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"Krieg" statt Nachwahlparty

Nach Wahldebakel fliegen in Spaniens Vereinigter Linker die Fetzen / Schmerzhafter Rauswurf aus Hochburgen

Von Ralf Streck, San Sebastián *

Die neue Linkspartei Podemos hat bei den Kommunal- und Regionalwahlen in Spanien respektabel abgeschnitten, ganz im Gegensatz zur Partei Vereinigte Linke. Und das hat Folgen.

Ein Foto sagt oft mehr als Worte. Eines zeigt den ehemaligen Chef der Vereinigten Linken (IU) am Sonntag. Francisco Frutos sitzt allein mit gesenktem Haupt in einem leeren Wahlparty-Saal auf dem Rand des Sprecherpodests vor dem Fernseher und versucht erschüttert, den harten Schlag zu verdauen, den die Partei bei den Kommunal- und Regionalwahlen einstecken musste. Die Abstimmungen haben den heftigen internen Streit verschärft, der in Medien längst »Krieg« genannt wird.

Parteichef Cayo Lara fragte vor den Wahlen die versammelte Führung mit Blick auf die Parlamentswahlen: »Glaubt ihr, wir können fünf Monate aufeinander einprügeln?« Doch das geht nun erst richtig los, und ein Zerfall rückt näher. Sitzt die IU nach Spaltungen seit 2012 schon nicht mehr im baskischen Regionalparlament, flog sie jetzt trotz der Austeritätspolitik der regierenden Volkspartei (PP) aus vier weiteren Vertretungen hinaus, die deutschen Länderparlamenten ähnlich sind. Das gilt auch für viele Stadträte, wo sie nicht innerhalb von Bündnissen antrat.

Das ist auch den Erfolgen der Empörtenpartei »Podemos« (Wir können es) geschuldet, da die Wähler nun im ganzen Land eine linke Alternative haben. Der Rauswurf tut der IU in ihren einstigen Hochburgen besonders weh wie der Hauptstadtregion Madrid, Valencia, Murcia und der Extremadura. In drei weiteren Regionen wäre sie nicht mehr vertreten, gäbe es dort eine Fünf-Prozent-Hürde. Die Extremadura und Madrid stehen klar für Fehler und Führungsschwäche von Lara, der dieses Debakel zu verantworten hat. Er verhinderte in der Extremadura nicht, dass dort die IU eine erzkonservative PP-Regierung stützte, die nun abgewählt wurde. In Madrid, wo man einst auf 16 Prozent kam, stürzte sie auf gut vier Prozent ab. Hier konnte sich Lara nicht gegen Alleingänge lokaler Größen durchsetzen.

Örtliche IU-Vertreter stellten sich gegen die offizielle Parteilinie, Linksbündnisse einzugehen. Zweimal traten deshalb die von der Basis gewählten Kandidaten zurück. Die IU-Bürgermeisterkandidatin Raquel López nennt den designierten neuen IU-Chef Alberto Garzón nun »miserabel«. Er sei ein »Verräter«, weil er sie nicht unterstützt hat und »von innen daran arbeitet, dass die Partei verschwindet«. Dabei hatte Garzón nicht einmal wie andere IU-Vertreter offen für die Wahl des Bürgerbündnisses »Ahora Madrid« (Jetzt Madrid) geworben. Das Bündnis kam nahe an die 35 Prozent der PP heran und dürfte die Hauptstadt regieren. Im Bündnis mit der IU hätte Ahora Madrid die Wahlen wie in Barcelona, La Coruña und Santiago de Compostela vermutlich ebenfalls gewonnen.

Deshalb will Garzón nun mit der Kommunistischen Partei auf Vereinigungskurs mit Podemos führen. »Die Einheit ist der einzige Weg«, erklärte er mit Blick auf die Parlamentswahlen im Herbst, bei denen PP landesweit die Rote Karte gezeigt werden soll. Die Wahlen am Sonntag galten als ein wichtiger Test dafür. »Dieser Frühling markiert den Beginn eines politischen Wandels«, sagte der Podemos-Parteichef Pablo Iglesias dem Radiosender Cadena Ser. »Bis zur Parlamentswahl werden wir in der Lage sein, den anderen Parteien den Sieg streitig zu machen.«

Auch mit der IU? Dort gibt es weiteren Streit. Aus Asturien schießt der ehemalige IU-Chef Gaspar Llamazares auf die Gruppe um Garzón. Die »Pluralistische Linke« macht Garzón für das Debakel verantwortlich. Sie spricht von »unheilvoller Kommunikation«. In Asturien steckte die IU mit knapp zwölf Prozent nur leichte Verluste ein. Da Llamazares von einer »chaotischen Vereinigungspolitik« spricht, ist aber unklar, ob er den Bündniskurs mitgehen oder sich als Gegenkandidat in Stellung bringen will. Er hatte die IU bis 2008 als Mehrheitsbeschaffer für die Sozialdemokraten an den Rand der Bedeutungslosigkeit geführt, so dass sie bei den folgenden Wahlen nicht einmal vier Prozent erhielt.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 29. Mai 2015


INTERNATIONALE PRESSESTIMMEN

Zum Erfolg von Podemos

Neue Zürcher Zeitung, Schweiz: Nun muss paktiert werden
Mariano Rajoys konservative Volkspartei hat enorm an territorialer Macht verloren. Die Konservativen müssen nun Koalitionen eingehen, um sich an der Macht halten zu können, werden aber in zahlreichen Städten und Regionen von Linksbündnissen übertrumpft. Die von Podemos unterstützten Bündnisse haben spektakuläre Erfolge erzielt, vor allem in den beiden größten Städten Madrid und Barcelona. (…) Die Zeit der absoluten Mehrheiten jedenfalls scheint in Spanien vorbei zu sein. Fast vierzig Jahre lang hatten sich Konservativen und Sozialisten an der Macht abgelöst. Nun aber muss paktiert werden. Dies hat in Spanien jedoch kaum Tradition. Ein Vorspiel dessen, was womöglich ganz Spanien blüht, zeigte sich bereits in Andalusien. Dort hatten die Sozialisten im März die Regionalwahlen gewonnen, benötigen aber parlamentarische Unterstützung für eine regierungsfähige Mehrheit. Bisher zeigten sich weder Podemos noch Ciudadanos bereit zum Pakt.

El País, Spanien: Nicht die Augen verschließen
Die politische Elite muss über die Forderungen nachdenken, die von den städtischen, bevölkerungsreichsten und dynamischsten Zentren Spaniens gestellt werden, und darf die neuen Bewegungen Podemos und Ciudadanos nicht weiterhin nach dem Motto abtun, man müsse sich nicht um Parteien scheren, die erst »vor einer halben Stunde« entstanden sind. Statt so weiter zu machen, sollte Rajoy bedenken, dass ein Autofahrer einen Unfall wohl kaum verhindert, indem er die Augen verschließt.

Le Monde, Frankreich: Ergebnisse des Zorns
Der SYRIZA-Sieg in Griechenland, die Wahlschlappe von Labour in Großbritannien, die Stimmenzuwächse für den Front National in Frankreich und nun der Erfolg von Podemos in Spanien gehen über eine Ablehnung des harten Sparkurses hinaus. Die Triebfedern der einzelnen Bewegungen sind zwar höchst unterschiedlich - und hier muss man die spanischen Systemkritiker dafür loben, dass sie die fremdenfeindlichen Positionen von FN und Ukip nicht übernommen haben - doch verkörpern sie alle eine starke Protestströmung gegen unsere politischen Systeme. Mariano Rajoy hat sich offenbar dazu entschlossen, sie zu ignorieren. Das ist ein Fehler. Er und alle übrigen europäischen Spitzenpolitiker täten gut daran, diese Wahlergebnisse des Zorns genau zu untersuchen.

La Vanguardia, Spanien: Immer mehr kritische Stimmen
Wie sollte die (konservative Partei) Partido Popular reagieren? Das Offensichtlichste ist, dass sie ihre Botschaft verändern und sich neue und ehrgeizigere Ziele stecken muss, um die Bürger zu erreichen und vor allem die verloren gegangenen Wähler wiederzugewinnen. Aber genau dieses Bild hat (Premier) Rajoy eben nicht vermittelt.

Times, Großbritannien: Vorsicht vor Panik-Reaktionen
Spanien ist nicht Griechenland. Bei der Protestwahl hat mehr als die Hälfte der Wähler für eine der beiden traditionellen Parteien gestimmt. Podemos hat nur knapp mehr als 14 Prozent der Stimmen bekommen. Dies bedeutet, dass Konservative und Sozialisten in Spanien widerstandsfähiger sind als ihre Parteigänger in Griechenland. Das politische Establishment in Spanien sollte sich vor Panik-Reaktionen hüten.

24 Tschassa, Bulgarien: Linke im Aufschwung
Podemos gewann die Regionalwahlen in Spanien überzeugend und stellt sich nun darauf ein, die nächste Regierungspartei zu werden. Nach SYRIZA in Griechenland ist sie die zweite radikal linke Partei, die auf der Welle der Unzufriedenheit des kleinen Mannes aufsteigt. In ganz Südeuropa sind die linken Bewegungen im neuen Aufschwung. Sie nehmen das Vakuum ein, das die traditionellen großen linken Parteien hinterlassen haben. ... Unter dem Druck der Globalisierung und von Lobbyisten großer Konzerne gestalten die Politiker eine Wirtschaftspolitik, die die Mittelschicht benachteiligt. Die steht ohne Vertreter in der Regierung da.

** PRESSESTIMMEN aus: neues deutschland, Samstag, 30. Mai 2015


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