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Menschliche Schutzmauer

Baskenland: Hunderte schützen verurteilte Jugendliche vor Verhaftung

Von Uschi Grandel *

Der Boulevard ist eine der Prachtstraßen im baskischen Donostia (spanisch: San Sebastian). Seit einigen Tagen ist er »Aske Gunea« (Freiraum) für acht junge Leute, die vor einer Woche vom spanischen Tribunal Supremo, dem Obersten Gerichtshof Spaniens, als »Mitglieder einer terroristischen Organisation« zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Die Mitgliedschaft in der baskischen linken Jugendorganisation Segi, das Organisieren politischer Workshops, Kampagnen und Demonstrationen bestraften die spanischen Richter mit mehrjährigen Gefängnisstrafen. In ihrem Urteil werden beschlagnahmte Musik-CDs, T-Shirts und Poster zu Belegen für Terrorismus.

Seit Tagen strömen Hunderte Unterstützer auf den Boulevard, um gemeinsam mit den Verurteilten passiven und friedlichen Widerstand gegen die drohende Festnahme zu leisten. Sie organisieren Workshops, Vorträge und Konzerte. Die »menschliche Schutzmauer« gegen die drohende Verhaftung von Imanol Vicente, Nahikari Otaegi, Ekaitz Ezkerra, Aitor Olaizola, Adur Fernández, Oier Lorente, Mikel Arretxe und Egoi Alberdi konnte bereits zweimal deren Verhaftung verhindern, berichtet die baskische Tageszeitung Gara am Donnerstag. Seit den Razzien der Polizei im Jahr 2007 mußten die ursprünglich fünfzehn Jugendlichen einiges durchstehen. Sie berichteten von Folter während der tagelangen Isolationshaft nach ihrer Festnahme. Ihre »Geständnisse« seien erzwungene Selbstbezichtigungen. Einige Jugendliche waren bereits mehr als ein Jahr lang »präventiv« inhaftiert. Daß am Ende nur sieben von fünfzehn freigesprochen wurden und die acht übrigen hohe Haftstrafen erhielten, empört viele im Baskenland. Die Stadtverwaltung von Donostia, dem Heimatort der Jugendlichen, kritisierte die richterliche Entscheidung scharf. Die Menschenrechtskommission der Stadt hatte zuvor mit den Stimmen der Linkskoalition Bildu und der baskischen konservativen PNV den Freispruch der jungen Leute gefordert, weil die Anklage »das Recht auf Versammlung, politische Teilhabe und Meinungsfreiheit« verletze.

Die Bürgerrechtsorganisation Eleak berichtet, daß »derzeit mehr als 200 Menschen im Baskenland auf Gerichtsverfahren warten, die gegen sie angestrengt werden, weil sie Mitglieder von Bürgerinitiativen oder politischen Organisationen sind«. Daran hat auch das Ende des bewaffneten Kampfes der baskischen Untergrundorganisation ETA (Baskenland und Freiheit) vor eineinhalb Jahren nichts geändert. Spanien behält die Politik der Kriminalisierung bei und will nicht wahrhaben, daß diese längst gescheitert ist. Die baskische linke Unabhängigkeitsbewegung konnte mit der Partei Sortu und der Jugendorganisation Ernai gegen den Widerstand der spanischen Regierung neue legale Organisationen etablieren. Wahlbündnisse der baskischen Linken mit kleineren sozialdemokratischen Parteien haben in den vergangenen Jahren hohe Wahlerfolge erzielt. In der baskischen Provinz Gipuzkoa ist Bildu stärkste Kraft, in Donostia stellt die Koalition den Bürgermeister. Der »Aske Gunea«, der Freiraum der verurteilten Jugendlichen auf dem Boulevard von Donostia, wäre ohne die Unterstützung der Stadt kaum möglich. In einem Appell an die von der PNV geführten Regierung der Baskischen Autonomen Gemeinschaft fordern die Jugendlichen, sich den Anweisungen aus Madrid zu widersetzen und die baskische Polizei Ertzaintza nicht für ihre Festnahme einzusetzen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 19. April 2013


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