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Gewerkschaften auf der Straße

Spanien: Generalstreik am 29. März? Studentenproteste in 20 Städten

Von Carmela Negrete, Sevilla *

In allen Provinzhauptstädten Spaniens haben am Mittwoch abend (29. Feb.) Hunderttausende Menschen gegen die Arbeitsmarktpolitik der Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy demonstriert. Die beiden großen Gewerkschaften CCOO und UGT schließen mittlerweile auch die Ausrufung eines Generalstreiks am 29. März nicht mehr aus. An diesem Tag sind entsprechende Großaktionen bereits für Galicien und das Baskenland angekündigt.

Die Forderung nach einem Generalstreik dominierte auch die Demonstrationen. Vor allem aus den »kritischen Blöcken« in den Zügen, die etwa in Sevilla von linken Gewerkschaften und Organisationen wie der anarcho-syndikalistischen CNT, der CGT, der andalusischen Landarbeitergewerkschaft und anderen gebildet wurden, hallten Sprechchöre wie »Wenn es keine Lösung gibt, gibt es eine Revolution«. Während die meisten Gewerkschafter nach dem Ende der Demonstration, mit der sie in Sevilla die Avenida de la Constitución, eine der wichtigsten Straßen der andalusischen Metropole, gefüllt hatten, nach Hause gingen, setzten die Aktivisten des Bündnisses »Der Kampf findet auf der Straße statt« ihren Protest mit einer Versammlung vor dem Rathaus fort, die bis Donnerstag (1. März) in die Morgenstunden dauerte.

Zentrales Thema für die Teilnehmer dieser spontanen Kundgebung waren die Zeitarbeitsfirmen. Nach den Plänen der Regierung in Madrid sollen diese künftig bei der Arbeitsvermittlung eine noch wichtigere Rolle spielen und dazu öffentliche Gelder erhalten. Es zeigten sich jedoch auch die Unterschiede in den Positionen der alternativen Bewegungen. Während etwa die Antikapitalistische Linke die Chefs von CCOO und UGT aufrief, endlich zum landesweiten Generalstreik aufzurufen, zeigten sich andere skeptisch. Die großen Organisationen seien »die Gewerkschaften des Kapitals« und würden die kapitalistische Herrschaft verteidigen. Einig war man sich jedoch in der Kritik an der Verhandlungsbereitschaft der beiden Mehrheitsverbände. Die Abkommen zwischen diesen und dem Unternehmerverband CEOE hätten erst die Grundlage dafür gelegt, daß die Regierung nun eine solche Reform dekretieren könne.

Die so attackierten Gewerkschaftsbünde warnen ihrerseits, daß ein übereilt ausgerufener Generalstreik auch scheitern könne und erinnerten an den letzten Ausstand im vergangenen Jahr, der nur relativ gering befolgt worden sei. Deshalb habe man zunächst zu diesem landesweiten Aktionstag aufgerufen, um die Stimmung unter den Arbeitern zu testen.

Neben den Gewerkschaften haben auch die Studierenden den Kampf gegen die Kürzungen aufgenommen. Am Mittwoch morgen begann in allen wichtigen Universitätsstädten Spaniens ein mehrtägiger Hochschulstreik. Schwerpunkt der Aktionen ist Katalonien. Die sieben öffentlichen Universitäten dieser autonomen Region mit 120000 Studenten und 16000 Lehrenden waren am Mittwoch ausgestorben. Stattdessen blockierten die Streikenden im frühen Berufsverkehr Straßen und sorgten für kilometerlange Staus. Auch Eisenbahnlinien wurden lahmgelegt, während eine Gruppe von Studenten die Studios der Cadena SER, des größten Rundfunksenders Spaniens, besetzten und eine Erklärung mit ihren Forderungen verlasen. Andere Aktivisten besetzten eine Filiale der zweitgrößten Bank des Landes, ­BBVA, und wurden von der Polizei geräumt.

In insgesamt rund 20 Städten haben sich die Studenten den Protesten angeschlossen, darunter in Galicien, Extremadura, Aragón und Madrid. Eine der größten Kundgebungen fand in Valencia statt, wo vor allem die weitgehende Abwesenheit der Polizei auffiel. Offenbar wollten die Behörden eine Wiederholung der Ereignisse in der vergangenen Woche vermeiden, als die Bilder von brutal auf protestierende Schüler einprügelnden Beamten um die Welt gegangen waren. Der valencianische Polizeichef hatte damals die Jugendlichen als seine »Feinde« bezeichnet. Mittlerweile wird gegen ihn ermittelt.

Anders das Bild in Barcelona, wo die Regionalpolizei Mossos d’Esquadra am Nachmittag die Universität im Zentrum der katalanischen Hauptstadt umstellte und auf Demonstranten und Passanten einprügelte. Ausgelöst wurde das Vorgehen der Beamten durch einige Vermummte, die Steine auf die Fensterscheiben von Bankfilialen geworfen und Müllcontainer in Brand gesteckt hatten. Ersten Berichten zufolge forderte das Vorgehen der Polizei mindestens zwölf Verletzte, zahlreiche Demonstranten wurden festgenommen. Studenten, Professoren, Hochschulangestellte und sogar Inspektoren der katalanischen Bildungsbehörden flüchteten sich vor der Gewalt der Polizisten in den Hof der Universität. Ein Betreten der Hochschulen ist der spanischen Polizei gesetzlich verboten, eine Konsequenz aus den traumatischen Erfahrungen der Verfolgung der Studentenbewegung unter der Franco-Diktatur. Trotz der Repression wurden die Aktionen am Donnerstag mit weiteren Straßenblockaden fortgesetzt, mehrere Hochschulen wurden von den Studenten besetzt.

* Aus: junge Welt, 2. März 2012


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