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Krise eines ausstehenden Friedensprozesses

Spanische Regierung setzt im Baskenland weiter auf Repression und bricht Vereinbarungen

Von Ralf Streck, San Sebastián *

Mit dem Aufflammen neuer Gewalt im Baskenland wird klar, dass der Friedensprozess an einem toten Punkt angelangt ist – weil er schlicht nicht beginnt.

Die linksnationalistische baskische Partei Batasuna (Einheit) warnt seit Wochen, dass die Zaghaftigkeit der sozialistischen spanischen Regierung den Friedensprozess gefährdet. Am Wochenende kam es zu gewalttätigen Aktionen, die der »Kale Borroka«, dem Straßenkampf von Jugendlichen, zugeschrieben werden. In San Sebastián (baskisch: Donostia) wurden ein Autobus gestoppt, die Insassen aus dem Fahrzeug geholt und der Bus anschließend in Brand gesetzt. In anderen Städten gab es Anschläge mit Brandsätzen auf Banken, im französisch-baskischen Ziburu scheiterte ein Anschlag auf das Haus von Michèle Alliot-Marie, der französischen Verteidigungsministerin.

Die Gewalt wird damit in Zusammenhang gebracht, dass sich trotz der sei fünf Monaten andauernden Waffenruhe der Untergrundorganisation ETA keine Bewegung abzeichnet, obwohl ständig von einem Friedensprozess geredet wird. Versammlungen werden weiter untersagt, debattiert wird derzeit gerade über das Verbot der jährlichen Demonstration während der Bilbaoer Festwoche. Hinter dem Marsch für das Selbstbestimmungsrecht der Basken wird die 2003 verbotene Partei Batasuna vermutet. Auch die jährliche Demonstration während der Festwoche in Donostia war ursprünglich verboten worden, wurde aber von Zehntausenden Menschen durchgesetzt.

In der vergangenen Woche hatte auch die ETA deutliche Warnungen an Madrid gerichtet: »Wenn die Angriffe auf das Baskenland anhalten, wird die ETA antworten.« In einer Erklärung an zwei Tageszeitungen hieß es: »Der Prozess befindet sich offensichtlich in einer tiefen Krise.« Verantwortlich dafür seien die Sozialisten (PSOE) von Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero und die moderaten baskischen Nationalisten. Beide versuchten, den Prozess, an dessen Ende alle Basken über ihre Zukunft frei und demokratisch entscheiden sollen, »seines Inhalts zu berauben«.

Zapatero hat nun darauf geantwortet und Wasser auf die Mühlen derer gespült, die ihm ohnehin nicht trauen. Das Parteiengesetz, das die rechtskonservative Volkspartei (PP) mit Hilfe der Sozialisten eigens zum Zwecke des Batasuna-Verbots erlassen hatte, werde nicht geändert, sagte der Premier. In der Krise befinde sich allein die Gewalt. Der einzige Weg zum Frieden führe über die Gesetze und die Prinzipien des Rechts, »angefangen mit dem Parteiengesetz«. Damit versperrt Zapatero der linken Unabhängigkeitsbewegung im spanischen Staat den Weg zurück in die Legalität. In Frankreich wurde die Partei nie verboten.

Dabei wäre es für viele Basken schön, wenn Zapatero die Legalität tatsächlich anwenden würde. Aber die Autonomie beispielsweise wurde nie vollständig realisiert. Und während verurteilte Mörder, Folterer und Entführer von den staatlichen Todesschwadronen schnell begnadigt werden, wird die Freilassung sogar von Gefangenen verhindert, die ihre Strafe vollständig abgesessen haben. So sollten am heutigen Dienstag David Pla und Aitor Lorente endlich frei kommen. Ihre sechs Jahre Haft wegen Unterstützung der ETA hatten sie schon vor einem Monat abgesessen. Doch es wurden plötzlich neue Verfahren eröffnet. Für die neuen Anschuldigungen sieht der Ermittlungsrichter Santiago Pedraz aber keine Belege und ordnete die Freilassung an. Diese wurde erneut verhindert, weil das Ministerium für Staatsanwaltschaft einen Widerspruch gegen den Beschluss eingelegt hat.

Der Gefangene Iñaki de Juana befindet sich schon seit zwei Wochen im Hungerstreik für seine Entlassung. Nach Verbüßung von 18 Jahren Haft kam er nicht frei, sondern wurde erneut in Untersuchungshaft genommen. Bemerkenswert an seinem Fall ist, dass er mit Artikeln in der Tageszeitung »Gara« aus dem Gefängnis heraus die ETA unterstützt haben soll. Wird sein Gesundheitszustand kritisch, könnte der Friedensprozess noch ernsthafter in Gefahr geraten. Die 700 baskischen Gefangenen sind meist weit entfernt vom Baskenland inhaftiert, obwohl das Strafrecht eine heimatnahe Verbüßung vorsieht. Auch in dieser sensiblen Frage, so betonte Batasuna, halte sich die PSOE nicht an die getroffenen Absprachen. Eine Verlegung der Gefangenen näher an ihre Wohnorte sei bei den Gesprächen zur Förderung des Friedensprozesses vereinbart worden.

* Aus: Neues Deutschland, 22. August 2006


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