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"Falschparker werden auch zur Kasse gebeten"

Schavan-Dissertation: Werden wissenschaftliche Standards gesenkt, um eine Ministerin zu retten? Ein Gespräch mit Gerhard Dannemann *


Gerhard Dannemann ist Professor für Recht, Wirtschaft und Politik Großbritanniens am Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität Berlin (HUB) und arbeitet beim Plagiatportal VroniPlag mit (de.vroniplag.wikia.com/wiki/Home).

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) steht im Verdacht, bei ihrer 1980 vorgelegten Dissertation »Person und Gewissen« geschummelt zu haben. Warum hat diese Arbeit den Doktorgrad in Ihren Augen nicht verdient?

Weil sie gravierende Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis aufweist. Es gehört zu den Geboten wissenschaftlichen Arbeitens, verwendete Quellen zu zitieren und klar zu kennzeichnen, wo ein Wortlaut übernommen wird. Beide Regeln werden in der Dissertation immer wieder mißachtet. Und dies nicht nur ein- oder zweimal, sondern – je nachdem, wie großzügig oder kleinlich man ist – zwischen 40 und 90 mal.

Hat die Ministerin nach Ihrer Einschätzung vorsätzlich getäuscht?

Professor Stefan Rohrbacher hat in seinem Gutachten für den Promotionsausschuß der philosophischen Fakultät der Uni Düsseldorf Frau Schavan eine leitende Täuschungsabsicht unterstellt. Ich halte diesen Schluß für nachvollziehbar, aber nicht zwangsläufig, zumal an der Arbeit in weiten Teilen nichts auszusetzen ist. Um zu einem Urteil zu gelangen, reicht es nicht, nur den Text zu durchforsten. Frau Schavan muß befragt werden, ebenso ihr damaliger Betreuer. Aus all dem kann sich die Fakultät ein Gesamtbild machen und muß dann urteilen, ob ein Vorsatz vorliegt oder nicht.

Das Plagiatportal Schavanplag hat in der Dissertation der Ministerin auf 97 von knapp 320 Seiten Verfehlungen ausfindig gemacht. Ist das nicht ein ziemlich beachtliches Sündenregister?

Bei manchen dieser Punkte würde ich sagen: Kleinkram. Was mich an der Arbeit am meisten stört, sind die Passagen, wo über mehrere Sätze, einmal eine ganze Seite lang, in einem Fall sogar eineinhalb Seiten aus einer Quelle übernommen wurden, ohne dies richtig oder überhaupt zu kennzeichnen. Frau Schavan vermittelt den Eindruck, sie hätte sich mit allen Primärquellen auseinandergesetzt. In einigen Fällen, hat sie dies aber erkennbar nicht getan. Insbesondere da, wo sie falsche Titelangaben aus ihrer Quelle übernommen hat oder aus Gerhard Adler den Psychotherapeuten Alfred Adler gemacht hat.

Sollte sich Schavan angesichts solcher Bolzen nicht besser damit herausreden, daß sie einfach schlampig gearbeitet hat?

Wir wissen natürlich nicht, wie Frau Schavan im Düsseldorfer Verfahren auf die einzelnen Vorwürfe eingegangen ist. Öffentlich erleben wir sie, wie sie jeden Fehler abstreitet. Das ist aber nicht haltbar, und eigentlich hätte auch ich erwartet, daß sie ihre Verstöße gegen die Zitierregeln eingesteht und sagt: Tut mir leid, war keine Absicht.

Aus dem Lager der Spitzenforschung heißt es nun, vor 30 Jahren seien die wissenschaftlichen Ansprüche laxer gewesen. Was halten Sie von dieser These?

Gar nichts. 1980 war ich im Grundstudium, und schon da habe ich gelernt, daß man so nicht mit Quellen umgehen darf. Nun wird behauptet, bei den Erziehungswissenschaften seien damals weniger strenge Maßstäbe angelegt worden. Wurde Erziehungswissenschaftlern wirklich beigebracht, daß sie absatzweise eine Quelle abschreiben dürfen, ohne auf sie zu verweisen? Oder hat sich nur in der Praxis eine Haltung eingeschlichen, mit der Schummeln beim Zitieren als eine Art Kavaliersdelikt wie Falschparken gesehen wird? Aber selbst das würde Frau Schavan nicht entlasten. Falschparker werden schließlich auch zur Kasse gebeten.

Wird mit derlei Argumenten Schlamperei nicht zur Bagatelle runtergespielt?

Ich halte diese Diskussion für hochgefährlich. Hier will man, um eine Ministerin zu retten, die man für sehr fähig und auch nützlich hält, die Standards so weit senken, daß Frau Schavans Arbeit mit Ach und Krach noch durchgeht. Wissenschaftler stehen unter Publikationsdruck, und schon heute gibt es den Trend: Masse statt Klasse. Wenn es jetzt noch heißt, das geht schon in Ordnung, wie Frau Schavan gearbeitet hat, erhöht sich der Druck, nach niedrigem Standard und dafür mehr zu produzieren. Außerdem machen wir uns damit international lächerlich.

Interview: Ralf Wurzbacher

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 31. Januar 2013


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