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Pakt für Kataloniens Unabhängigkeit

In Barcelona hat sich die nationalliberale CiU mit der linksnationalen ERC zusammengerauft

Von Ralf Streck, San Sebastián *

Die Bewohner Kataloniens sollen 2014 über die Unabhängigkeit der wirtschaftsstärksten Region in Spanien abstimmen. Dies sieht ein Regierungspakt vor, den der nationalliberale katalanische Ministerpräsident Artur Mas mit den Linksrepublikanern (ERC) geschlossen hat - eine Kampfansage an die Zentralregierung in Madrid.

Sie sind nicht eingeknickt: Die katalanistischen Parteien haben sich auch vom Druck aus Madrid und Brüssel nicht von ihrem Kurs abbringen lassen. Am Mittwoch unterzeichneten Artur Mas für die nationalliberale Konvergenz und Einheit (CiU) und Oriol Junqueras für die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) nach langen Verhandlungen den Regierungsvertrag. Er sieht die »ausdrückliche Verpflichtung« vor, die Bevölkerung Kataloniens 2014 über die Unabhängigkeit von Spanien abstimmen zu lassen. Junqueras ERC hat sich durchgesetzt. Obwohl die CiU das Referendum zum zentralen Inhalt der vorgezogenen Neuwahlen im November gemacht hatte, wollte sie sich nicht auf einen Termin festlegen lassen.

Junqueras bestätigte, dass diese Frage die »meisten Schwierigkeiten« bereitet habe. Vereinbart wurde, dass beide Parteien übereinkommen können, den Termin zu verschieben, wenn es aus dem »politischen oder sozioökonomischen Kontext« notwendig erscheint. »Wir haben einen klaren Auftrag der Bevölkerung erhalten«, sagte Mas. »Wir haben ihn verstanden und ihn in die Praxis umgesetzt.« Der Pakt sieht auch vor, entsprechende Gesetze zu verabschieden, um das Referendum durchführen zu können. Die neue Regierung soll in einen »Dialog und Verhandlungen mit dem spanischen Staat über das Recht auf Selbstbestimmung« eintreten. Das wird nicht einfach, weil die Madrider Regierung unter Mariano Rajoy und seine rechte Volkspartei (PP) das Referendum mit Berufung auf die spanische Verfassung als illegal bezeichnen und angekündigt haben, es verhindern zu wollen.

In Barcelona zeigt man sich davon wenig beeindruckt und verweist auch darauf, dass sich Schottland mit Großbritannien darauf geeinigt hat, ebenfalls 2014 über die Unabhängigkeit vom Königreich abzustimmen. Mas wird am Freitag wiedergewählt und ERC-Chef Junqueras ist überzeugt davon, dass es eine »stabile und starke Regierung« wird, weil Katalonien sie in diesem Moment brauche.

Der Wahlverlierer Mas und der Wahlsieger Junqueras haben sich zusammengefunden, obwohl sie sozial- und wirtschaftspolitisch bisher nichts einte. Die ERC kam bei den Wahlen Ende November auf knapp 14 Prozent und ist mit 21 Sitzen mehr als doppelt so stark im Parlament in Barcelona vertreten als bisher. Mas wurde nicht nur die angestrebte eigene absolute Mehrheit verweigert, sondern seine CiU wurde sogar geschwächt. Ihr wird der Schwenk pro Unabhängigkeit nicht von allen abgenommen. Erst als die Verhandlungen mit Spanien über ein verbessertes Finanzierungsmodell gescheitert waren, übernahm Mas als Kapitän das Schiff in Richtung Unabhängigkeit. Nur mit der ERC an seiner Seite verfügt er über eine klare Mehrheit im Parlament.

In der Unabhängigkeitsfrage kann sich die neue Regierung auch auf die linksradikale CUP stützen, die erstmals ins Parlament gewählt wurde. Insgesamt treten zwei Drittel der Parlamentarier für das Selbstbestimmungsrecht ein, da es auch von der linksgrünen Initiative für Katalonien (ICV) verteidigt wird.

Die ERC hat stets für die Unabhängigkeit geworben. Sie fordert seit 2007 ein Referendum im Jahre 2014, wenn sich der Fall Kataloniens unter die Herrschaft der Bourbonen zum 300. Mal jährt. Aktiv unterstützte die ERC Abstimmungen, die in den vergangenen Jahren schon in Dörfern und Städten durchgeführt wurden. Die Befürworter der Unabhängigkeit waren dabei meistens deutlich in der Mehrheit - die Wahlbeteiligung allerdings war gering.

Die ERC hat aber auch den Auftrag erhalten, den neoliberalen Sparkurs der CiU zu stoppen. Zwar mussten die Linksrepublikaner im Regierungspakt Kompromisse eingehen, doch sie konnten viel durchsetzen. Die von der CiU abgeschaffte Erbschaftsteuer wird wieder eingeführt. Die Vermögensteuer und die Steuern auf höhere Einkommen werden erhöht. Es wird eine Kapitalertragsteuer geben, dazu eine Bankenabgabe und eine Steuer für Atomkraftwerke. Klar ist, dass Vermögende nun zur Kasse gebeten werden. Die CiU hatte zuvor die einfache Bevölkerung stark belastet. Zum Schutz kleiner Läden in Innenstädten und Dörfern sollen auch große Supermärkte vor den Toren der Städte stärker besteuert werden. Für die ERC war all das »unverzichtbar«, um das Haushaltsdefizit einzudämmen und den »Übergang zu einem eigenen Staat« einzuleiten. Der steht aber nach wie vor in den Sternen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. Dezember 2012


"Pakt für die Freiheit"

Katalanen sollen 2014 über die Unabhängigkeit von Spanien abstimmen

Von Carles Solà und Mela Theurer, Barcelona **


Katalonien soll 2014 über seine Unabhängigkeit abstimmen. Darauf haben sich in dieser Woche die beiden stärksten Fraktionen im katalanischen Parlament, die konservative CiU und die links-republikanische ERC, geeinigt. Zugleich sollen im Haushalt für das kommende Jahr vier Milliarden Euro eingespart werden. Durch diesen am Mittwoch unterzeichneten »Pakt für die Freiheit« zwischen den Parteien haben CiU-Chef Artur Mas und der ERC-Vorsitzende Oriol Junqueras nach schwierigen Verhandlungen den Weg für eine erneute Vereidigung von Mas als Präsident der katalanischen Regionalregierung, der Generalitat, freigemacht, die nun am Montag durchgeführt werden soll.

Dem Abkommen zufolge soll auf der ersten ordentlichen Plenartagung des am 25. November neu gewählten Parlaments die »Souveränität des katalanischen Volkes« erklärt werden. Im kommenden Jahr soll dann ein katalanisches Gesetz über Volksbefragungen verabschiedet werden. Zugleich soll mit der spanischen Regierung über die Durchführung des Referendums im Rahmen der Legalität verhandelt werden. Die Vorbereitungen sollen bis Ende 2013 abgeschlossen und dann das genaue Datum der Volksabstimmung festgelegt werden, die in jedem Fall 2014 stattfinden soll. Verschoben werden darf das Referendum dem Abkommen zufolge nur aufgrund »höherer Gewalt« und wenn beide Vertragsparteien dem zustimmen. Eine solche Einwilligung schloß ERC-Pressechef Sergi Sol praktisch bereits aus. Dazu müsse schon »eine Atombombe abgeworfen« werden, zitierte ihn der Fernsehsender TeleSur.

Zu Lasten des Bildungswesens, der öffentlichen Gesundheitsversorgung und von Hilfen für die ärmsten Teile der Bevölkerung gehen die von den beiden Parteien vereinbarten Sparmaßnahmen in Milliardenhöhe. Durch neue Steuern sollen zugleich die Einnahmen der Regionalregierung um eine Milliarde steigen. Die Hälfte dieser Summe erhoffen sich CiU und ERC aus einer Steuer auf Bankeinlagen, die nicht die normalen Konsumenten treffen soll. Die neue Abgabe wurde bereits unter Verweis auf die Dringlichkeit durch die geschäftsführende katalanische Regierung beschossen, um zu verhindern, daß sich die spanische Regierung diese Einnahmequelle einverleibt, wie es Madrid bereits angekündigt hatte. Weitere Steuern treffen zum Beispiel Atomkraftwerke und andere Unternehmen, die Umweltschäden verursachen, und werden auf zuckerhaltige Getränke oder die Übertragung von Unternehmenseigentum erhoben.

Die Opposition reagierte überwiegend negativ auf das Abkommen. Während die gegen die Selbstbestimmung Kataloniens eingestellten Sozialdemokraten (PSC), die Volkspartei (PP) und die liberalen Ciutadans ebenso wie die Regierung in Madrid und Unternehmerverbände die Vorbereitung des Referendums generell als falschen Weg verurteilen, kritisieren die katalanischen Linken von ICV-EUiA und CUP, daß CiU und ERC die anderen Parteien und die Gesellschaft nicht in ihre Einigung einbezogen haben.

Der »Pakt für die Freiheit« spaltet die politische Landschaft Kataloniens in Unterstützer und Gegner der Unabhängigkeit. Alle sind sich jedoch einig darin, daß das Abkommen von historischer Bedeutung nicht nur für Katalonien, sondern auch für Spanien und ganz Europa sein dürfte. Denn wenn es bei der Vereinbarung zwischen Mas und Junqueras bleibt, werden die Katalanen neben den Schotten das zweite Volk Europas sein, das 2014 über seine Zukunft entscheidet.

** Aus: junge Welt, Freitag, 21. Dezember 2012


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