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Friedliche Hochschulen

Mit den "Waffen des Geistes": Nach 25 Jahren findet in Karlsruhe wieder eine Konferenz gegen Militärforschung an Universitäten statt

Von Michael Schulze von Glaßer *

Rüstungsgegner diskutieren auf einer Tagung in Karlsruhe über mögliche Verbote von Militärforschung an Hochschulen. Gewerkschaften, Studentenvertretungen und Friedensgruppen haben für diesen Freitag und Samstag eine Konferenz zu sogenannten Zivilklauseln organisiert. Die Veranstaltung im Karlsruher Institut für Technologie (KIT) steht in guter Tradition. »Nachdenken statt Nachrüsten: Wissenschaft für den Frieden«, so lautete der Titel eines von Professor Werner Buckel 1984 herausgegeben Buchs. Buckel war von 1971 bis 1973 Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und von 1986 bis 1988 Präsident der Europäischen Physikalischen Gesellschaft – daneben war der Wissenschaftler immer auch politisch aktiv. Er stand der Antiatomkraftbewegung nahe und propagierte schon früh die Nutzung von Sonnenenergie. 2003 starb Buckel in Karlsruhe. Seiner Forderung nach einer nachhaltigen Forschung soll nun mit der Konferenz »Verantwortung der Wissenschaften – Für Frieden und Zukunftsfähigkeit« nachgekommen werden – 25 Jahre nachdem Werner Buckel eine solche Konferenz an selber Stelle durchgeführt hat. »Mit der Tagung soll ein Zeichen gegen die wachsende Indienstnahme der öffentlichen Bildungseinrichtungen für militärische Zwecke gesetzt werden«, erklärt Roland Blach von der Deutschen Friedengesellschaft, die die Konferenz am KIT unterstützt.

Für die Eröffnung konnten die Organisatoren zwei honorige Wissenschaftler gewinnen: der emeritierte Professor Peter Herrlich, ehemaliger Institutsleiter am Forschungszentrum und an der Universität Karlsruhe und 1983 Mitinitiator des Mainzer Appells von Naturwissenschaftlern gegen die Stationierung von Atomraketen in Deutschland, wird über die »Verantwortung der Wissenschaft« sprechen. Anschließend referiert Professor Klaus Traube, ehemaliger Siemens-Chefentwickler des wegen unkalkulierbarer Risiken nie in Betrieb genommenen Atomreaktors Kalkar, über den »Irrweg Atomkraft«. In Arbeitsgruppen soll es am Samstag vor allem um aktuelle Probleme durch die Militärforschung gehen: die Weiterentwicklung von Kampfdrohnen, die Dual-Use-Problematik bei der Forschungsergebnisse sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden können und der Streit um »Zivilklauseln« an Universitäten. Mit diesen soll jede militärische Forschung an Hochschulen unterbunden werden. Bundesweit setzen sich Dutzende vor allem von Studierenden getragene Gruppen für eine solche Klausel an ihrer Universität ein.

Dr. Dietrich Schulze, der maßgeblich am bundesweiten Bündnis gegen Militärforschung beteiligt ist und die zweitägige Konferenz mitorganisiert, freut sich besonders auf die abschließende Diskussion: »Auf dem Podium werden Vertreter aus Wissenschaft, Studierendenschaft, Gewerkschaft und Politik sitzen, die sich bereits mit Zivilklauseln auseinandergesetzt haben.« Bei der Debatte wird sicher auch die einstimmige Verabschiedung des sogenannten »KIT-Gesetzes« im baden-württembergischen Landtag Mitte Mai Thema sein: das Gesetz sieht für die Karlsruher Forschungseinrichtung keine Zivilklausel vor und wurde trotz gegenteiliger Wahlversprechen von der Grün-Roten-Landesregierung forciert.

»Letztlich geht es mit der Konferenz darum, Rüstungsforschung zu verhindern«, so Schulze. Auch am KIT finde Militärforschung statt. Daher soll am Wochenende auch über eine Erklärung mit dem Titel »Mit den Waffen des Geistes – Gegen den Geist der Waffen« debattiert werden (siehe unten). In der Erklärung werden alle Hochschulangehörigen aufgefordert, sich der Forschung für Militär und Krieg zu verweigern. Zudem werden die Landesregierungen ermahnt, bindende Zivilklauseln in ihre Hochschulgesetze aufzunehmen.

www.zivilklausel.org

* Aus: junge Welt, Freitag, 15. Juni 2012

Hochschulen für den Frieden! - Nein zur Kriegsforschung!- Ja zur Zivilklausel!

Gemeinsame Erklärung der Initiative "Hochschule für den Frieden – ja zur Zivilklausel"

Braunschweig / Berlin, den 4.6.2011

Es gäbe genug Geld, genug Arbeit, genug zu essen, wenn wir die Reichtümer der Welt richtig verteilen würden, statt uns zu Sklaven starrer Wirtschaftsdoktrinen und -tradition zu machen. Vor allem aber dürfen wir nicht zulassen, dass unsere Gedanken und Bemühungen von konstruktiver Arbeit abgehalten und für die Vorbereitung eines neuen Krieges missbraucht werden. (Albert Einstein)

Wir wollen Hochschulen für den Frieden. Studierende und Lehrende entscheiden sich für zivile Hochschulen als Ort für Studien, Lehre und Forschung. Wir wollen sinnvolle Beiträge zur friedlichen Lösung der Probleme und Konflikte dieser Welt leisten. Sehr bewusst als Ausdruck für die zivile und friedliche Orientierung haben sich Hochschulen in ihren Senaten und Selbstverwaltungsorganen für Zivilklauseln entschieden. So hat der Akademische Senat der Universität Bremen 1986 eine "Zivilklausel" beschlossen und 1992 erneuert. Sie besagt, dass "jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung" vom Akademischen Senat der Universität abgelehnt wird. Die Klausel fordert "die Mitglieder der Universität auf, Forschungsthemen und -mittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen können." Über ähnliche Zivilklauseln verfügen Hochschulen in Berlin, Dortmund, Konstanz, Oldenburg und Tübingen. An vielen anderen Hochschulen werden von Studierenden und Wissenschaftler/innen Zivilklauseln angestrebt oder eingefordert. Das Land Niedersachsen verfügte über viele Jahre im Landeshochschulgesetz über eine Zivilklausel. In der Universität Tübingen wurde die Friedensbindung durch eine Zivilklausel in der Grundordnung im September 2010 rechtskräftig. Freiheit von Forschung und Lehre ist nicht beliebig. Diese Freiheit geht vom umfassenden Friedensauftrag des Grundgesetzes aus und setzt der militärischen Forschung an zivilen Hochschulen Schranken. Und, Hochschulen werden durch Zivilklauseln in keiner Weise in ihrer Forschung beschränkt. Keine Erfindung zum Wohle der Menschen erfordert Militärforschung.

Wir sind empört!

An über 40 deutschen Hochschulen wird Forschung für den Krieg betrieben. Keine Fachrichtung bleibt zivil. Werkstoff- und Laserforschung, Satelliten-Systeme, Informations- und Nachrichtentechnik, Robotersysteme, Medizin- und Pharmaforschung, Optik und Nanotechnologie, Sport- und Sozialwissenschaften, alle Fachrichtungen sind im Focus der Militärforschung. Für Militärforschung wird Geheimhaltung angeordnet. Informationszugang bekommt nur ein kleiner Kreis von Auserwählten. Mit Geheimschutzregeln werden Transparenz und Mitbestimmung an Hochschulen beschränkt. So wird der Einfluss der Militärs auf die akademische Lehre verstärkt. Das Verteidigungsministerium stellte 2010 für Ressortforschung insgesamt 1,1 Milliarden Euro für Rüstungsforschung bereit. Doch dieser Betrag ist nur ein Bruchteil der Forschungsmittel, die für militärische Zwecke genutzt werden. Denn der Ressortforschungsplan des Verteidigungsministeriums geht davon aus, dass sogenannte „wehrwissenschaftliche Forschung“ grundsätzlich auf den Erkenntnissen der zivilen Forschung aufsetzt („Add-on-Prinzip“), „wenn nationale Sicherheitsinteressen und das angestrebte Fähigkeitsprofil der Bundeswehr es erfordern.“ Und weiter: „Konzepte und entsprechende Technologien, die sowohl für die militärische Verteidigungsforschung als auch für die zivile Sicherheitsforschung relevant sind, bilden die Schnittstellen zur zivilen Sicherheitsforschung (Dual-Use-Prinzip).“ Dual-Use ist die Möglichkeit des Gebrauchs von Technologien, Wissen und Forschung für zivile oder militärische Zwecke. Dual-Use kann durch Kriterien wie Finanzierungsfestellung, Öffentlichkeit und demokratische Transparenz erkannt und damit Rüstungsforschung vermieden werden. Wir wenden uns gegen die Behauptung, friedliche zivile Forschung kann von militärischer nicht unterschieden werden.

Mit dem Umbau der Bundeswehr zur Berufsarmee wurde der Etat zur Nachwuchswerbung zwischen 2009 und 2011 um knapp 50 Prozent auf über 10 Millionen Euro pro Jahr erhöht worden. An Hochschulen werden Werbe- und Lehrveranstaltungen von den Jugendoffizieren der Bundeswehr ausgerichtet. Seit 20 Jahren leiden die öffentlichen Hochschulen unter einer politisch getriebenen Unterfinanzierung. Selbst nach Berechnungen des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) beträgt der Fehlbetrag weit über 2 Mrd. Euro. Gleichzeitig vergeben Rüstungskonzerne Forschungsarbeiten und finanzieren Stiftungsprofessuren. Drittmittel-Geber der militärischen Forschung nutzen die Unterfinanzierung ziviler Hochschulen aus. Finanzielle Abhängigkeit von Drittmitteln gefährdet die Autonomie der Hochschulen und zerstört demokratische Entwicklung. Wir sind empört über die „Geheimschutzordnung“, mit der das Verteidigungsministerium ihre Drittmittelforschung an den Hochschulen belegt. Militärforschung an den Hochschulen beschränkt die Transparenz, Autonomie, und greift Demokratie und Freiheit an den Hochschulen an. Wir fordern eine Demokratisierung der Hochschulen und eine umfassende Mitbestimmung aller in den Universitäten Arbeitenden, Studierenden und Lehrenden. Wir fordern, die Finanzierung der Hochschulen muss durch ausreichende öffentliche Mittel sichergestellt werden.

Wir lehnen diese Indienstnahme der Wissenschaft, Forschung und Lehre für den Krieg prinzipiell ab. Militärforschung an Hochschulen verdrängt zivile Forschungs- und Wissenschaftsstrukturen. Militärforschung blockiert notwendige Forschung zur Lösung von sozialen und ökologischen Problemen. Die Instrumentalisierung von Forschung und Lehre für militärische Konfliktlösung ist Bestandteil einer Politik, die auf militärische Interventionen und Krieg setzt. Dazu wird die Bundeswehr zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee umgebaut, die Rohstoffquellen und Transportwege für die deutsche Wirtschaft zu sichern habe.

Wir lehnen militärische Interventionen grundsätzlich ab. Sie lösen keine Konflikte sondern verschärfen diese. Wir treten ein für Verhandlungen, friedliche Konfliktregelungen, Abrüstung und Rüstungskonversion und fordern eine gerechte Weltwirtschaftsordnung. Während die Bundeswehr vom Balkan bis zum Hindukusch eingesetzt wird, treten sie auch im Inland stärker in Erscheinung. Mit Tausenden von Auftritten außerhalb militärischer Liegenschaften soll eine Akzeptanz für das Militär gewonnen werden.

Den Einsatz der Bundeswehr nach innen, wie er z.B. schon 2007 bei Demonstrationen in Heiligendamm erfolgte, lehnen wir entschieden ab. Wir sagen NEIN zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren.

Die Geschichte der deutschen Hochschulen verpflichtet: Sie stellten sich zum allergrößten Teil bereitwillig in den Dienst des Faschismus, sie untermauerten auf angeblich wissenschaftlicher Ebene deren menschenfeindliche Ideologie und beteiligten sich an der Ermöglichung eines desaströsen Expansionskrieges. Eine unabhängige und transparente Wissenschaft und ihre Orientierung an den sozialen und zivilen Interessen der Bevölkerung sind der Geschichte entgegen zu setzen. Das Recht auf eine Wissenschaft frei von Partikularinteressen, das uns von einem Grundgesetz mit klarer friedlicher Ausrichtung garantiert wird, sowie die verbindliche Orientierung der Bildung auf eine friedliche internationale Entwicklung durch den UN-Sozialpakt sind positive Schlussfolgerungen aus der Niederringung des Faschismus. Für diese Ziele setzen wir uns ein, für diese Ziele brauchen wir weitere Verbündete.

Wir fordern Hochschulen, die in Wissenschaft, Forschung und Lehre ausschließlich dem Frieden verbunden sind. Dabei ist Frieden für uns mehr als Abwesenheit vom Krieg und Gewalt. Frieden beinhaltet die Einhaltung der Menschenrechte die Gestaltung von sozialen und ökologischen Lebensbedingungen für alle Menschen ohne Anwendung von Gewalt.

Wir fordern eine breite Diskussion um die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaftlerinnen und des Wissenschaftlers aber auch der Institution Hochschule. Wissenschaft, Forschung und Lehre müssen dem Frieden und der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichtet sein. Wir stehen damit in der Tradition einer humanistisch verstandenen Wissenschaft eines Albert Einstein, Linus Pauling und Joseph Rotblat.

Wehrt euch – leistet Widerstand

Widerstand beginnt sich zu regen. Eine „immer größer werdende, sogenannte Zivilklausel-Bewegung“ (FAZ 12.01.2011) fordert die Verpflichtung der Hochschulen auf friedliche, zivile Forschung und Lehre. An den Universitäten Karlsruhe und Köln sowie an der FU Berlin haben sich die Studierenden in Urabstimmungen für eine Zivilklausel ausgesprochen. Weitere Abstimmungen sollen folgen.

Unser Ziel ist eine breite gesellschaftliche Bewegung für den Frieden, für die Zivilklausel, für Friedensinhalte in Wissenschaft Forschung und Lehre an jeder Hochschule zu entwickeln und diese bundesweit zu vernetzen.

Im Februar 2011 wurde ein Internationaler Appell gegen jegliche Militärforschung an Universitäten von mehreren Nobelpreisträgern unterzeichnet und veröffentlicht. Wir wollen diesen Appell überall verbreiten und für ihn weitere Unterschriften sammeln.*

Wir wollen die Friedensbewegung an den Hochschulen stärken und in Kooperation mit internationalen Initiativen (UNI, INES) vernetzen. Deshalb haben wir die Initiative: "Hochschulen für den Frieden! - Nein zur Kriegsforschung! - Ja zur Zivilklausel!" gegründet.

Diese Initiative ist offen für jede und jeden, die sich für friedliche Konfliktregelungen und gegen die Militarisierung des Wissenschaftssystems wenden. Die Initiative braucht Verstärkung für weitere Proteste, Veranstaltungen und Tagungen.

Wir werden nicht tatenlos zusehen, wenn an unseren Hochschulen (wieder) für den Krieg geforscht wird. Wir werden es nicht dulden, wenn an unseren Hochschulen wieder militärische Geheimforschung betrieben werden soll.

Wir fordern friedliche und zivile Hochschulen, die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden.


* Der Appell im Wortlaut:

Commit Universities to Peace - Reject Research for the Military. It is time to act

International Appeal to the heads of universities and responsible academic bodies

Freedom of thought and ideas for a peaceful, sustainable and just world are universal human rights. Today, they are threatened in many places, including even the universities around the world. Growing militarization of academic research in not only engineering and natural sciences, but also humanities, is further eroding those rights. Immediate steps need to be taken to reverse this process.

The undersigned believe that universities must focus on promoting peace and understanding among peoples by rejecting any research and teaching for military purposes.

We call for the abandonment of all research and teaching for military purposes and urge the university authorities and the responsible academic bodies everywhere to adopt binding commitments in the university statutes similar to Civil Clauses in some countries.

The appeal is part of a global campaign being launched by INES close to the 50th Anniversary of the landmark farewell speech by U.S. President Dwight Eisenhower on January 17th, 1961.

In his speech, Eisenhower warned of the danger of a growing military-industrial complex and cautioned that the U.S. was spending more on the military security than the net income of all United States corporations. A half a century later the cost of the wars in Iraq and Afghanistan has exceeded 1 trillion dollars and the public debt is approaching the size of the Gross Domestic Product, the largest in the world.

As we are all painfully aware, the so-called peace dividend did not materialize after the end of the Cold War. Instead, military spending by the major powers have continued to escalate along with massive expenditures for misguided wars.

However, the continuing crisis in the world economy and huge national budget deficits are forcing many countries to put their hitherto untouchable military budgets on the chopping block.

A permanent war mentality is fed by an incessant drive for modernization of weapons, which in turn require ever newer technology. It is becoming increasingly clear that these hitech weapons are not needed in the absence of any credible adversary and they are useless in the battlefield. Yet, the United States alone spends well over $80 billion annually in military research and development. The UK government spending on military Research and Development (R&D) is about 2 billion UK£ (2009), ie 3 billion US$.

Unfortunately, first-class universities and institutes like MIT continue to depend heavily on Pentagon's largesse. Although not to the same extent, but similar dependence also exists in many NATO countries (e.g. Cambridge University /UK) and emerging powers such as China and India.

It is high time we steer these large sums of money to solve more pressing problems like poverty, global warming or the shortage of water around the world. Let us demilitarize our universities and put science back squarely in the service of the society and not war.

We would very much appreciate it if you could kindly review the Appeal and lend your support to the campaign by signing it.

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