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Nicht mehr zu retten

Rezession, maroder Finanzsektor, erschreckende Arbeitslosigkeit. Spanien rutscht durch "Sparprogramm" und "Bankenrettung" tiefer in Krise

Von Rainer Rupp *

Bankia wird verstaatlicht. Nach tagelangen Unruhen auf den Finanzmärkten hat der spanische Regierung am Mittwoch entschieden, die Kontrolle über das viertgrößte Kreditinstitut des Landes zu übernehmen. Von den acht Banken, die die Regierung in den vergangenen vier Jahren »gerettet« hat, ist Bankia bei weitem die Größte. Sie entstand aus mehreren regionalen Sparkassen (Cajas), die 2010 von der Regierung zum Zusammenschluß gezwungen worden waren. 4,5 Milliarden Euro Zuschuß gab es obendrauf. Nur gelöst wurden die Probleme damit nicht.

In den zurückliegenden Tagen und Wochen hatte sich die Lage des spanischen Finanzsektors dramatisch verschlechtert. Insbesondere Bankia war unter Druck geraten – angeblich weil der Kassenzusammenschluß von allen spanischen Kreditinstituten am stärksten unter den Auswirkungen der vor vier Jahren geplatzten Immobilienblase leidet. Der Untergang von Beton-Spanien führte u.a. dazu, daß die engagierten Kreditinstitute seither Berge fauler Kredite mit sich schleppen.

Die vermutlich uneinbringlichen Außenstände werden zunehmend vom Staat übernommen. Mit dem Ergebnis allerdings, daß er immer näher an die Schwelle zur Staatspleite rutscht. Es wäre der GAU für die Euro-Zone. Dabei steht Spanien mit seinen Staatsschulden im Vergleich immer noch relativ gut da, auch wenn die Übernahme von Bankia Madrid mindestens weitere 30 Milliarden Euro kosten wird.

Spaniens Geldhäuser ächzen nach offiziellen Angaben an faulen Krediten im Nennwert von 184 Milliarden Euro. Allerdings wird das tatsächliche Volumen von Finanzmarktexperten auf mindestens das Doppelte geschätzt. Bisher haben die Banker lediglich Wertberichtigungen von 15 bis 20 Prozent auf diese Altlasten vorgenommen. Tatsächlich sollten es eher 50 Prozent sein. Das einzugestehen hätte jedoch sofort eine hohe Nachschußpflicht an Eigenkapital zur Folge – was zur sofortigen Pleite führen würde.

Nicht zuletzt wegen dramatischer Reduzierung der Staatsausgaben befindet sich die spanische Wirtschaft in einer Rezession. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt landesweit bei 24 Prozent, bei der Jugend ist sie gar doppelt so hoch. Wie Griechenland steckt Spanien in der Falle: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpft, die Einnahmen sinken und die Aufwendungen für soziale Grundversorgung steigen. Durch den BIP-Rückgang steigt der Verschuldungsgrad. Da die Regierung fest entschlossen scheint, den Bankensektor vor dem Konkurs zu retten, dürfte dieser deutlich über die bisherigen 85 Prozent (gemessen am BIP) steigen.

Dabei hatten sich die iberischen Banken und Kassen kräftig an den Billigkrediten der Europäischen Zentralbank bedient. Die EZB hatte Westeuropas Finanzkonzerne mit 1000 Milliarden Euro überschüttet. Doch die Wirkung dieser Aktion war schnell verpufft. Jetzt zweifeln die Finanzmarktakteure ernsthaft an Spanien. Trotz erneuter EZB-Unterstützung hatte Madrid zuletzt wieder Probleme, seine Schatzbriefe zu akzeptablen Zinsen loszuwerden. Deren Verzinsung liegt wieder bei sechs Prozent, nähert sich also der »Schmerzgrenze«, die die Zinslast unbezahlbar machen würde. Als die Griechen, Iren und Portugiesen an diesem Punkt waren, mußten sie den Euro-»Rettungsfonds« in Anspruch zu nehmen.

Spanien weiter über Wasser zu halten bedeutet erneut Sonderschichten für die Notenpresse der EZB. Es sei denn, die schrumpfende Zahl der noch »gesunden« Euro-Staaten würde den Rettungsfonds mit Garantien von mindestens einer Billion Euro auffüllen. Doch dann steht vermutlich sofort die »Rettung« Italiens auf der Agenda – was eine weitere Billion Euro erfordern dürfte.

Neben Deutschland gibt es in der Euro-Zone kaum noch finanzstarke Länder, die sich höchster Kreditwürdigkeit erfreuen. Aber nur Länder mit dem »AAA«-Rating können die notwendigen Garantieren gewähren. Deutschland müßte also einen immer größeren Anteil davon übernehmen, was von der Merkel-Regierung kaum noch durchzusetzen sein dürfte.

Der Finanzexperten John Mauldin hat ausgerechnet, daß das Lohnniveau in Spanien um 30 Prozent fallen müßte, um die dortige Wirtschaft mit der der nordeuropäischen Länder der Euro-Zone wettbewerbsfähig zu machen. Das aber würde eine in der Weltgeschichte einmalige, sich über viele Jahre hinziehende Verarmung der arbeitenden Bevölkerung bedeuten. Und das alles nur, um den Euro zu behalten? Kein demokratisches System könnte diesem Druck standhalten. Die Krise läßt Spanien praktisch nur die Wahl: Ein Ende mit Schrecken oder ein Schrecken ohne Ende.

* Aus: junge Welt, Samstag, 12. Mai 2012


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