Laues Ja für mehr Autonomie
Trotz erheblicher Kritik am Statut klares Votum der Katalanen
Von Ralf Streck, San Sebastian*
Beim Referendum vom Sonntag (18. Juni 2006) stimmte Kataloniens Bevölkerung mit Ja, doch sie tat es mit
mäßiger Begeisterung.
Die Katalanen haben sich zwar für mehr Eigenständigkeit der Region innerhalb Spaniens
ausgesprochen, aber wegen der Kritik am Text des Autonomiestatuts wurde das Referendum
zumeist ignoriert. Nicht einmal die 50-Prozent-Marke wurde bei der Beteiligung genommen. Nur 49,4
Prozent der mehr als fünf Millionen Wahlberechtigten kamen zur Abstimmung – fast elf
Prozentpunkte weniger als 1979, obwohl damals das Votum an einem Wochentag durchgeführt
worden war.
Auch die Befürwortung fiel wesentlich geringer als 1979 aus. Nun waren es nur noch 74 Prozent der
Wähler, die dieser Autonomie zustimmten. Vor 27 Jahren, nach dem Tod des Diktators Franco,
waren es noch knapp 88 Prozent. Damals stand das Referendum unter permanenter Putschdrohung
der Militärs, die dieses 1981 dann auch einlöste.
Abgelehnt haben den Text mehr Personen als 1979. Statt einst acht Prozent sagten zu dem neuen
Statut fast 21 Prozent Nein. Gut fünf Prozent stimmten zudem ungültig. Auch wenn die rechte
spanische Volkspartei (PP) nun versucht, aus diesem Ergebnis Kapital zu schlagen, ist doch der
Sieg derer, die sich für eine weitgehende Autonomie Kataloniens aussprechen, eindeutig. Gerade
weil die PP sich gegen jede Veränderung stellt und nun den Gang vor das spanische
Verfassungsgericht angekündigt hat, haben viele trotz massiver Kritik nicht zusammen mit ihr
stimmen wollen.
Wie zu erwarten war, haben sich viele Anhänger der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC)
nicht an der Abstimmung beteiligt oder ungültig gestimmt. Die Wähler jener Partei, die der Motor für
die Neugestaltung der Beziehungen zum spanischen Staat ist, befanden sich in einer Zwickmühle.
Der ERC-Slogan »Katalonien ist mehr wert« konnte nicht ziehen.
Ein Nein hätte Wasser auf die Mühlen der PP geleitet, und Reformvorhaben wären für lange Zeit
blockiert worden, weil sich die Erben Francos gegen jede Dezentralisierung wenden. Die Katalanen
ziehen den Spatz in der Hand der Taube auf dem Dach vor. Schließlich wird die Finanzierung der
Region leicht verbessert, und die Autonomierechte werden etwas ausgeweitet.
Der Frust bleibt jedoch und wird sich bei den vorgezogenen Neuwahlen zeigen, denn am Streit über
das Statut zerbrach die Dreierkoalition der Region. Nachdem die ERC ihren Stimmenanteil 2003 auf
13 Prozent fast verdoppelt hatte, war es erstmals nach der Diktatur möglich geworden, durch eine
Linkskoalition die konservativen Nationalisten (CiU) und die PP abzusägen. Im Herbst dürften vor
allem die Sozialisten (PSOE) und die CiU die Rechnung erhalten. Hinter dem Rücken der ERC
hatten sie den Text abgespeckt und ein eigenes Steuersystem sowie die Nationenfrage beerdigt.
Beides sah der Ursprungstext noch vor, der letztes Jahr im Regionalparlament verabschiedet wurde.
Die ERC übt sich nun in Selbstkritik wegen ihres Neins. Ihr Chef Josep Lluís Carod Rovira erklärte:
»Wir akzeptieren die Ergebnisse und erkennen sie vollständig an.« Die Neinsager hätten klar
verloren. Die geringe Beteiligung zeige aber, dass dieser Text keinen Enthusiasmus freisetze. Man
werde deshalb keinen Endpunkt unter die nationalen Ansprüche setzen.
Dabei handelt es sich mehr um eine Kritik an der eigenen Basis. Das Problem der ERC-Führung, die
für eine »ungültige Wahl« eintreten wollte, besteht darin, dass sie in wichtigen Fragen vom Votum
lokaler Versammlungen abhängt. Die Basis hatte, nachdem der Ursprungstext durch das Madrider
Parlament »abgehobelt« worden war, die Führung zum Nein und zur Auflösung der Linkskoalition
gezwungen.
Die Befürworter der Eigenständigkeit weisen diesem Statut nur eine geringe Legitimität zu. Die Tür
für wirkliche Veränderungen sei weiter offen. In wenigen Jahren werde man sehen, dass Kataloniens
Probleme nicht gelöst wurden. Gezeigt habe sich in 30 Jahren auch, dass man Madrid nicht das
letzte Wort lassen dürfe, weil dort die Beschlüsse der Katalanen nicht respektiert würden, sagen
Vertreter der Plattform »Pel dret a decidir« (Für das Recht zu entscheiden). Raum hat der spanische
Ministerpräsident gewonnen. Galt doch das Referendum auch als Stimmungstest für die Politik Jose
Luis Rodriguez Zapateros. Der Sozialist hat das Thema nun vom Tisch, und die PP wurde weiter
geschwächt. Zapatero kann sich nun bis zu den Parlamentswahlen im Frühjahr 2008 ganz dem
baskischen Friedensprozess widmen, gegen den sich die PP ebenfalls stemmt.
Aus: Neues Deutschland, 20. Juni 2006
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