter ist jedoch keineswegs
unumstritten.
Das Urteil gegen den spanischen
Ermittlungsrichter Baltasar Garzón
war kaum gesprochen, da
wurde zum Protest gerufen. Am
Donnerstagabend versammelten
sich Hunderte Menschen im Zentrum
von Madrid, um gegen die
»Schande« eines »politischen Prozesses
« zu demonstrieren. Garzón
war am Mittag wegen »permanenter
Rechtsbeugung« zu elf Jahren
Berufsverbot verurteilt worden.
Der 56-Jährige, der bereits vom
Dienst suspendiert war, verliert
damit seinen Posten.
Einstimmig hatten sieben
Richter am Obersten Gerichtshof
geurteilt, dass Garzón Verteidigerrechte
ausgehebelt hat, weil er
Gespräche von Anwälten mit inhaftierten
Klienten abhören ließ. Das gäbe es nur »in totalitären Regimes
«, in denen alle Mittel eingesetzt
werden, »um an Informationen
zu kommen«, heißt es im Urteil.
»Mögliche Einschränkungen«
von rechtsstaatlichen Verteidigerrechten
müssten »besonders gerechtfertigt
werden«, was Garzón
auch nachträglich nicht gelang. Er
hatte im Verfahren erklärt, die
Anwälte hätten unter Verdacht
gestanden, den Verdächtigen zu
helfen, Gelder in Sicherheit zu
bringen und ihre kriminellen Aktivitäten
weiterzuführen. Für diesen
Verdacht allerdings hatte es offenbar
keinen Anlass gegeben.
An der Sachlage in dem Fall
gibt es kaum etwas zu rütteln, auch
wenn Garzón angekündigt hat, bis
zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof
ziehen zu wollen.
Trotzdem kann von einem politischen
Prozess gesprochen werden,
denn Garzón hatte gegen
korrupte Politiker der konservativen
Volkspartei (PP) ermittelt, die
nun seit dem vergangenen November
Spanien regiert. Dabei
spielte offenbar auch illegale Parteienfinanzierung
eine Rolle. Der
inhaftierte Pablo Crespo, einst
führend unter Ministerpräsident
Mariano Rajoy in der PP-Regionalregierung
Galiciens tätig, hatte zu
seinem Anwalt gesagt, dass Auslandskonten
in der Schweiz die
Partei vor »große juristische Probleme
« stelle.
Die Pro-Garzón-Demonstranten
behaupten, der Richter werde
nur angeklagt, weil er gegen die
Volkspartei vorgegangen sei und
damit begonnen habe, etwas Licht
in die Verbrechen der spanischen
Diktatur zu bringen, von der sich
die PP nie distanziert hat. Weil er
auch Massengräber öffnen lassen
wollte, wird gerade erneut gegen
ihn wegen Rechtsbeugung verhandelt.
»Faschisten raus aus dem
Obersten Gerichtshof«, riefen die
Verteidiger von Garzón deshalb in
Madrid. Sie sehen in der Tatsache,
dass drei solcher Verfahren gegen
Garzón angestrengt wurden, einen
Beweis dafür, dass ein unbequemer
Richter abgesägt wird.
Kurios ist auch die Urteilsbegründung,
dass nur in totalitären
Regimes Verteidigergespräche
abgehört würden. In Spanien ist
das bei Terrorismusvorwürfen
ausdrücklich erlaubt. Dabei dürfen
Verteidigerrechte ausgehebelt
werden, was Garzón auch ausgiebig
tat. So hatte er 1998 sogar eine
baskische Zeitung und ein Radio –
– geschlossen, während er zugleich
den chilenischen Diktator Pinochet
festsetzen ließ. Während er sich als
Verteidiger der Menschenrechte
zeigte, verletzte er zugleich im
Baskenland fundamentale Grundrechte,
stellte der Oberste Gerichtshof
bereits 2009 fest. Folgen
hatte das nicht, weil Garzón in seinem
Feldzug gegen die baskische
Linke im Einklang mit der Politik
der auch damals regierenden PP
stand.
Alle diese Verfahren sind Ausdruck
einer politisierten Justiz in
Spanien. So ist es kein Zufall, dass
Garzón die Ermittlungen gegen
Korruption und Franquismus erst
dann startete, nachdem er sich mit
der PP überworfen hatte und die
Sozialisten 2004 wieder an die
Macht kamen. Der PSOE nutzte das
im Kampf gegen die große Oppositionspartei.
Deshalb wollte auch
das Ministerium für Staatsanwaltschaft
Garzón wegen der illegalen
Abhörmaßnahmen nicht belangen
und forderte Freispruch.
* Aus: neues deutschland, 14. Februar 2012
Abrechnung unter Gangstern
Spanien: Empörung über Verurteilung von Richter Garzón hält an
Von Stefan Natke **
Rund zehntausend Menschen haben am Sonntag (12. Feb.) in Madrid gegen die in der vergangenen Woche ergangene Verurteilung des bekannten Richters Baltasar Garzón demonstriert. Die Laufbahn des Juristen dürfte damit beendet sein. Während ein Prozeß gegen ihn noch nicht abgeschlossen ist, in dem er sich wegen »Amtsanmaßung« verantworten muß, weil er in Mißachtung einer Amnestieregelung von 1977 die Verbrechen der Faschisten während der Franco-Diktatur untersucht hatte, verurteilte der Oberste Gerichtshof Spaniens Garzón am vergangenen Donnerstag (9. Feb.) in einem anderen Verfahren zu elf Jahren Berufsverbot und zur Übernahme aller Prozeßkosten. Dem 56jährigen wurde in diesem Fall das Abhören von Gesprächen zwischen Rechtsanwälten und ihren in Untersuchungshaft befindlichen Mandanten als Rechtsbeugung ausgelegt. Garzón hatte in einer Korruptionsaffäre ermittelt, in die hochrangige Politiker der mittlerweile Spanien regierenden Volkspartei (PP) verwickelt sind.
Als Untersuchungsrichter der Audiencia Nacional, einem Sondertribunal für Terror- und Drogendelikte in Madrid, das 1977 als Nachfolgeeinrichtung für das »Gericht für öffentliche Ordnung« der Franco-Diktatur eingerichtet worden war, hatte Garzón die Abhörpraxis bei Gesprächen von Gefangenen mit ihren Strafverteidigern eingeführt. Solange er dies in seinem Feldzug gegen die linke Unabhängigkeitsbewegung im Baskenland praktizierte, wurde er dafür von den selben Kräften gefeiert, die ihn jetzt auf die Anklagebank gebracht haben. Die Richter des Tribunal Supremo erklärten, daß spezielle Mittel wie das Abhören von Anwaltsgesprächen nur in Ausnahmefällen wie »Terrorismus« angewandt werden dürften.
Auf diesen Widerspruch wies der Abgeordnete der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) im spanischen Parlament, Joan Tardá, hin. Das Urteil sei ideologisch geprägt: »Ich möchte anmerken, daß die spanischen Gerichte in keiner Weise etwas gegen Garzón unternommen haben, als er 1992 katalanische Unabhängigkeitsaktivisten verfolgen, mißhandeln und foltern ließ, um Geständnisse aus ihnen herauszupressen.« In seiner Rede vor den Parlamentariern unterstrich er: »Als diese Dinge passierten, die als ›Garzonada‹ in die Geschichte eingegangen sind, war es nicht die spanische Justiz, die etwas unternahm, sondern es mußte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bemüht werden, der den spanischen Staat schließlich deswegen verurteilte. Baltasar Garzón hat es trotzdem nie für nötig gehalten, sich bei den Opfern seiner Willkür zu entschuldigen.«
Bejubelt wurde das Urteil hingegen von der PP-Politikerin und Chefin der Provinzregierung von Madrid, Esperanza Aguirre, die im Regionalparlament Fraktionskollegin einiger der in den Korruptionsskandal verwickelten Politiker ist. Sie feierte das Urteil gegen Garzón als »Triumph des Rechtsstaates«, der beweise, »daß das Ziel, so nobel es auch sein mag, nicht die Mittel rechtfertigt«. Solche Kommentare empfindet IU-Generalsekretär Cayo Lara hingegen als zynisch. Für den Chef der Vereinigten Linken war der vergangene Donnerstag »ein trauriger Tag für Demokraten«. Die Justiz habe einen Richter für seine Vorgehensweise in einem Prozeß verurteilt, während die Angeklagten in diesem Prozeß noch nicht einmal auf der Anklagebank Platz nehmen mußten. Der Sprecher der Umweltschutzpartei Equo und frühere Vorsitzende der spanischen Greenpeace-Sektion López Uralde sieht in dem Urteil sogar eine »Abrechnung unter Gangstern«, die im Kampf gegen die Korruption einen gefährlichen Präzedenzfall darstellen könne.
** Aus: junge Welt, 14. Februar 2012
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