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Madrid versinkt im Müll

Nach Warnstreiks ist die Stadtreinigung in der spanischen Hauptstadt gegen Entlassungen und Lohnkürzungen unbefristet in den Ausstand getreten

Von Ralf Streck *

Die Demonstranten machen die Politik der Madrider Bürgermeisterin Ana Botella für ihre Lage verantwortlich. Auch die Privatisierung großer Teile des Dienstleistungssektors sei Schuld.

Wer die nächsten Wochen in die spanische Hauptstadt reisen will, sollte eine Schutzmaske einpacken, denn Madrid richtet sich auf stinkende Müllberge ein. Nach Warnstreiks, die schon deutliche Spuren hinterließen, haben nun die Stadtreinigung und die Gartenpfleger im Protest gegen die Entlassung von 1134 der etwa 6000 Beschäftigten sowie gegen Lohnkürzungen unbefristet ihre Arbeit niedergelegt.

Schon am ersten Streiktag waren die Auswirkungen deutlich. Die Müllcontainer auf den Straßen, die sonst täglich geleert werden, waren am Dienstagmorgen prall gefüllt und in den Straßen lag Abfall herum.

»Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es die nächsten Tage aussehen wird«, sagt der 39-jährige Raúl Ramírez, der im Zentrum Madrids im Stadtteil Lavapiés wohnt. Auch sein Nachbar Isaac García ist schon jetzt entsetzt. »Wenn der Streik länger dauert, können wir uns sonst etwas zuziehen«, sagt der Besitzer des Lebensmittelgeschäfts, der zudem um seine Kunden fürchtet.

Die Gründe für den Ausstand können sie allerdings verstehen. Schließlich hat sogar das Arbeitsministerium am Dienstag eingeräumt, auch im Oktober seien in Spanien 87 000 Stellen verloren gegangen. Mittlerweile sind in dem Land mit fast sechs Millionen Menschen gut 26 Prozent arbeitslos. Allein in der Hauptstadt gingen erneut rund 5000 Jobs verloren, wo nun mehr als 550 000 Menschen ohne Arbeit sind. Dazu kommt, dass die vier großen Unternehmen FCC, OHL, Sacyr und Cepsa, die privatisierte Dienstleistungen erbringen, die Löhne um bis zu 43 Prozent drücken und die Arbeitszeit von 35 auf 40 Stunden pro Woche ausweiten wollen. Die Verhandlungen sind festgefahren, und schon jetzt sei der Arbeitsaufwand kaum zu leisten, nachdem es schon zu Entlassungen gekommen sei, sagen die Gewerkschaften. Noch einmal ein Viertel der Beschäftigten freizustellen, mache die Lage untragbar und Madrid werde im Müll versinken, befürchten nicht nur Streikende.

»Wie sollen wir mit 700 Euro im Monat leben und dafür von Montag bis Sonntag arbeiten?«, fragt einer der Straßenkehrer am Rande einer Demonstration in der Innenstadt. »Wenn sie uns entlassen, dann brennt der Müll in Madrid.« Dass das keine leere Drohung ist, machten die gut 8000 Demonstranten schon deutlich. Auf dem Weg zur Abschlusskundgebung wurden Abfallcontainer umgeworfen und zum Teil in Brand gesteckt. Moises Torres, Sprecher der Gewerkschaft UGT, hatte so viele Teilnehmer nicht erwartet. Das zeige, dass der Streik auch auf eine breite Unterstützung in der Bevölkerung stoße.

Die Streikenden machen die Bürgermeisterin Ana Botella für die Lage verantwortlich. Die Privatfirmen versuchten weiter Gewinne zu machen und die neue Budgetkürzung des Stadtrats um 27 Prozent auf 1,9 Milliarden Euro voll auf die Beschäftigten abzuwälzen. Kritisiert werden die Privatisierungen, die die konservative Volkspartei (PP) durchgedrückt hat. Dass große Firmen Gewinne aus Steuermitteln abzweigten, gehe zu Lasten der Bevölkerung und der Sauberkeit der Stadt.

Viele sehen die Privatisierung, wie sie die Konservativen auch im Gesundheitswesen vorhaben, als einen Kern des Problems. Der junge Student Mauricio Pérez hat sich mit den Beschäftigten der Stadtreinigung solidarisiert und ebenfalls am Montag demonstriert. »Ist es ein Zufall, dass die Namen der großen Baufirmen FCC, OHL und Sacyr ausgerechnet auf illegalen Spendenlisten der PP auftauchen?«, fragt er.

Er spielt damit auf Aufzeichnungen des ehemaligen PP-Schatzmeisters Luis Bárcenas an. Der sitzt seit Juni in Untersuchungshaft und hat nach seiner Verhaftung dem Ermittlungsrichter Pablo Ruz gestanden, dass sich die PP »in den letzten 20 Jahren illegal finanziert hat«. Das Geld stamme von »Baufirmen und anderen Unternehmen«, die dafür »im Gegenzug an öffentliche Aufträge« kamen. Millionen flossen auf Schwarzgeldkonten in der Schweiz. Davon wurden auch »Zusatzlöhne« steuerfrei an die Parteiführer in bar ausgezahlt, bestätigte am Sonntag der ehemalige Organisationssekretär der Partei in Galicien dem Fernsehsender »Sexta«.

Pablo Crespo, ein Hauptbeschuldigter im großen PP-Korruptionsskandal, gab zu, selbst Schwarzgeld ausgezahlt zu haben: »Fast alle großen Baufirmen waren mit von der Partie.« Auch Ministerpräsident Mariano Rajoy, mit Crespo in Galicien politisch aufgewachsen, hätte die Vorgänge gekannt. Rajoy soll sogar die größte Gesamtsumme aus den schwarzen Kassen erhalten haben.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 8. November 2013


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