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600 Euro für Konfetti

Spanien versinkt im Korruptionssumpf. Hunderttausende fordern Rücktritt von Ministerpräsident Mariano Rajoy

Von Carmela Negrete *

Spaniens Institutionen werden durch eine Reihe von Skandalen erschüttert, einschließlich der Krone und der Regierung. Sie könnten Auseinanderbrechen des Staates durch Unabhängigkeitsbestrebungen führen. Auch die Spitze der regierenden Volkspartei (PP) sieht sich in den Strudel der Affären mitgerissen. In der vergangenen Woche veröffentlichte die Tageszeitung El País eine Reihe von Geheimdokumenten, in denen der frühere Schatzmeister der PP, Luis Bárcenas, über Jahrzehnte hinweg Schwarzgeldzahlungen an die Parteispitze festgehalten haben soll (jW berichtete). Allein auf den Namen des heutigen Regierungschefs Mariano Rajoy sind für einen Zeitraum von elf Jahren insgesamt bis zu 320000 Euro notiert.

Zahlreiche gegenwärtige Minister haben den Enthüllungen zufolge zudem zwischen 1990 und 2008 Zusatzgehälter und andere Geschenke kassiert, die teilweise bar in neutralen Briefumschlägen mit Tausenden Euro übergeben wurden. So soll Gesundheitsministerin Ana Mato, die derzeit die Privatisierung spanischer Krankenhäuser vorantreibt, allein 4600 Euro erhalten haben, um Konfetti für eine Geburtstagsfeier ihres Ehemanns kaufen zu können. Hinzu kommen unzählige gesponserte Reisen und Luxusgeschenke. Der Liste zufolge, auf deren Bekanntwerden die spanische Öffentlichkeit empört und mit lautstarken Rücktrittsforderungen reagiert hat, sollen auch der frühere Regierungs­chef José María Aznar sowie mehrere seiner Minister zu den Empfängern der illegalen Zahlungen gehört haben. Nahezu alle der Belasteten weisen die von der Zeitung erhobenen Vorwürfe bislang entschieden zurück.

Gegen das Gesetz

So kündigte Ministerpräsident Rajoy an, in dieser Woche seine Steuererklärungen zu veröffentlichen, um auf diese Weise seine persönlichen Konten transparent zu machen. Doch wenn die von El País verbreiteten Dokumente korrekt sind, hat Rajoy selbst dann gegen das Gesetz verstoßen, wenn diese Einkünfte beim Finanzamt deklariert worden wären. Den Kabinettsmitgliedern ist die Annahme von Geldern für Aktivitäten, die nichts mit ihren politischen Funktionen zu tun haben, untersagt. Rajoys Rücktritt wird deshalb inzwischen von allen Seiten gefordert. Eine entsprechende Onlinepetition wurde innerhalb weniger Tage mehr als 800000 Mal unterzeichnet.

Parallel zu den Enthüllungen der Tageszeitung wird gegen den langjährigen PP-Schatzmeister Bárcenas auch von der Justiz wegen seiner persönlichen Geschäfte ermittelt. Gegenüber dem Fiskus hatte er ein Jahreseinkommen von 200000 Euro angegeben, doch zugleich besaß er in der Schweiz ein Bankkonto mit 22 Millionen Euro. Zu seiner Verteidigung erklärte Bárcenas nun, die Hälfte der Summe habe er im Rahmen der von der Regierung 2012 erlassenen »Steueramnestie« legalisiert. Dieser Regelung zufolge bleibt Steuerhinterziehung straffrei, wenn die hinterzogene Summe nach Spanien zurückgebracht und nachträglich mit zehn Prozent versteuert wird. Die Regierung hatte argumentiert, dadurch große Geldmengen zurückfließen lassen zu können und Geldwäsche zu erschweren.

Die von Bárcenas in Briefumschlägen verteilten Gelder sollen von großen börsennotierten Konzernen und wichtigen Bauunternehmen stammen, die auch schon im Zusammenhang mit anderen Korruptionsskandalen aufgefallen sind. Wie die Zeitung Diagonal berichtete, sollen vier der Bauunternehmen, die der PP Geld gespendet haben, anschließend mit dem Bau von fünf Krankenhäusern beauftragt worden sein, die als private Einrichtungen in der Gemeinde Madrid errichtet wurden. Ihr Geschäftsvolumen mit der Regierung beläuft sich auf 45 Millionen Euro im Jahr. In anderen Medien hieß es sogar, drei der Baufirmen hätten in der Folge ihrer Zahlungen Aufträge in Höhe von 6,6 Milliarden Euro erhalten.

In Spanien ist das »Rechnungsprüfungsgericht« für die Kontrolle des Finanzgebarens der Parteien zuständig. Der Name »Gericht« ist in diesem Fall jedoch falsch, denn die Ermittlungen führen keine Richter, sondern von den beiden Kammern des spanischen Parlaments ernannte Beamte. Diese agieren so langsam, daß die letzten veröffentlichten Berichte über die Rechnungsprüfung und das Spendenaufkommen der Parteien noch aus dem Jahr 2007 stammen. Damit sind solche Berichte sinnlos, denn den geltenden Gesetzen zufolge verjährt illegale Parteienfinanzierung nach vier Jahren. Hinzu kommt, daß El País zufolge einer der großzügigen Geldgeber der PP Ubaldo Nieto war, der zum Zeitpunkt seiner Zahlungen – 2004 – selbst Präsident des Rechungsprüfungsgremiums war. Außerdem ist die Bestrafung derjenigen, die während ihrer Amtszeit als Mitglieder der Regierung Extragehälter kassiert haben, Aufgabe des Kabinetts selbst. Einen entsprechenden Antrag muß der Minister für öffentliche Verwaltung stellen. Als Rajoy zwischen 1996 und 1999 Privatspenden angenommen haben soll, besetzte er im Kabinett von Aznar diesen Ministerposten, hätte sich also selbst anzeigen müssen.

Das spanische Regierungssystem ist auf allen Ebenen leckgeschlagen. Die Monarchie genießt den Umfragen zufolge so wenig Unterstützung wie nie zuvor, nachdem der Schwiegersohn des Königs, Iñaki Urdangarin, angeklagt ist, im Institut Nóos, einer gemeinnützigen Einrichtung, Millionen unterschlagen und zwischen 2004 und 2006 Steuern hinterzogen zu haben. Urdangarin und sein Partner Diego Torres konnten nur durch Zahlung einer Kaution in Höhe von 8,1 Millionen Euro auf freiem Fuß bleiben.

Die unterschlagenen Finanzmittel stammten offenbar aus Fonds der Regierung der Balearen, aus denen Urdangarin rund 2,3 Millionen Euro an eine Firma in seinem Privatbesitz abgezweigt haben soll. Die Stadtverwaltung von Palma de Mallora, der Hauptstadt der Inselgruppe, hat inzwischen gefordert, ihm den Titel »Herzog von Palma« zu entziehen. Auch von der offiziellen Homepage des Königshauses wurde Urdangarin getilgt. Juan Carlos hat seine Tochter und ihren Gatten zudem aufgefordert, nicht an offiziellen Zeremonien teilzunehmen.

Prinzessin unter Verdacht

Unklar ist jedoch, wieviel Infantin Cristina von den Machenschaften ihres Gatten wußte. Die Ehefrau von dessen Kompagnon Diego Torres jedenfalls wurde wegen Mitwisserschaft angeklagt. Das blieb der Prinzessin bislang erspart, in Spanien wird jedoch nicht mehr ausgeschlossen, daß auch sie Ziel der gerichtlichen Untersuchung werden wird. Dem Leitungsgremium des Instituts Nóos hatten fünf Personen angehört – vier von ihnen sind bereits vor Gericht geladen worden, nur die Tochter des Königs bislang nicht. Auch der Sekretär der Infantin mußte bereits aussagen – zumal er Schatzmeister des Instituts gewesen war.

Seit El País die Schwarzgeldzahlungen der PP veröffentlicht hat, protestieren täglich zahlreiche Spanier gegen die Korruption. In praktisch allen Städten versammeln sich Tausende Menschen vor den Parteizentralen der PP, um den Rücktritt des Regierungs- und Parteichefs zu verlangen. In Barcelona übernachteten zahlreiche Demonstranten sogar in einem improvisierten Protestcamp auf der Plaça Catalunya, nachdem sie auf einer Versammlung über den Kampf gegen die politische Korruption diskutiert hatten. In Madrid gab es ebenfalls den Versuch eines Protestlagers, doch hier schritt umgehend die Polizei ein. In Sevilla wurde bei einer solchen Aktion ein Rechtsanwalt festgenommen, weil er zwar seinen Personalausweis vorzeigte, ihn den Polizisten jedoch nicht aushändigen wollte. Der Jurist begründete seine Haltung damit, daß der Personalausweis laut Gesetz niemandem – auch nicht zeitweilig – abgenommen werden dürfe. Das reichte der Polizei, ihn in Handschellen auf die Wache mitzunehmen und dort stundenlang festzuhalten. Als er auf freien Fuß gesetzt wurde, wurde dem Anwalt mitgeteilt, er werde im Juni zum Prozeß vorgeladen.

Die nächste große Demonstration in Madrid ist für den 23. Februar angekündigt und soll sich gegen den »Staatsstreich der Märkte« richten. An diesem Tag erinnert Spanien an den Putschversuch des Oberstleutnants Antonio Tejero 1981. Teile des Militärs hatten damals versucht, den Übergang von der Diktatur zur Demokratie aufzuhalten. Zum Jahrestag werden in der Hauptstadt unzählige Autobusse aus allen Teilen Spaniens erwartet. Zudem wird bereits über einen weiteren Generalstreik im März gesprochen, für den es jedoch noch keine offizielle Bestätigung der Gewerkschaften gibt.

* Aus: junge welt, Mittwoch, 6. Februar 2013


Umfrage: Regierungspartei schmiert ab

In Spanien ist angesichts der dramatischen sozialen Krise und der Serie von Korruptionsskandalen die Unterstützung für die regierende Volkspartei PP eingebrochen. Einer am Wochenende von der Tageszeitung El Periódico veröffentlichten Umfrage zufolge würde die Rechtspartei 50 Sitze im spanischen Parlament verlieren, wenn am Sonntag gewählt würde. Sie bliebe zwar stärkste Partei, würde aber ihre bisherige absolute Mehrheit klar verlieren und nur noch 133 bis 135 Mandate im 350 Sitze zählenden Parlament behalten können. Von den Verlusten profitiert jedoch die stärkste Oppositionspartei, die sozialdemokratische PSOE, kaum. Sie kann der Umfrage zufolge nur von 110 auf 120 bis 123 Sitze zulegen. Damit jedoch steht das etablierte Zweiparteiensystem in Spanien vor dem Aus: Nie zuvor hatten die beiden großen Parteien zusammen so wenig Präsenz in der Legislative. »Die Regierbarkeit des Landes hängt damit von einem erstmaligen Pakt zwischen PP und PSOE ab, oder von anderen Abkommen, die so viele Akteure einbeziehen müßten, daß das Wort ›Dreiparteienbündnis‹ nicht mehr ausreichen würde«, kommentierte das Blatt am vergangenen Sonntag.

Profitieren würden von den Stimmverlusten einerseits die 2007 gegründete spanisch-nationalistische UPyD, andererseits die Vereinigte Linke (IU), die mit 22 bis 25 Sitzen die größte Fraktion ihrer Geschichte erreichen könnte. Für ihren Sprecher Ramón Luque belegen diese Zahlen den »strukturellen Niedergang« des Zweiparteiensystems. Durch die Wahlordnung werden die beiden größten Kräfte begünstigt, so daß sich seit 1982 PP und PSOE an der Regierung abwechseln konnten. Auch nach Neuwahlen dürften die beiden Großparteien dadurch wieder das Parlament dominieren, obwohl sie zusammen nur noch auf weniger als 50 Prozent der Stimmen kommen, wie Luque unterstrich. »Es ist an der Zeit, den Bürgern das Wort zu geben«, forderte er.

Neuwahlen jedoch verweigert Ministerpräsident Mariano Rajoy bislang. Rückendeckung dafür erhielt er am Montag in Berlin von Bundeskanzlerin Angela Merkel. »Wir werden auch weiter gut zusammenarbeiten«, versprach sie, denn sie habe »große Hochachtung« für das, »was in Spanien an Reformen auf den Weg gebracht wurde«.

** Aus: junge welt, Mittwoch, 6. Februar 2013


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