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Mehr Putschist als Professor

In Bonn bahnen sich Proteste gegen eine geplante "Henry-Kissinger-Professur" an

Von Harald Neuber *

An der Universität Bonn soll eine Professur eingerichtet werden, die den Namen Henry Kissingers trägt. Linke Hochschulgruppen kritisieren, dass der frühere US-Außenpolitiker für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gewesen sei.

Als »makaberen Scherz« bezeichneten Vertreter der Friedensbewegung in Bonn am Donnerstagabend einen jüngst publik gewordenen Plan der städtischen Hochschule: Die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität will ab dem nächsten Jahr eine Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrecht nach dem ehemaligen US-Außenminister und Nationalen Sicherheitsberater Henry Kissinger benennen. Dies haben, wie es in einer Pressemitteilung der Hochschule heißt, »Verteidigungsminister de Maizière und Außenminister Westerwelle (...) beschlossen«. Während die Universitätsleitung die Stiftung begrüßt, laufen Hochschulgruppen, Friedensorganisationen und Vertreter der Parteienopposition Sturm. Sie machen Kissinger für schwerste Menschenrechtsverbrechen in Südostasien und Südamerika verantwortlich.

Die Professur wurde Ende Mai zum 90. Geburtstag des früheren US-Politikers deutscher Abstammung bekanntgegeben. Nach Angaben der Grünen-Hochschulgruppe an der Uni Bonn soll der Lehrstuhl 300 000 Euro kosten, von denen 250 000 vom Verteidigungsministerium getragen werden, der Rest würde vom Außenministerium kommen. Über fünf Jahre hinweg soll die Professur Aspekte der internationalen Politik »unter besonderer Berücksichtigung sicherheitspolitischer Aspekte« erforschen helfen.

Nach ersten kritischen Zwischenrufen fand am Donnerstag im Bonner Wahlkreisbüro des LINKE-Bundestagsabgeordneten Paul Schäfer ein Bündnistreffen statt, um gemeinsame Reaktionen zu besprechen. Die Schaffung der »Henry-Kissinger-Professur« kurz vor dem 40. Jahrestag des blutigen Militärputsches in Chile wirkte auf viele Beteiligte als Provokation. Er könne nicht nachvollziehen, wie die positive Darstellung der Universitätsleitung mit der Beteiligung Kissingers an dem Putsch zu vereinbaren sei, sagte Lukas Mengelkamp von der Grünen-Hochschulgruppe. Auch die Rolle Kissingers bei der Invasion Osttimors durch Indonesien wird nicht nur von den Aktivisten kritisch gesehen. Der Journalist Christopher Hitchens hatte Verbindungen Kissingers zu schweren Menschenrechtsverbrechen dokumentiert und 2001 in Buchform veröffentlicht.

Dennoch ist vielen Studenten heute der Name Kissinger nicht mehr geläufig. »Unser Ziel ist, die Öffentlichkeit über die Hintergründe dieser Person zu informieren und in letzter Konsequenz den Namen wegzubekommen«, sagte Mengelkamp dem »nd«. Das Wahlkreisbüro von Schäfer will die Proteste koordinieren. »Diese Professur ist ein Skandal und sollte auch so behandelt werden«, heißt es in einer Rundmail an Friedens- und Hochschulgruppen.

Das noch junge Bündnis gegen die »Henry-Kissinger-Professur« plant zugleich, die Frage der Forschungsfreiheit zu thematisieren. Angesichts der fast ausschließlichen Finanzierung der Professur vom Verteidigungsministerium müsse man fragen, inwieweit eine unabhängige wissenschaftliche Arbeit möglich sei, hieß es bei dem Treffen der Aktivisten. In den letzten Jahren hatten ähnliche Vorstöße der Bundeswehr in Universitäten für Kritik gesorgt. Studentenvertretungen fordern daher Zivilklauseln, die eine Unterordnung der Hochschulen unter militärwissenschaftliche oder sicherheitspolitische Interessen des Staates unterbinden. Diese Debatte wird nun auch in Bonn geführt.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 17. August 2013


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