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Bisher größter Aufmarsch in Bilbao

Demonstrationsverbot mobilisierte Basken für ETA-Häftlinge und Unabhängigkeit

Von Ralf Streck, San Sebastian *

Bei der bislang größten Kundgebung im Baskenland haben über 100 000 Menschen für die Rechte inhaftierter ETA-Mitglieder und für die Unabhängigkeit der Region in Nordspanien demonstriert.

Die baskische Metropole Bilbao wurde am Sonnabendabend von Demonstranten gleichsam überflutet. 130 000 Menschen gingen auf die Straße, um gegen ein Demonstrationsverbot des Nationalen Gerichtshofs zu protestieren. Zugleich machten sie sich für den Friedensprozess stark. Richter Eloy Velasco hatte den alljährlichen Marsch der Angehörigen von Gefangenen der Separatistenorganisation ETA auf Antrag der konservativen spanischen Regierung und von Opferorganisationen am Freitag verboten. Doch das führte letztlich zum bisher größten Aufmarsch in der baskischen Geschichte. Denn die im Baskenland regierende Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) und die Partei Sortu (Aufbauen), die zusammen 60 Prozent der Wähler hinter sich haben, einigten sich auf eine neue Kundgebung.

Dem Aufruf der Konservativen und der linken Unabhängigkeitsbewegung schlossen sich alle baskischen Parteien und Gewerkschaften an. »Menschenrechte, Konfliktlösungsabkommen, Frieden« lautete das Motto, und erstmals seit 1999 gingen die Basken wieder vereint auf die Straße. Ursprünglich war ein Schweigemarsch geplant, doch dann wurde gesungen und in Sprechchören eine »Amnestie« und die »Unabhängigkeit« gefordert.

Der baskische Regierungssprecher Josu Erkoreka hatte das Verbot zuvor als »schwerwiegend und unverständlich« bezeichnet. Er verwies darauf, dass diese Demonstrationen selbst in den Jahren stattfinden durften, als die ETA noch tödliche Anschläge verübte. Sortu-Präsident Hasier Arraiz sprach von einem historischen Ereignis, das aber erst der Beginn sei, denn der »Frieden und der Konfliktlösungsprozess muss unter uns Basken aufgebaut werden«. So entsteht im Baskenland ein ähnlich breites Bündnis wie in Katalonien, wo im November über die Unabhängigkeit abgestimmt werden soll. Der spanische Staat zeige, »dass er kein Friedensszenario und keine Demokratie will«. Er verletze weiter systematisch elementare Rechte, betonte Arraiz und verwies neben dem Verbot auch auf Festnahmen von Anwälten in der Vorwoche.

Die Spanien regierende konservative Volkspartei und die Sozialisten (PSOE) kritisierten den baskischen Regierungschef Iñigo Urkullu und die PNV am Wochenende scharf dafür, gemeinsam mit Sortu demonstriert zu haben. Die ETA-Separatisten waren vor zwei Jahren der Forderung der Basken sowie einer internationalen Friedenskonferenz gefolgt und hatten ohne Vorbedingungen das »definitive Ende der bewaffneten Aktivitäten« nach mehr als 50 Jahren verkündet. Die 600 ETA-Gefangenen stellten sich zum Jahreswechsel ohne Abstriche hinter den Friedensprozess, so wie dieser Tage auch 100 ehemalige Häftlinge, die gerade nach einem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof freigelassen werden mussten. Madrid weigert sich bisher, mit der ETA auch nur über eine Waffenübergabe zu reden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 13. Januar 2014


Demonstration der Unabhängigkeit

Im Baskenland gehen 130000 Menschen auf die Straße. Breites Bündnis geschmiedet

Von Uschi Grandel **


Es war die wohl größte Demonstration in der Geschichte des Baskenlands: Etwa 130000 Menschen füllten am Samstag die Straßen Bilbos. Doch historisch war nicht nur die überwältigende Zahl. »Eine demokratische baskische Front gegen die andauernde Erniedrigung, gegen die Verletzung elementarer Rechte, eine Einheitsfront für unsere Rechte und für die Freiheit«, sah die baskische Tageszeitung Gara. Unter der Losung »Tropfen um Tropfen sind wir ein Meer. Menschenrechte, Lösung, Frieden. Baskische Gefangene ins Baskenland« riefen die Initiatoren dazu auf, für eine friedliche Lösung mit Spanien und Frankreich auf die Straße zu gehen. Besonderes Augenmerk lag auf der Inhaftierung baskischer Gefangener in Haftanstalten fernab ihrer Heimat. Schon im Vorfeld wurde klar, daß die Manifestation in Bilbao gewaltig werden würde. Daran konnte auch ein Verbot durch das spanische Sondergericht Audiencia Nacional am Freitag nichts ändern.

Bereits wenige Stunden nach dem Richterspruch rief ein breites Bündnis zu einer Protestdemonstration für Samstag auf. Teil dieser Allianz waren auch die beiden größten politischen Parteien des Baskenlandes, die konservative Nationalistische Partei des Baskenlands (PNV) und die Partei der linken Unabhängigkeitsbewegung, Sortu. Die Anmeldung übernahm der ehemalige Justizminister der Baskischen Autonomen Gemeinschaft, Joseba Azkarraga, dessen sozialdemokratische Partei Eusko Alkartasuna im Bündnis mit der Sortu zu den Unterstützern der ursprünglich geplanten Demonstration gehörte.

Die Reaktion der spanischen Regierung auf die Entwicklung des Friedensprozesses im Baskenland und auf das Ende der bewaffneten Aktivitäten von ETA vor mehr als zwei Jahren bestand bisher ausschließlich in dem Versuch, die Entwicklung zu blockieren. Das Demonstrationsverbot brachte für viele im Baskenland das Faß zum Überlaufen. Der Druck der Bevölkerung auf die baskischen Parteien wächst, gemeinsam »mit der Faust auf den Tisch zu hauen«, schreibt Gara, damit »Propagandaverhaftungen« und Verbote endlich der Vergangenheit angehören. Auch die PNV sah sich deshalb genötigt, sich an der Protestdemonstration zu beteiligen.

Bei der sozialdemokratischen Tageszeitung El País läuten angesichts des großen Bündnisses die Alarmglocken. Die sture Politik der erzkonservativen PP von Ministerpräsident Mariano Rajoy, habe zu einem Bündnis im Baskenland geführt, das die baskische Linke schon lange anstrebe, klagt das Blatt am Sonntag. Neben Katalonien eröffne sich gerade »eine zweite Front« gegen die Einheit Spaniens. Zwar habe die PNV erklärt, das Bündnis mit Sortu sei ausschließlich der gravierenden Ausnahmesituation geschuldet, aber wenn Rajoy »das nicht versteht«, könne eine solche Ausnahmesituation dauerhaft bestehen bleiben und zu schweren Konflikten der »Baskischen Autonomen Gemeinschaft mit Madrid führen«.

** Aus: junge Welt, Montag, 13. Januar 2014


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