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Wissenschaftlich und politisch einflussreich

Elmar Altvater, Mitbegründer einer ökologischen Kritik der politischen Ökonomie, wird am Sonnabend 75

Von Ulrich Brand *

Die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise war erst wenige Monate alt, da verbreitete sich ein Lauffeuer in Wien: »Altvater kommt!« Innerhalb von wenigen Tagen war eine Veranstaltung organisiert, ein großer Uni-Hörsaal zum Bersten voll und der Referent fasste in einem faszinierenden Vortrag eloquent wesentliche Aspekte der Krisenursachen zusammen. Es war einer dieser großen Vorträge, die nicht so schnell vergessen werden. Darum zu ringen, aktuelle Entwicklungen auf Basis theoretischer Einsichten zu verstehen, das war auch bei diesem Vortrag spürbar.

Elmar Altvaters Hintergrund war und ist die Theorie von Karl Marx, die er wie kaum ein anderer im deutschsprachigen Raum seit über 40 Jahren zu aktualisieren versteht. Das unternahm er während seiner Zeit als Professor für Politische Ökonomie von 1971 bis 2004 an der Freien Universität Berlin, unter anderem mit legendären Vorlesungen zu Marx, oder als Redakteur in der von ihm mitgegründeten Zeitschrift »Prokla« von 1970 bis zu seinem Austritt aus der Redaktion 2006.

Seine Arbeiten sind bis heute wissenschaftlich und politisch einflussreich. »Sachzwang Weltmarkt« von 1987 war ein Grund, warum ich als junger Student anfing, mich für Marx, den Zusammenhang von Ökologie und Weltmarkt sowie für Lateinamerika zu interessieren. Er ist weit über Deutschland hinaus bekannter Mitbegründer einer ökologischen Kritik der politischen Ökonomie, die er in seinen wichtigen Büchern Anfang der 1990er Jahre – »Die Zukunft des Marktes« und »Der Preis des Wohlstands« – formulierte. Gemeinsam mit Birgit Mahnkopf griff er mit dem opulenten Werk »Grenzen der Globalisierung«, inzwischen in siebter Auflage erschienen (und wieder vergriffen), in die anhebende Debatte ein. Seine jüngsten Bücher nehmen die wieder lauter werdende Kapitalismuskritik auf und handeln vom Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, und dem großen Krach.

Marxistisch fundierte Analysen der Globalisierung und der »Finanzialisierung« betrieb er bereits, bevor überhaupt von Globalisierung gesprochen wurde. Die ökologische Krise wie auch die systemischen Grenzen herrschender Umweltpolitik waren früh Gegenstand seiner Kritik. Für eine ganze Generation jüngerer kritischer Wissenschaftler ist es eine Auszeichnung, der »Altvater-Schule« anzugehören.

Dem Mainstream waren seine Arbeiten immer schon verdächtig – wenn nicht verhasst. Kritischen Denkens hat sich gerade das »neue« Otto-Suhr-Institut der FU Berlin weitgehend entledigt – eine der markantesten Niederlagen der wissenschaftlichen Linken in diesem Land. Das brachte Elmar Altvater dazu, 2007 einen Text in der »Prokla« mit »Der kurze Sommer des akademischen Marxismus« zu betiteln. Seine pessimistische Diagnose hat sich glücklicherweise nicht überall bestätigt. Selbst in der Politikwissenschaft gab es in jüngerer Zeit einige Berufungen marxistisch orientierter Wissenschaftler, aber eher außerhalb der vom Mainstream dominierten Universitäten und Forschungsinstitutionen.

Elmar Altvater ist aber nicht nur Wissenschaftler, er war und ist bis heute immer auch gesellschaftspolitisch engagiert. Im SDS aktiv, ab Mitte der 70er Jahre gehörte er lange dem Arbeitsausschuss des Sozialistischen Büros (SB) an. Neben seiner Nähe zu den Gewerkschaften gründete er die Grünen mit, trat aber nach deren Zustimmung zum Kosovo-Krieg aus. 2007 trat er der Linkspartei bei und war 2010 Gründungsmitglied des Instituts Solidarische Moderne. Ich selbst habe ihn persönlich vor allem bei unserer gemeinsamen Tätigkeit im wissenschaftlichen Beirat von Attac kennen und schätzen gelernt.

Altvater bleibt bis heute kritischen Verlagen treu, er publiziert beim Hamburger VSA und seit nun über 20 Jahren beim Westfälischen Dampfboot. Dabei wäre es einem Denker von seinem Format ein Leichtes gewesen, in größere Verlage zu gehen.

Für die wissenschaftliche und gesellschaftspolitische Linke im deutschsprachigen Raum und in Lateinamerika sind seine Beiträge und sein solidarisches Agieren nicht hoch genug zu bewerten. Altvater wird auch nach seinem 75. Geburtstag aktiv bleiben: So hält er am 13. Dezember den Eröffnungsvortrag der Tagung »Zur Lage des Marxismus«, die von der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung in Berlin veranstaltet wird.

* Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien.

Aus: neues deutschland, Freitag, 23. August 2013


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