Schließung baskischer Zeitung war verfassungswidrig
Oberster Gerichtshof übt scharfe Kritik an Ermittlern und Guardia Civil
Von Ralf Streck, San Sebastián *
Das Urteil des spanischen Nationalen Gerichtshofs lässt an Deutlichkeit
nichts zu wünschen übrig: Es hätte nie zur Schließung der »Euskaldunon
Egunkaria« (Baskische Tageszeitung) kommen dürfen. Die fünf Mitglieder
der Redaktionsleitung wurden von allen Vorwürfen freigesprochen.
Der Sturm auf die Redaktion im baskischen Andoain liegt bereits sieben
Jahre zurück. Journalisten wurden verhaftet, einige saßen monatelang in
Gefängnis. Jetzt stellte das Madrider Gericht fest, dass sie nicht
Mitglieder der baskischen Untergrundorganisation ETA sind und dass es
keine Hinweise darauf gibt, dass die ETA die Zeitung 1990 gegründet hat
und sie steuerte.
Man kann das Urteil als Anklage gegen den Ermittlungsrichter am
Nationalen Gerichtshof Juan del Olmo und die Guardia Civil lesen. Es
greift auf knappen 33 Seiten und in einer klaren Sprache den Ermittler
und die Zivilgarden schwer an. »Die vorläufige Schließung der
'Euskaldunon Egunkaria', der einzigen Tageszeitung in baskischer
Sprache, ist von der Verfassung nicht gedeckt und entbehrt einer
speziellen Rechtsnorm die sie autorisieren könnte«, heißt es im Urteil.
Diesmal wurde die absurde Anklage nicht mehr kleinlaut verworfen, wie
das noch im vergangenen Jahr im Fall der Zeitung »Egin« (Machen) in der
zweiten Instanz des Obersten Gerichtshofs geschah. Das jetzige Urteil
pocht auf die Einhaltung demokratischer Grundsätze. Das Gesetz, das
vorläufige Schließungen von Unternehmen ermöglicht, sei auf
Kommunikationsmedien nicht anwendbar, heißt es. Man dürfe solche Medien
nicht als gewöhnliche Firmen behandeln und es müsse zwischen der
Pressefreiheit und dem verdacht auf eine kriminelle Handlung abgewogen
werden. Im vorliegenden Fall sei die Pressefreiheit geopfert worden,
wobei es »keinerlei kriminelle Aktivität« gab, stellt das Urteil fest.
Dem vorsitzenden Richter Javier Gómez Bermúdez zufolge beruhte die
Anklage beruhe auf der »verbreiteten und falschen Vorstellung«, alles im
Umfeld von baskischer Sprache und Kultur werde von der »ETA gesteuert
und/oder gefördert«. Das führe zur »fehlerhaften Bewertung von Vorgängen
und Daten und einer haltlosen Anklage«. Wie Zeugen im Prozess erklärten,
ging das Verfahren allein von der Guardia Civil aus, die praktisch alle
Firmen durchleuchtete, die mit baskischer Sprache und Kultur zu tun
haben. Sie ordnete die Schließung und die Verhaftungen an, die vom
Ermittlungsrichter wohl lediglich abgesegnet wurden.
Das Urteil erkennt auch die Vorwürfe der Angeklagten an, in den vier
Tagen der Kontaktsperre von der Guardia Civil gefoltert worden zu sein.
Damit werden ihre selbstbelastenden Aussagen entkräftet, die sie in
dieser Zeit gemacht hatten. »Die Llagen über Misshandlungen und Folter
in der Kontaktsperre, die detailliert im Verfahren und zuvor vor dem
Ermittlungsrichter beschrieben wurden und Gegenstand von Anzeigen vor
Gerichten sind, decken sich mit den Gutachten von Gerichtsmedizinern,
die bei der Aufnahme im Gefängnis erstellt wurden«.
Das Urteil stellt fest, dass es keine »ausreichende und effiziente«
richterliche Kontrolle in den vier Tagen gab, in der Angeklagte nach dem
Anti-Terrorgesetz nicht einmal Kontakt zu ihrem Anwalt haben dürfen.
Damit wird ad absurdum geführt, was gerne als »Beweis« für eine
ETA-Mitgliedschaft angeführt wird. Demzufolge sind alle Basken, die über
Folter nach ihrer Verhaftung klagen, ETA-Mitglieder. Denn Folter gibt es
angeblich in Spanien nicht, die ETA aber halte ihre Mitglieder dazu an,
darüber zu klagen. Menschenrechtsorganisationen vertreten schon lange
die Position, dass es in Spanien Folter gibt. Dass der Oberste
Gerichtshof ihnen in diesem Urteil folgt, ist ein großer Fortschritt.
* Aus: Neues Deutschland, 14. April 2010
Freispruch erster Klasse
Spanisches Sondergericht entlastet Egunkaria-Journalisten
Von Ingo Niebel **
Am Montag (12. April) hat die Audiencia Nacional, das spanische
Sondergericht für Terror- und Drogendelikte, fünf seit sieben Jahren
angeklagte Journalisten vom Vorwurf der Zusammenarbeit mit der
Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA, Baskenland und
Freiheit) freigesprochen. Das Urteil bedeutet zugleich eine harsche
Kritik an der Polizei und der Nebenklage, der Sondergerichtsbarkeit und
der Incomunicado-Haft.
Richter Javier Gómez Bermúdez und seine beiden Kollegen fanden klare
Worte in ihrer 33seitigen Urteilsbegründung. Darin heißt es, daß nicht
nur die Anklage, sondern auch die Polizei von vorgefaßten Meinungen
ausgingen, die sie dann versuchten, mit einer einseitigen Beweisführung
zu belegen. Die Zivilgarde mutmaßte, die ETA habe die nur auf baskisch
publizierende Tageszeitung Egunkaria mitgegründet, weil das Baskische
ein wesentlicher Bestandteil ihrer Strategie sei. Weil es dafür aber
nicht den geringsten Beweis gab, beantragte die Staatsanwaltschaft 2006
zweimal die Einstellung des Verfahrens. Aber eine Eigenheit der
spanischen Strafprozeßordnung gestattete es Verbänden der ETA-Opfer,
trotzdem einen Prozeß durchzusetzen.
Trotz der schwachen Beweislage hatte der Ermittlungsrichter an der
Audiencia Nacional Juan del Olmo die Zivilgarde ermächtigt, 2003
Egunkaria zu durchsuchen und zu schließen. Die Polizisten begründeten
ihren Verbotsantrag mit denselben Unterlagen, die del Olmos Kollege,
Baltasar Garzón, 1998 für die Schließung der Zeitung Egin benutzt hatte.
Laut Bermúdez entbehren aber auch jene Dokumente jeglicher Beweiskraft.
Des weiteren stellte er fest, daß eine Zeitung aufgrund der in der
Verfassung verankerten Pressefreiheit nicht einem Unternehmen
gleichgestellt werden kann, das die Justiz wegen krimineller
Machenschaften präventiv schließen darf.
Ähnlich hart geht das Gericht mit der Anwendung der Incomunicado-Haft
um. Die zehn verhafteten Journalisten befanden sich fünf Tage lang im
Polizeigewahrsam, ohne die Möglichkeit die Familie oder einen
Vertrauensanwalt zu kontaktieren. Vier von ihnen zeigten Folter an.
Obwohl die Richter über diese Fälle nicht urteilen können, so kamen sie
doch zu dem Schluß, daß sich die Aussagen mit den medizinischen
Untersuchungen decken und daß »es keine ausreichende und effiziente
Kontrolle der Incomunicado-Haft seitens des Gerichts gab«.
Das Urteil schließt eine Entschädigung aus. Der wirtschaftliche Schaden
soll sich auf 60 Millionen Euro belaufen. Unmittelbar nach der
Schließung von Egunkaria entstand die Nachfolgerin Berria. Aber der
Alptraum dauert an: Weiteren acht Verwaltungsratsmitgliedern steht noch
ein Verfahren wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten bevor. Hier fordern
Staatsanwaltschaft und Nebenklage zwischen 13 und 26 Jahre Haft sowie
Geldstrafen zwischen 21 und 33 Millionen Euro. Deshalb stellte der
ehemalige Egunkaria- und jetzige Berria-Chefredakteur Martxelo Otamendi
fest: »Das Spiel ist noch nicht vorbei.«
** Aus: junge Welt, 14. April 2010
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