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Schlappe für Spaniens Sozialisten

Rechtsruck bei Regionalwahlen / Außerparlamentarische Bewegung setzt Aktionen fort

Von Ralf Streck, San Sebastián *

Die spanischen Sozialisten (PSOE) erlebten am Sonntag ein historisches Debakel. Bei den Wahlen zu 13 von 17 Regionalparlamenten und den Kommunalwahlen musste die PSOE ihre schwerste Niederlage seit Jahrzehnten einstecken. Derweil haben die Demonstranten in Madrid und spanischen Metropolen entschieden, ihre Proteste für wenigstens eine Woche fortzusetzen.

Statt eine Wahlempfehlung abzugeben, demonstrierten sie: Trotz Demonstrationsverbot gingen auch am Wahlwochenende zehntausende Spanier auf die Straßen, um mit friedlichen Protesten gegen die »Zweiparteiendiktatur« und das politische System aufzubegehren. Schon vor der Verkündung der Wahlergebnisse der Regional- und Kommunalwahlen in Spanien kündigte die Bewegung Democracia Real Ya (Echte Demokratie jetzt) an, die Protestlager auf den zentralen Plätzen vieler Städte fortzuführen. Sie fordern einen Schwenk in der Sozial- und Wirtschaftspolitik, allgemeine Reformen und auch eine Wahlrechtsreform, weil das bestehende kleine Parteien stark benachteiligt.

Offenbar haben die Proteste den Einbruch der regierenden spanischen Sozialisten noch vertieft. Die PSOE ist von schon schwachen 35 Prozent bei den Wahlen 2007 nun auf 27,8 Prozent landesweit abgestürzt. Sie hat Hochburgen, wie Sevilla und Barcelona verloren. Dazu gingen auch fast alle Regionalregierungen an die PP. Besonders schwer wiegt der Verlust von Kastilien-La Mancha.

Die Stammwählerschaft der rechten Volkspartei (PP) erreichen die Proteste offenbar nicht. Dennoch ist die Freude der PP über ihren Sieg nicht ungetrübt. Zwar haben für sie fast 38 Prozent der Bevölkerung gestimmt, doch vor zwei Jahren bei den Europawahlen nach Beginn der Krise waren es noch gut 43 Prozent. Hier zeigt sich der Einfluss der Demokratiebewegung, die vielen klar gemacht hat, dass die PP nicht der Retter, sondern der Wolf im Schafspelz ist. Davon hat die Vereinte Linke (IU) profitiert, die auf 6,3 Prozent der Stimmen kam. Eine schwache Wahlbeteiligung ist für das IU-Ergebnis nicht verantwortlich. Sie war mit 66,23 Prozent gut zwei Prozent höher als vor vier Jahren.

Mithilfe der IU, die einen Teil unzufriedener PSOE-Wähler anzog, könnte die PSOE wenigstens in der Extremadura weiter regieren, wo PSOE und IU eine knappe Mehrheit hätten.

Im Baskenland haben die Wähler für einen deutlichen Linksruck gesorgt. PSOE und PP, welche seit 2009 die autonome Region regieren, brachen ein. Die linke Unabhängigkeitsbewegung war von den Wahlen 2009 ausgeschlossen. Nun wurde die Linkskoalition Bildu (Sammeln) auf Anhieb zweitstärkste Kraft, nachdem das Verfassungsgericht das Verbot kassierte. Hier sind die Wähler der linken Unabhängigkeitsbewegung, die traditionell Batasuna (Einheit) wählten, mit denen der sozialdemokratischen Solidaritätspartei (EA) und Alternatiba, einer Abspaltung der baskischen IU, vereint.

In der Provinz Gipuzkoa erhielt sie 35 Prozent und wurde dort zur stärksten Kraft vor der großen Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV). Die Basken belohnten ihren dauerhaften Einsatz für eine Friedenslösung. Bildu hat der Gewalt der Untergrundorganisation ETA eine Absage erteilt und sie zur Waffenruhe gezwungen. Auf noch unruhigere Zeiten muss sich derweil Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero einrichten, der vorgezogene Neuwahlen erneut ausschloss. Planmäßig sind sie für das Frühjahr 2012 angesetzt.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Mai 2011


Schwimmen oder untergehen

Spanien: Bei den Regional- und Kommunalwahlen erlebt die PSOE ein Desaster. Doch die rechte PP könnte zu früh gejubelt haben

Von Elli Rötzer **


Bei den spanischen Kommunalwahlen am Sonntag hat die regierende Spanische Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) mit nur noch 27,8 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Übergang zur parlamentarischen Demokratie nach dem Tod des Diktators Francisco Franco 1975 erzielt, die aus Eliten des Francoregimes hervorgegangene Volkspartei (PP) hingegen mit 36,8 Prozent der Stimmen ihr bestes. Zwischen der PSOE und der PP tut sich damit ein Abgrund auf: Zwei Millionen Wählerstimmen und zehn Prozentpunkte liegen zwischen den beiden großen spanischen Parteien.

In 13 Regionen und in allen Kommunen fanden die Wahlen statt, und fast überall unterlagen die Sozialisten. Sie müssen vier Regionen an die PP abgeben, darunter auch ihre Hochburg Kastilien–La Mancha. Dort hatte die PSOE seit dem Ende der Diktatur ohne Unterbrechung regiert. Nach 32 Jahren muß ihre katalanische Schwesterpartei PSC auch die Stadtregierung von Barcelona an die bürgerlich-nationalistische CiU abgeben. Und auch die andalusische Hauptstadt Sevilla wird zum ersten Mal einen rechten Bürgermeister haben.

Präsident José Luis Rodriguez Zapatero machte für das schlechte Ergebnis die Wirtschaftslage verantwortlich. »Die Bürger haben uns angesichts der Krise ihr Unwohlsein gezeigt«, sagte er am Wahlabend gefaßt. »Es ist klar, daß die Regierung und damit die PSOE abgestraft wird.« Neuwahlen des spanischen Parlaments schloß Zapatero aber aus. Die hatte PP-Chef Mariano Rajoy gefordert. Regulär stehen in Spanien die nächsten Parlamentswahlen im März 2012 an. Andere PSOE-Politiker waren weniger gefaßt und sprachen angesichts des Wahlergebnisses von einem Tsunami. Es gehe jetzt darum, ob die Partei schwimmen oder in der Welle untergehen werde.

Die PP hatte ihren Wahlkampf teilweise mit aggressiven rechten Parolen betrieben. In Katalonien, wo die meisten Einwanderer Spaniens leben, hatten einige Kandidaten die Immigranten für Krankheiten verantwortlich gemacht. Außerdem wurde eine harte Hand gegenüber illegalen Einwanderern angekündigt. Wären am Sonntag Parlamentswahlen durchgeführt worden, hätte diese Partei die absolute Mehrheit nur um zwölf Sitze verpaßt. Allerdings erzielten die Konservativen auch bei den Kommunalwahlen im Jahr 2007 ein wesentlich besseres Ergebnis als die PSOE, die Regierung stellten jedoch schließlich die Sozialisten. Und tatsächlich ist das Ergebnis dieser Abstimmung nicht so eindeutig, wie es die PP gerne hätte. Ihr eigener Stimmenzuwachs fiel mit 1,9 Prozentpunkten relativ bescheiden aus, sie profitierte nur von dem Desaster der PSOE. Die aber wurde für die Politik des Sozialabbaus abgestraft. Doch die Alternative ist für viele nicht die PP. Die auch am Wahltag in zahlreichen Städten ausharrenden Demonstranten hatten dazu aufgerufen, keine der beiden großen Parteien zu wählen, sondern für kleine Parteien zu stimmen oder die Wahl zu boykottieren.

Die Vereinigte Linke (IU) konnte ihr Ergebnis im Vergleich zu den letzten Wahlen verbessern. Rund 200000 Menschen mehr als im Jahr 2007 wählten das kommunistisch dominierte Linksbündnis. Mit 6,3 Prozent der Stimmen konnte die Formation erstmals seit fast einer Dekade ihren Negativtrend umkehren. Jahrelang hatte die IU kontinuierlich Stimmen verloren. Aufgrund der Schlappe der PSOE büßten die Linken jedoch eine Reihe wichtiger Regierungsbeteiligungen ein. In Asturien wurde zum Beispiel die von PSOE und IU gebildete Regierung abgewählt, obwohl die Linken keine Stimmen verloren.

Ihre schwerste Niederlage erlitten die Linken jedoch in der andalusischen Stadt Córdoba. Hier hatte die Kommunistische Partei (PCE) bzw. die von ihr geprägte IU fast ununterbrochen seit dem Übergang zur Demokratie regiert. Die Stadt wurde in Spanien als »Califato Rojo«, das »Rote Kalifat«, bezeichnet. Grund dafür war unter anderem der Wechsel der früheren IU-Bürgermeisterin Rosa Aguilar zur PSOE.

Viele Anhänger der jungen spanischen Demokratiebewegung entschieden sich diesmal offenbar, die Stimm­abgabe zu verweigern. Während die Wahlbeteiligung insgesamt auf gut 66 Prozent anstieg, stieg auch die Zahl derjenigen, die leere oder ungültige Stimmzettel abgaben. Fast eine Million Menschen drückten so ihren Protest gegen das vorherrschende Parteiensystem in Spanien aus.

** Aus: junge Welt, 24. Mai 2011


Bildu an der Spitze

Baskenland: Allianz stellt die meisten Vertreter in den Kommunalparlamenten

Von Stefan Natke, Donostia (San Sebastián) ***


Vor drei Wochen war das baskische Bündnis Bildu von spanischen Richtern noch für illegal erklärt worden und hatte seine Wahlbeteiligung erst in letzter Minute vor dem Verfassungsgericht durchsetzen können. Am Sonntag (22. Mai) jedoch wurde Bildu die nach Stimmen zweitstärkste, nach gewonnenen Kommunalmandaten sogar stärkste Kraft im Baskenland. Mit 1138 Gemeinderäten stellt die Allianz die meisten Vertreter in den baskischen Kommunalparlamenten südlich der französischen Staatsgrenze, noch vor der bürgerlichen Baskischen Nationalistischen Partei (PNV), die mit 23,53 Prozent knapp vor Bildu (22,28 Prozent) zur meistgewählten Partei wurde. Weit abgeschlagen dahinter erst die sozialdemokratische PSOE mit 16,33 und die PP mit 12,49 Prozent. Die baskische Vereinigte Linke (EB) und die Batasuna-Abspaltung Aralar erlebten ein Fiasko und sind nur noch in wenigen Gemeinderäten vertreten.

Das wohl spektakulärste Ergebnis erzielte Bildu in Donostia (San Sebastián), wo es die seit 20 Jahren regierenden Sozialdemokraten auf Platz zwei verdrängte und nun über ein Ratsmitglied mehr verfügt als diese. Damit hat das Bündnis Anspruch auf das Bürgermeisteramt. In der bekannten baskischen Küstenstadt Gernika, wo der amtierende Bürgermeister Bildu unterstützte, erreichte das Bündnis über 60 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Martin Garitano, umjubelter Bildu-Spitzenkandidat und Wahlsieger in Gipuzkoa, kündigte auf der Wahlparty seines Bündnisses im Sportpalast von Donostia vor einigen tausend Teilnehmern am Sonntag abend an, die asoziale neoliberale Politik der Parteien des Kapitals rigoros bremsen zu wollen und einen Wandel hin zu sozialen Projekten mit Unterstützung der Leute auf der Straße einzuleiten. Die Menge antwortete mit »Gora Euskal Herria askatuta, Gora Euskal Herria sozialista!« – »Es lebe das befreite Baskenland, es lebe das sozialistische Baskenland«.

*** Aus: junge Welt, 24. Mai 2011


Echte Demokratie

Von Martin Ling ****

Die Urabstimmung auf dem Platz Puerta del Sol in Madrid fiel deutlich aus: Die landesweiten Proteste gegen die tiefe wirtschaftliche, soziale und politische Krise werden um mindestens eine Woche fortgesetzt. Ein Beschluss, der schon vor der Bekanntgabe der Wahlergebnisse fiel – schließlich war klar, dass kein Resultat eine Lösung der Probleme näher bringen würde.

Dass die seit 2004 regierende, sich sozialistisch nennende PSOE für ihr Unvermögen, die Wirtschaftskrise aufzufangen, kräftig abgestraft werden würde, pfiffen die Spatzen seit Monaten von den Dächern. Ebenso, dass die rechtskonservative Volkspartei mangels Alternativen in einem die zwei großen Parteien begünstigenden Wahlsystem von der Krise profitieren würde. Sie hatte einst den neoliberalen Kurs eingeführt, den Zapatero beibehielt – abgesehen von kosmetischen Korrekturen. Nun sind die Konservativen obenauf, obwohl sie nicht ansatzweise überzeugende Konzepte haben. Vor allem nicht für die so genannte verlorene Generation: junge Leute von der Akademikerin bis zum Bauhelfer, die bestenfalls prekäre Jobs abgreifen können. Für Spaniens Zukunft ist ihr Verhalten wichtiger denn je. Nur wenn sie ihre Proteste massiv fortsetzen, könnte Zapatero sich gezwungen fühlen umzusteuern. Noch ist sein Respekt vor Brüssel größer als vor den Demonstranten. Eine breite Volksbewegung könnte das ändern. Der Weg dahin ist freilich noch weit.

**** Aus: Neues Deutschland, 24. Mai 2011 (Kommentar)


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