Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Garzón spaltet Spanien

Urteil wegen Rechtsbeugung gegen den Richter wühlt das Land auf

Von Ralf Streck, San Sebastián *

Viele Kritiker sehen im Urteil gegen Baltasar Garzón eine politische Abstrafung für die Verfahren gegen konservative Politiker. Der spanische Untersuchungsrichter ist jedoch keineswegs unumstritten.

Das Urteil gegen den spanischen Ermittlungsrichter Baltasar Garzón war kaum gesprochen, da wurde zum Protest gerufen. Am Donnerstagabend versammelten sich Hunderte Menschen im Zentrum von Madrid, um gegen die »Schande« eines »politischen Prozesses « zu demonstrieren. Garzón war am Mittag wegen »permanenter Rechtsbeugung« zu elf Jahren Berufsverbot verurteilt worden. Der 56-Jährige, der bereits vom Dienst suspendiert war, verliert damit seinen Posten.

Einstimmig hatten sieben Richter am Obersten Gerichtshof geurteilt, dass Garzón Verteidigerrechte ausgehebelt hat, weil er Gespräche von Anwälten mit inhaftierten Klienten abhören ließ. Das gäbe es nur »in totalitären Regimes «, in denen alle Mittel eingesetzt werden, »um an Informationen zu kommen«, heißt es im Urteil. »Mögliche Einschränkungen« von rechtsstaatlichen Verteidigerrechten müssten »besonders gerechtfertigt werden«, was Garzón auch nachträglich nicht gelang. Er hatte im Verfahren erklärt, die Anwälte hätten unter Verdacht gestanden, den Verdächtigen zu helfen, Gelder in Sicherheit zu bringen und ihre kriminellen Aktivitäten weiterzuführen. Für diesen Verdacht allerdings hatte es offenbar keinen Anlass gegeben. An der Sachlage in dem Fall gibt es kaum etwas zu rütteln, auch wenn Garzón angekündigt hat, bis zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof ziehen zu wollen.

Trotzdem kann von einem politischen Prozess gesprochen werden, denn Garzón hatte gegen korrupte Politiker der konservativen Volkspartei (PP) ermittelt, die nun seit dem vergangenen November Spanien regiert. Dabei spielte offenbar auch illegale Parteienfinanzierung eine Rolle. Der inhaftierte Pablo Crespo, einst führend unter Ministerpräsident Mariano Rajoy in der PP-Regionalregierung Galiciens tätig, hatte zu seinem Anwalt gesagt, dass Auslandskonten in der Schweiz die Partei vor »große juristische Probleme « stelle.

Die Pro-Garzón-Demonstranten behaupten, der Richter werde nur angeklagt, weil er gegen die Volkspartei vorgegangen sei und damit begonnen habe, etwas Licht in die Verbrechen der spanischen Diktatur zu bringen, von der sich die PP nie distanziert hat. Weil er auch Massengräber öffnen lassen wollte, wird gerade erneut gegen ihn wegen Rechtsbeugung verhandelt. »Faschisten raus aus dem Obersten Gerichtshof«, riefen die Verteidiger von Garzón deshalb in Madrid. Sie sehen in der Tatsache, dass drei solcher Verfahren gegen Garzón angestrengt wurden, einen Beweis dafür, dass ein unbequemer Richter abgesägt wird.

Kurios ist auch die Urteilsbegründung, dass nur in totalitären Regimes Verteidigergespräche abgehört würden. In Spanien ist das bei Terrorismusvorwürfen ausdrücklich erlaubt. Dabei dürfen Verteidigerrechte ausgehebelt werden, was Garzón auch ausgiebig tat. So hatte er 1998 sogar eine baskische Zeitung und ein Radio – – geschlossen, während er zugleich den chilenischen Diktator Pinochet festsetzen ließ. Während er sich als Verteidiger der Menschenrechte zeigte, verletzte er zugleich im Baskenland fundamentale Grundrechte, stellte der Oberste Gerichtshof bereits 2009 fest. Folgen hatte das nicht, weil Garzón in seinem Feldzug gegen die baskische Linke im Einklang mit der Politik der auch damals regierenden PP stand.

Alle diese Verfahren sind Ausdruck einer politisierten Justiz in Spanien. So ist es kein Zufall, dass Garzón die Ermittlungen gegen Korruption und Franquismus erst dann startete, nachdem er sich mit der PP überworfen hatte und die Sozialisten 2004 wieder an die Macht kamen. Der PSOE nutzte das im Kampf gegen die große Oppositionspartei. Deshalb wollte auch das Ministerium für Staatsanwaltschaft Garzón wegen der illegalen Abhörmaßnahmen nicht belangen und forderte Freispruch.

* Aus: neues deutschland, 14. Februar 2012


Abrechnung unter Gangstern

Spanien: Empörung über Verurteilung von Richter Garzón hält an

Von Stefan Natke **


Rund zehntausend Menschen haben am Sonntag (12. Feb.) in Madrid gegen die in der vergangenen Woche ergangene Verurteilung des bekannten Richters Baltasar Garzón demonstriert. Die Laufbahn des Juristen dürfte damit beendet sein. Während ein Prozeß gegen ihn noch nicht abgeschlossen ist, in dem er sich wegen »Amtsanmaßung« verantworten muß, weil er in Mißachtung einer Amnestieregelung von 1977 die Verbrechen der Faschisten während der Franco-Diktatur untersucht hatte, verurteilte der Oberste Gerichtshof Spaniens Garzón am vergangenen Donnerstag (9. Feb.) in einem anderen Verfahren zu elf Jahren Berufsverbot und zur Übernahme aller Prozeßkosten. Dem 56jährigen wurde in diesem Fall das Abhören von Gesprächen zwischen Rechtsanwälten und ihren in Untersuchungshaft befindlichen Mandanten als Rechtsbeugung ausgelegt. Garzón hatte in einer Korruptionsaffäre ermittelt, in die hochrangige Politiker der mittlerweile Spanien regierenden Volkspartei (PP) verwickelt sind.

Als Untersuchungsrichter der Audiencia Nacional, einem Sondertribunal für Terror- und Drogendelikte in Madrid, das 1977 als Nachfolgeeinrichtung für das »Gericht für öffentliche Ordnung« der Franco-Diktatur eingerichtet worden war, hatte Garzón die Abhörpraxis bei Gesprächen von Gefangenen mit ihren Strafverteidigern eingeführt. Solange er dies in seinem Feldzug gegen die linke Unabhängigkeitsbewegung im Baskenland praktizierte, wurde er dafür von den selben Kräften gefeiert, die ihn jetzt auf die Anklagebank gebracht haben. Die Richter des Tribunal Supremo erklärten, daß spezielle Mittel wie das Abhören von Anwaltsgesprächen nur in Ausnahmefällen wie »Terrorismus« angewandt werden dürften.

Auf diesen Widerspruch wies der Abgeordnete der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) im spanischen Parlament, Joan Tardá, hin. Das Urteil sei ideologisch geprägt: »Ich möchte anmerken, daß die spanischen Gerichte in keiner Weise etwas gegen Garzón unternommen haben, als er 1992 katalanische Unabhängigkeitsaktivisten verfolgen, mißhandeln und foltern ließ, um Geständnisse aus ihnen herauszupressen.« In seiner Rede vor den Parlamentariern unterstrich er: »Als diese Dinge passierten, die als ›Garzonada‹ in die Geschichte eingegangen sind, war es nicht die spanische Justiz, die etwas unternahm, sondern es mußte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bemüht werden, der den spanischen Staat schließlich deswegen verurteilte. Baltasar Garzón hat es trotzdem nie für nötig gehalten, sich bei den Opfern seiner Willkür zu entschuldigen.«

Bejubelt wurde das Urteil hingegen von der PP-Politikerin und Chefin der Provinzregierung von Madrid, Esperanza Aguirre, die im Regionalparlament Fraktionskollegin einiger der in den Korruptionsskandal verwickelten Politiker ist. Sie feierte das Urteil gegen Garzón als »Triumph des Rechtsstaates«, der beweise, »daß das Ziel, so nobel es auch sein mag, nicht die Mittel rechtfertigt«. Solche Kommentare empfindet IU-Generalsekretär Cayo Lara hingegen als zynisch. Für den Chef der Vereinigten Linken war der vergangene Donnerstag »ein trauriger Tag für Demokraten«. Die Justiz habe einen Richter für seine Vorgehensweise in einem Prozeß verurteilt, während die Angeklagten in diesem Prozeß noch nicht einmal auf der Anklagebank Platz nehmen mußten. Der Sprecher der Umweltschutzpartei Equo und frühere Vorsitzende der spanischen Greenpeace-Sektion López Uralde sieht in dem Urteil sogar eine »Abrechnung unter Gangstern«, die im Kampf gegen die Korruption einen gefährlichen Präzedenzfall darstellen könne.

** Aus: junge Welt, 14. Februar 2012


Zurück zur Spanien-Seite

Zurück zur Homepage