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"Podemos definiert sich nicht als links"

Im Herbst wird in Spanien gewählt. Die Vereinigte Linke setzt auf ein breites Bündnis. Ein Gespräch mit Alberto Garzón


Alberto Garzón ist Spitzenkandidat des spanischen Linksbündnisses »Izquierda Unida« zu den Wahlen im Herbst dieses Jahres.

Im Herbst 2015 wird in Spanien gewählt. Was sind die Schwerpunkte in der Kampagne des linken Bündnisses »Izquierda Unida«?

Erstens wollen wir die Wirtschaft demokratisieren, um die sozialen Missstände zu bekämpfen. Das bedeutet die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien wie die des Energiesektors, um zu garantieren, dass niemand in seinem Haus frieren muss und dass alle Zugang zu Strom haben. Wir wollen, dass öffentliche Unternehmen die Erfüllung von Grundbedürfnissen garantieren. Zweitens brauchen wir ein Programm, das Arbeit garantiert. Mit 9,9 Milliarden Euro könnten wir absichern, dass eine Million arbeitslose Menschen erst einmal wieder eine Stelle haben. Das wäre eine kurzfristige Maßnahme, um Arbeitslosigkeit und Abwanderung zu verhindern und ist etwas anderes als das Grundeinkommen, was die Partei Podemos fordert. Wir denken, dass Arbeit eine Form der sozialen Inklusion ist. Die, die nicht arbeiten können, würden natürlich Unterstützung erhalten. Drittens brauchen wir eine Reform des Staates, um Korruption zu verhindern. Eines der Mittel wäre zu verbieten, dass Unternehmen, die bewiesenermaßen in Korruptionsfälle verwickelt waren, erneut Staatsaufträge erhalten.

Gibt es eine Chance, dass Sie ein Bündnis mit der Partei Podemos eingehen?

In der IU sind wir für die Einheit. Wir wissen, dass es in Spanien eine historische Chance gibt, die Gesellschaft zu verändern, und wir müssen dafür die Wahlen gewinnen. Deswegen haben wir gedacht, dass es eine gute Option wäre, uns mit der Linken zusammenzuschließen und dem Zweiparteiensystem sowie dem Neoliberalismus die Stirn zu bieten. Podemos definiert sich allerdings explizit nicht als links und hat jedes Bündnis mit anderen Gruppierungen ausgeschlossen.

Könnte die IU sich vorstellen, mit der sozialdemokratischen PSOE zusammenzuarbeiten?

Natürlich nicht. Wir sprechen schließlich davon, dass die PSOE eine Seite des Zweiparteiensystems ist. Das heißt, sie sind politisch für die aktuelle Situation verantwortlich.

In Andalusien gibt es aber einen solchen Pakt.

Dort gibt es diese Zusammenarbeit auf regionaler Ebene, das ist nicht das gleiche. Die größten Möglichkeiten, um die Gesellschaft zu verändern, liegen schließlich auf gesamtstaatlicher Ebene. Die regionalen Koalitionen haben dagegen mit dem parlamentarischen Kräfteverhältnis zu tun. In Andalusien gibt es keine Linksregierung, sondern eine des Widerstandes. In anderen autonomen Regionen hat die PP Krankenhäuser privatisiert und damit einen Großteil der Bevölkerung von der Gesundheitsversorgung abgeschnitten. In Andalusien dagegen hat man sich für das kleinere Übel entschieden und eine Regierung auf die Beine gestellt, die sich durchaus in einigen Bereichen zu Kürzungen gezwungen sieht. Nicht nur werden so Privatisierungen verhindert, konkret kann es etwa auch den Stopp der Zwangsräumungen bedeuten. Diese sind ein riesiges Problem in Spanien, es gibt mehr als 300 pro Tag. Als Teil der Regierung in Andalusien konnte die IU ein Programm zum Ende der Räumungen durchsetzen. Dieses sieht die Enteignung der Banken als Hausbesitzer vor. Dann hat es aber die PP-Regierung vor das Verfassungsgericht gebracht, im Moment ist es gestoppt.

Was sind Ihre langfristigen wirtschaftlichen Vorschläge?

Wir wollen den Süden industrialisieren. Die Industriestaaten und ihre Bevölkerungen leben unter besseren Bedingungen, auf der anderen Seite ist der Süden seit Jahren gezielt deindustrialisiert worden. Unser Ziel ist es, Europa so zu verändern, dass das ökonomische Wachstum gleichberechtigter und sozial gerecht ist. So wäre es auch stabiler. Spanien kann nicht nur ein Land für Kellner und Touristen sein, sondern braucht auch seine eigene Industrie. Dafür müsste man die Struktur der EU ändern.

In welchem Verhältnis stehen diese Ziele zum Umweltschutz?

In der IU denken wir, dass sich das verbinden lässt. Arbeit für alle bedeutet nicht Straßenbau oder einen höheren Benzinverbrauch, sondern Häuserbau oder Arbeitsplätze in der Aufforstung und in der Pflege, Bereiche, die nicht offiziell als Arbeit anerkannt sind. Erneuerbare Energien sind auch eine Option. Aber die Industrie ist der einzig sichere Weg, um Reichtum zu schaffen und nicht vom guten Wetter oder den Touristen abhängig zu sein. Der Umweltschutz spielt für uns eine Rolle, allerdings müssen wir erst die humanitäre Krise bekämpfen. Aber natürlich spielt Nachhaltigkeit eine Rolle sowie die Erkenntnis, dass der Kapitalismus den Planeten an seine Grenzen bringt.

Interview: Susana Gómez

* Aus: junge Welt, Montag, 2. Februar 2015


Zehntausende gegen Kürzungen

Madrid: Großdemonstration von Anhängern der Partei Podemos **

Mindestens 100.000 Sympathisanten der aufstrebenden Protestpartei Podemos (Wir können) haben in Madrid gegen die Kürzungspolitik der Regierung demonstriert. Um 11 Uhr versammelten sie sich an der Plaza de Cibeles und in den umliegenden Seitenstraßen, um mittags weiter zur berühmten Puerta del Sol zu ziehen. »Ja, es ist möglich!« riefen die Protestierenden bei dem »Marsch für Veränderung« im Zentrum der spanischen Hauptstadt.

»Der Wind des Wandels beginnt durch Europa zu wehen«, sagte Parteichef Pablo Iglesias auf Spanisch und Griechisch vor der Menge. »Wir träumen, aber wir nehmen unseren Traum ernst.« Iglesias begrüßte erneut den Wahlsieg der linken Partei Syriza in Griechenland: »Diese hat dort in den vergangenen sechs Tagen mehr gemacht als andere Regierungen in Jahren.« Der 36jährige Dozent für Politikwissenschaften tritt für einen drastischen Kurswechsel auch in Spanien ein. Während des Wahlkampfs in Griechenland hatte er den Syriza-Vorsitzenden Alexis Tsipras unterstützt.

Demonstranten in Madrid trugen Transparente mit Slogans wie »Bedingungsloses Grundeinkommen« und »Ticktack, Ticktack, die Stunde der Veränderung ist da«. Laut den Organisatoren nahmen an der Kundgebung sogar 300.000 Menschen teil. 260 Busse seien gemietet worden, um Anhänger aus dem ganzen Land nach Madrid zu bringen. Die Polizei sprach von etwa 100.000 Teilnehmern. Nach der Demonstration ging die Menge friedlich auseinander.

Die Partei will bei der Parlamentswahl im November den Erfolg von Syriza in Griechenland wiederholen und die Regierungsmacht erobern. Podemos war Anfang 2014 gegründet worden, nachdem 30 Intellektuelle und Aktivisten sozialer Bewegungen dazu aufgerufen hatten, »die Empörung in politischen Wandel« umzumünzen. Ebenso wie Syriza lehnt Podemos die Kürzungspolitik strikt ab, zu der sich Madrid und Athen auf Druck der Troika, des Kontrollgremiums von EZB, IWF und Europäischer Kommission, im Gegenzug für Kredite verpflichtet hatten.

Bei der Europawahl im Mai stimmten bereits 1,2 Millionen Spanier für die Partei, die fünf Mandate im Europaparlament erlangte. Bei den spanischen Parlamentswahlen im November kann Podemos auch auf ein gutes Ergebnis hoffen, in einigen Umfragen liegt sie sogar vor der regierenden rechtskonservativen Volkspartei von Premier Mariano Rajoy und der oppositionellen Sozialistischen Partei. Rajoy polemisierte bereits vor der Großdemonstration gegen Podemos und warnte die Spanier eindringlich davor, »russisches Roulette« zu spielen, indem sie für Podemos stimmten, die ihnen »die Sterne vom Himmel verspricht«, ihre Versprechen aber nicht halten könne.

In Spanien ist nach offiziellen Angaben noch immer fast jeder vierte ohne eine Stelle. Besonders unter der Jugend hat die Arbeitslosigkeit dramatische Ausmaße. Die Löhne sind während der jahrelangen Krise zurückgegangen, die Zahl der Angestellten mit gering bezahlten, befristeten Verträgen ist stark gestiegen.

** Aus: junge Welt, Montag, 2. Februar 2015


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