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Verschärfter Ausnahmezustand

Der Konflikt um das Baskenland: Vor den Parlamentswahlen Anfang März nimmt die Repression gegen baskische Organisationen und Medien zu

Von Raul Zelik *

Der gewalttätige baskische Konflikt, der bis in die 1930er Jahre zurückreicht, bedarf einer politischen Lösung. Die schien im Juni 2007 schon greifbar nahe. Vor den Parlamentswahlen am 9. März setzt die spanische Regierung indes wieder auf verschärfte Repression.

Schon bevor der spanische Ermittlungsrichter Baltasar Garzón vergangene Woche seine neuen Verbote verkündete, war die Liste der illegalisierten baskischen Organisationen und Medien erschreckend lang. Illegal waren unter anderem: die Partei Batasuna, die Wahllisten Euskal Herritarrok (Baskische Bürger), Herritarren Zerenda (Bürgerprogramm), Aukera Guztiak (Alle Optionen) sowie mehrere hundert Kommunallisten, die Fraktion im Regionalparlament Sozialista Abertzaleak (Baskische Sozialisten), die Jugendorganisationen Haika, Segi und Jarrai, die Batasuna-nahen Netzwerke KAS und Ekin, die Solidaritätsgruppen Gestoras pro Amnestia und Askatasuna, die Zeitschrift Ardi Beltza, das Radio Egin Irratia sowie die Tageszeitungen Egin und Egunkaria.

Pünktlich vor den Parlamentswahlen am 9. März hat Garzón nun zwei weitere Parteien auf die Liste gesetzt. In den nächsten drei Jahren dürfen die republikanisch-baskische Acción Nacionalista Vasca (ANV) und die kommunistische Partei EHAK nicht politisch auftreten. Und in diesem Fall wirkt die richterliche Begründung noch dünner als sonst. Von einer Illegalisierung EHAKs, die 2002 von Gewerkschafterinnen gegründet wurde, war so lange keine Rede, wie man die kleine Linkspartei für eine Abspaltung Batasunas hielt. In Madrid hoffte man offensichtlich auf einen Zerfall der baskischen Linken. Als EHAK dann jedoch 2004 darauf hinwies, dass die Gewalt im Baskenland nicht nur von der ETA, sondern auch von Madrid ausgehe und sich den Wählern der illegalisierten Partei Batasuna zur Verfügung stellte, hieß es plötzlich, EHAK sei eine Vorfeldorganisation der ETA.

Zapatero: repressiv und dialogbereit

Noch extremer gelagert ist der Fall der baskisch-republikanischen Traditionspartei Acción Nacionalista Vasca (ANV). Bataillone der ANV, die während des spanischen Bürgerkriegs an der Koalitionsregierung in Madrid beteiligt war, hatten nach der Niederlage im Baskenland in Asturien und Katalonien weiter gegen den Putsch gekämpft. Die Franco-Diktatur zerschlug die Partei fast vollständig, so dass ihr Beitritt zur (als Volksfront gegründeten) Koalition Herri Batasuna / Unidad Popular 1978 eher symbolischen Charakter besaß. Erst im Mai 2007 trat die ANV aus ihrem langen Schattendasein wieder hervor.

Als Madrid erneut Hunderte von Wahllisten illegalisierte, schlossen sich Batasuna-Anhänger zur Bildung von ANV-Listen zusammen. Die Zapatero-Regierung traf daraufhin einen für ihre gesamte Baskenpolitik typischen Beschluss: Die Repression wurde fortgeführt, gleichzeitig versuchte man sich als dialogbereit zu profilieren, indem man eine winzige Tür offen ließ. Am Ende waren die ANV-Listen in 130 von 250 Gemeinden verboten, darunter in fast allen größeren Städten. Die ANV selbst jedoch blieb – vorübergehend – legal. Das Wahlergebnis schließlich war bemerkenswert: Die ANV eroberte in 24 von 120 Gemeinden, in denen sie legal antreten durfte, den Bürgermeisterposten.

Diese Verbotspolitik ist nur ein Aspekt des Ausnahmezustandes, den der spanische Staat im Zusammenhang mit dem baskischen Konflikt verhängt hat. Reihenweise werden Gesetze ganz nach politischer Opportunität ausgelegt. Die 700 baskischen Gefangenen, von denen heute fast ein Drittel nicht mehr aus der ETA, sondern aus politischen und sozialen Bewegungen stammt, werden dadurch regelrecht zu Geiseln gemacht.

Bei einigen Dutzend Gefangenen, die nach einer alten Strafvollzugsordnung verurteilt wurden, wurde die Haft auf Grundlage der sogenannten »Parot-Doktrin« unlängst neu berechnet und nachträglich um mehr als zehn Jahre verlängert. Als Begründung für die Regelung wurde ein Einzelfall herangezogen: Es sollte verhindert werden, dass das französisch-baskische ETA-Mitglied Henri Parot, der wegen zahlreicher Mordanschläge verurteilt wurde, nach 17 Jahren wieder aus der Haft freikommt.

Die neue Doktrin gilt jedoch auch für Gefangene, die weder Morde noch Körperverletzungen begangen haben. So wurde der Journalist Inaki Gonzalo Casal beispielsweise Mitte der 1990er Jahre wegen gefälschter Papiere, ETA-Mitgliedschaft, Waffenbesitzes und drei Sprengstoffanschlägen – die so angelegt waren, dass sie niemanden verletzten – zu mehr als 70 Jahren Haft verurteilt. Bei Antritt seiner Strafe musste Gonzalo Casal davon ausgehen, etwa 15 Jahren absitzen zu müssen und den Rest durch gute Führung und das Absolvieren von Studiengängen abgelten zu können. Nach der »Parot-Doktrin« muss er nun 30 Jahre in Haft bleiben.

Außer Kraft gesetzt ist bei baskischen Gefangenen auch das verbriefte Recht, in der Nähe der Herkunftsorte inhaftiert zu werden, und – was noch schlimmer wiegt – die Unversehrtheit von Leib und Leben. Fast wöchentlich berichten Betroffene von Folterungen durch die Guardia Civil. Die dabei angewandten Methoden sind denen im irakischen Gefängnis von Abu Ghoreib auffallend ähnlich: Schlafentzug, das Auslösen von Erstickungszuständen (indem Gefangene in Badewannen getaucht oder ihnen Plastiktüten übergestülpt werden), sexuelle Demütigungen, die Vergewaltigung mit Gegenständen etc. Peio Aierte, Sprecher der baskischen Anti-Folter-Organisation TAT spricht in diesem Zusammenhang von 7000 Folterfällen seit der Einführung der Demokratie 1976. Seiner Einschätzung zufolge sorgen Polizei, Justiz und Gerichtsmedizin dafür, dass Misshandlungen straffrei bleiben. »Es gibt ein System, in dem die Folter kalkuliert zum Einsatz kommt«, so Aierte. »Die Misshandlungen sind so angelegt, dass sie kaum sichtbare Spuren hinterlassen. Psychisch jedoch wirken sich die angewandten Methoden auf die Betroffenen besonders brutal aus.«

In der spanischen Öffentlichkeit werden solche Vorwürfe einfach ignoriert. Der Chef der PSOE-Fraktion im Autonomieparlament José Antonio Pastor spricht – wie fast alle spanischen Politiker – »von ETA-Propaganda«, die den Staat diffamieren solle. Außerdem dürften sich Gruppen, die Bombenanschläge auf Flughäfen politisch rechtfertigten, nicht wundern, wenn sie hart bestraft werden. »Batasuna hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn sie verboten sind. Sie müssen sich nur wie alle Demokraten vom Terrorismus lossagen, dann können sie auch legal aktiv werden. Es gibt schließlich eine ganze Reihe baskischer Parteien, die legal für die Unabhängigkeit eintreten.«

Volksabstimmung ist verboten

Doch die allgemein verbreitete These, dass nur Unterstützer der ETA Repression zu spüren bekommen, entspricht keineswegs der Wahrheit. 2003 wurde die als parteiübergreifend anerkannte baskischsprachige Tageszeitung Egunkaria verboten. Der Chefredakteur der Zeitung, die u. a. von der baskischen Autonomieregierung finanziert wird, berichtete danach, er sei von der spanischen Polizei schwer gefoltert worden. Im vergangenen Herbst drohte Madrid dem baskischen Ministerpräsidenten Juan José Ibarretxe mit strafrechtlicher Verfolgung, falls er seine Ankündigung wahr mache und im Oktober 2008 ein Referendum über den Status des Baskenlandes abhalte. Eine derartige Volksabstimmung ist nach spanischem Recht illegal. Und vor knapp vier Wochen traf es sogar den Präsidenten des Regionalparlaments. Juan María Atutxa, als baskischer Innenminister als Hardliner des Anti-ETA-Kampfs verschrien, wurde verurteilt, weil er sich als Präsident des Autonomieparlaments geweigert hatte, die Fraktion der baskischen Linken im Parlament aufzulösen.

Die Kriminalisierung politischer Aktivität hat Ausmaße erreicht, die denen während der Franco-Diktatur nicht mehr nachstehen. So wurden vergangenes Wochenende erneut 13 Batasuna-Sprecher verhaftet, darunter auch der ehemalige Europaabgeordnete Karmelo Landa, der am Vortag zu einem Generalstreik aufgerufen hatte. Die meisten Demonstrationen der letzten Tage wurden verboten. Doch das erwünschte Ergebnis stellt sich nicht ein. Obwohl Batasuna seit 2003 in Spanien verboten ist und auf der europäischen Anti-Terror-Liste steht, ist sie in weiten Teilen des Baskenlandes besser verankert als viele parlamentarischen Parteien. Die Partei hat es sogar geschafft, trotz der Illegalisierung bei allen Wahlen seit 2003 präsent zu sein – entweder indem man zur Wahl einer anderen Linkspartei aufrief oder aber die Abgabe eigener Stimmzettel organisierte. Diese Stimmen werden zwar als ungültig registriert und spielen dementsprechend bei der Sitzverteilung keine Rolle, doch Bürgerkommissionen zählen die Stimmen. Das Ergebnis ist bemerkenswert: Konstant zwölf bis 15 Prozent der baskischen Wählerschaft hält Batasuna die Treue. Anders als früher, als die Unabhängigkeitsbewegung nach ETA-Anschlägen immer wieder herbe Wahlverluste einstecken musste, scheint ihre Anhängerschaft heute kaum noch zu bröckeln.

Vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, was Madrid mit seiner Verbotspolitik eigentlich beabsichtigt. Zur Bekämpfung von Terroranschlägen trägt die Linie mit Sicherheit nicht bei. Der Ausschluss eines ganzen Bevölkerungsteils von den Wahlen verstärkt nur die sowieso verbreitete Überzeugung, dass es mit den demokratischen Rechten der Basken nicht weit her ist. Und genau dieses Gefühl dient der ETA als Legitimation für ihre blutigen Anschläge.

Kein Bruch mit der Franco-Diktatur

Noch im Juni 2007, also ein halbes Jahr nach dem verheerenden ETA-Anschlag auf dem Flughafen Madrid, führte die Zapatero-Regierung mit ETA und Batasuna Geheimgespräche in einer nicht genannten europäischen Hauptstadt. Bei den Gesprächen akzeptierte die baskische Unabhängigkeitsbewegung den von europäischen Regierungen vorgelegten Vermittlungsvorschlag, der den blockierten Verhandlungsprozess in Gang setzen sollte. Es war die Zapatero-Regierung, die mit Verweis auf das Madrider Attentat ablehnte. Das mag nachvollziehbar klingen, doch ETA hatte angeboten, sich zur Selbstentwaffnung zu verpflichten, wenn die spanische Regierung im Gegenzug einem politischen Abkommen zustimme. »Wir haben der PSOE angeboten, sie bei einer zweiten Demokratisierung zu begleiten«, erklärte der Batasuna-Sprecher Pernando Barrena kurz vor seiner Verhaftung. »Es hat in Spanien nach Franco keinen wirklichen Bruch mit der Diktatur gegeben. Die alten Eliten haben in Justiz, Politik und Polizeiapparaten weiter eine zentrale Rolle gespielt. Vor allem jedoch hat man der baskischen Bevölkerung das Recht vorenthalten, selbst über ihr politisches System zu entscheiden. Die Region wurde administrativ geteilt und uns ein Autonomiestatut aufgezwungen, das die Entscheidungsmacht in Madrid belässt. Wir wollen, dass die Menschen im Baskenland selbst entscheiden können – ohne gewalttätigen Druck durch die ETA oder den spanischen Staat.« Nach den letzten Verboten scheint die Tür für eine solche Lösung zugeschlagen. Zwar wird viel darüber spekuliert, ob Ministerpräsident Zapatero nur deshalb Härte zeigt, weil er die Parlamentswahlen gewinnen will und nichts in der spanischen Öffentlichkeit so gut ankommt wie Härte gegenüber der baskischen Unabhängigkeitsbewegung. Doch sehr begründet ist die Hoffnung nicht. In den vergangenen 30 Jahren haben sich die spanischen Sozialisten in der Baskenfrage nicht wesentlich von der rechten PP unterschieden – bis hin zum Aufbau von Todesschwadronen unter Ministerpräsident Felipe González in den 1980er Jahren. Bleibt als vager Hoffnungsschimmer für die Region nur das von der Autonomieregierung für Oktober angekündigte Referendum, von dem niemand weiß, ob es je stattfinden wird. Madrid hat dem baskischen Ministerpräsidenten Ibarretxe mit der Auflösung seiner Regierung gedroht, falls das Referendum eine Unabhängigkeit des Baskenlandes zur Wahl stellt. Zudem wird ein beträchtlicher Teil der Unabhängigkeitsbefürworter ein Referendum, das die ETA einseitig zum Gewaltverzicht auffordert, kaum akzeptieren. Und völlig ungeklärt ist auch, was mit der Bevölkerung der Provinz Navarra / Nafarroa passiert. Die Region, die als historisches Kernland des Baskenlandes gilt, wurde durch das Autonomiestatut von 1978 per Dekret abgetrennt, ohne dass alternative Modelle zur Wahl gestellt worden wären. Die Situation ist komplex und verfahren. Einen Ausweg könnte nur ein Abkommen nach nordirischem Vorbild aufzeigen. Doch diese simple Erkenntnis scheint in Spaniens Gesellschaft nicht mehrheitsfähig zu sein.

* Der Schriftsteller Raul Zelik bereist seit 1986 regelmäßig das Baskenland und veröffentlichte 2007 den Roman »Der bewaffnete Freund« über den baskischen Konflikt.

Aus: Neues Deutschland, 16. Februar 2008



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