Potsdamer Manifest 2005
"We have to learn to think in a new way"
Angesichts der weltweiten Gefahren nuklearer Kriege forderten Bertrand Russell und Albert Einstein in
ihrem Manifest vor fünfzig Jahren, uns, die Menschheit, zu einem neuem Denken auf, das Krieg als
Strategie der Konfliktlösung endgültig bannt.
Inzwischen wurde unverkennbar, dass die militärische Machtstrategie mit ihrer vorläufigen Kulmination
in Massenvernichtungswaffen nur eine von viel breiter greifenden und tiefer angelegten Machtstrategien
ist. Wir erleben eine Eskalation von struktureller Gewalt mit politischen und vor allem wirtschaftlichen
Komponenten. Geopolitische, soziokulturell wie ökonomische Machtstrategien, die unbegrenzte Expansion
globalisierter Marktwirtschaft und ihrer Produktivitätszwänge bedrohen und zerstören die räumliche
und stoffliche Begrenztheit unserer Erde. Die zerstörerischen Auswirkungen einer hemmungslosen und
unreflektierten Zivilisation im Zusammenleben der Völker, in den Wechselbeziehungen zwischen Gesellschaft
und Natur und, nicht zuletzt, in den einzelnen Menschen sind offenkundig. Jahrhunderte lang
wurde die Ausbeutung von Menschen und Völkern und der Raubbau an Natur als Nebenwirkung,
schlimmer noch, als hinzunehmendes Übel wahrgenommen. Hoffnungen und Erfolge aus der Entwicklung
besserer und großspuriger Voraussetzungen für ein leichteres Leben und die daraus folgende weitgreifende
Aneignung der Welt verschleierten, welche unmittelbaren Opfer und schleichenden Verheerungen
bereits in den frühen Phasen mit solcher Macht verbunden waren. Heute ist offensichtlich, dass
einseitiges Betreiben dieser Erfolge zugunsten der europäisch-nordamerikanischen Initiatoren der neuen
Zivilisation und ihrer Nachahmer rund um die Welt auf einen kalten Krieg gegen alle und alles hinaus
läuft, was zu Ressourcen für eine Steigerung materieller Bemächtigung gemacht werden kann oder solche
Bemächtigung zu behindern scheint. Besonders bedrohlich ist dabei eine beschleunigte Zerstörung der
bioökologischen Diversität von ganzen Lebenskomplexen in einem in der Erdgeschichte wohl einmaligen
Ausmaß. Aber auch die Vielfalt menschlicher Lebensformen und der Reichtum der Kulturen wird
auf ähnliche Weise irreversibel reduziert, und damit die Breite möglicher Strategien, Lebensstile und zukünftiger Entwicklungen. Die Konflikte um die Verteilung von Wohlstand, der Möglichkeiten des Zugangs
zu öffentlichen Gütern, der Rechte der Individuen und Gemeinschaften gefährden den Zusammenhalt
und die Entwicklungsfähigkeit der Menschheit in ihren Grundstrukturen.
Diese vielfältigen Krisen, mit denen wir heute konfrontiert sind und die uns zu überfordern drohen, sind
Ausdruck einer geistigen Krise im Verhältnis von uns Menschen zu unserer lebendigen Welt. Sie sind
Symptome tiefer liegenden Ursachen, die wir bisher versäumten zu hinterfragen und aufzudecken. Sie
hängen eng mit unserem weltweit favorisierten materialistisch-mechanistischen Weltbild und seiner Vorgeschichte
zusammen.
Unsere tiefe Sorge, dass wir, als Angehörige der Species Homo sapiens, die lebendige Vielfalt unserer
Erde und unsere kreativen Entfaltungsmöglichkeiten immer weiter reduzieren und unser Überleben in
Frieden und gemeinsamen Austausch irreversibel gefährden, gibt uns den Mut zu dieser Schrift, und unsere
Erkenntnis, neue Pfade einschlagen zu müssen, den Anlass dazu.
Wir müssen unser Denken erweitern und unser jetziges Verhalten grundlegend korrigieren. Hierbei können,
so glauben wir, gerade die revolutionär erweiterten Einsichten der neuen Physik einen hilfreichen
Einstieg für eine Entschärfung und Lösung der Problematik liefern, da sie durch ihre Öffnung eine
Neuorientierung erlauben. Das wird unser Ansatz sein. Er soll jedoch auch als ein ‚Katalysator’ dienen,
Andere zu neuem Denken anzuregen.
NEUE ORIENTIERUNG
Die Einsichten der modernen Physik, der ‚Quantenphysik’, legen eine Weltdeutung nahe, die grundsätzlich
aus dem materialistisch-mechanischen Weltbild herausführt. Anstelle der bisher angenommenen
Welt, einer mechanistischen, dinglichen (objektivierbaren), zeitlich determinierten ‚Realität’ entpuppt
sich die eigentliche Wirklichkeit (eine Welt, die wirkt) im Grunde als ‚Potenzialität’, ein nichtauftrennbares, immaterielles, zeitlich wesentlich indeterminiertes und genuin kreatives Beziehungsgefüge, das nur gewichtete Kann-Möglichkeiten, differenziertes Vermögen (Potenzial) für eine materiellenergetische Realisierung festlegt. Die im Grunde offene, kreative, immaterielle Allverbundenheit der Wirklichkeit, erlaubt die unbelebte und auch die belebte Welt als nur verschiedene – nämlich statisch stabile bzw. offene, statisch instabile, aber dynamisch stabilisierte – Artikulationen eines ‚prä-lebendigen’ Kosmos aufzufassen.
Die in der Mikrowelt herrschenden immateriellen, informations-tragenden, prä-lebendigen Verknüpfungen
werden nur indirekt auf der Meso-Ebene unserer Erfahrungswelt wirksam. Gewöhnlich werden sie
ausgemittelt und führen in dieser ‚verwaschenen’ Form zu dem uns wohl-vertrauten ‚klasssischen’ Verhalten des Unbelebten. Instabilität wirkt jedoch wie ein enormer Verstärkungsfaktor, was eine Ausmittelung verhindert: Das Lebendige, wie es uns in unserer Erfahrungswelt begegnet, bezieht seine Fähigkeit zur fortwährenden schöpferischen Differenzierung und kooperativen Integration aus seinem ‚prälebendigen’ (mikrophysikalisch erkennbaren) Urgrund; dessen ‚Informationen’ steigen durch Instabilitäten verstärkt in die Mesosphäre auf und entfalten sich dort schöpferisch in intensiver und reicherer Form. Das ‚Prä-lebendige’ organisiert sich so in der komplexen Vielheit unsere ‚höheren’ bioökologischen
Lebendigkeit, wie sie uns in unserem täglichen Leben begegnet. Auch die kulturökologische Vielfalt
mit ihren Entwicklungsformen, das heißt ihren Wandlungs- und Ausgleichsprozessen, resultiert
letztlich aus diesem Zusammenhang.
Eine solch neue Sichtweise öffnet uns auch die Möglichkeit, Kreativität und die Gabe absichtsvollen und
gemeinschaftsbezogenen Handelns für uns Menschen als genuin (nicht eingebildet) zu erkennen und
daran auch zu glauben. Diese Sichtweise enthält die Basis für unser Streben nach Freiheit und Entfaltung
von Individualität und erlaubt uns, anders sein zu können, ohne dabei die zu Grunde liegende Allverbundenheit
zu verlieren. Diese äußert sich in einer eingeprägten Neigung, unsere besonders ausgebildeten
Fähigkeiten kooperativ mit anderen zu einem höheren Ganzen ‚organismisch’ einzubringen.
NEUES DENKEN
„Wir müssen lernen, auf neue Weise zu denken.“ Wenn wir diese Forderung radikal ernst nehmen, müssen wir
neue oder ungewohnte Wege des Lernens beschreiten. Aus neuer Sicht stellt sich die Welt, die Wirklichkeit,
nicht mehr als ein theoretisch geschlossenes System heraus. Dies führt zu einer eingeprägten Unschärfe,
die aus der fundamentalen Unauftrennbarkeit resultiert und in einer prinzipiellen Beschränkung
des ‚Wissbaren’ zum Ausdruck kommt. Wir sind dadurch gezwungen über die Wirklichkeit, streng genommen,
nur in Gleichnissen sprechen zu können. Es gibt prinzipiell nicht mehr auf alle Fragen, die wir
aus unserer menschlichen Sicht glauben stellen zu können, Antworten, da diese ins Leere stoßen.
Der einzelne Mensch, wie alles Andere auch, bleibt prinzipiell nie isoliert. Er wird im allverbundenen
Gemeinsamen in seiner nur scheinbaren Kleinheit zugleich unendlich vielfältig einbezogen und bedeutsam.
In all unserem Handeln wirkt die Vielzahl von Einflüssen und Impulsen anderer Menschen und unserer
Geobiosphäre mit, und nicht nur über die durch unsere Sinne vermittelte Brücke materiellenergetischer
Wechselwirkungen, sondern auch direkt über die allen gemeinsame immaterielle potenzielle
Verbundenheit. Unser Handeln beeinflusst gleichermaßen auch wieder die gesamte gesellschaftliche
Verfasstheit und verändert die sich ständig dynamisch wandelnde Potenzialität der lebendigen Wirklichkeit.
So ist die Einzigartigkeit des Einzelnen tragender Bestandteil unseres gemeinschaftlichen kulturellen
Evolutionsprozesses.
Wir Menschen und menschliche Gemeinschaften repräsentieren mit unseren kulturellen Ideenwelten,
unseren geistigen schöpferischen Prozessen und unserem bewegten Austausch eine besondere, tief verbundene
Sphäre der belebten Welt. Prä-Lebendigkeit ist ein Wesenszug von Allem, auch der dinglichen
– gewöhnlich als ‚tot’ begriffenen – Wirklichkeit. Wir sind angehalten, in einem grundlegend neuen
Denken zu einem umfassenderen Verständnis unserer Wirklichkeit zu gelangen, in der auch wir uns als
Faser im Gewebe des Lebens verstehen, ohne dabei etwas von unseren besonderen menschlichen Qualitäten
opfern zu müssen. Damit wird es möglich, die Menschen in grundlegender Gemeinsamkeit mit
der übrigen Natur zu erkennen, ohne dabei in einen konventionellen Naturalismus zu verfallen oder sich
einfach auf Kosmologien zu berufen, die dem Weltbild und den Lebensformen naturnaher Kulturen
entsprochen haben mögen.
Das materialistisch-deterministische Weltbild der klassischen Physik wurde mit seinen starren Vorstellungen
und reduktiven Denkweisen zur vorgeblich wissenschaftlich legitimierten Ideologie für große Bereiche
des wissenschaftlichen und politisch-strategischen Denkens. Die fortschreitende Gleichschaltung
aller Wert- und Wohlstandsvorstellungen, Konsumgewohnheiten und Wirtschaftsstrategien nach dem
Muster einer westlich-nordamerikanisch-europäischen Wissensgesellschaft wird weiterhin noch über ein
Denken legitimiert, welches auf Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Fundamente für eine rationale
‚Objektivierbarkeit’ der Wirklichkeit argumentiert. Wo Konflikte auftreten, wird ein Mangel an Verfügungswissen
konstatiert, das nachgeliefert werden muss. Nach den Grundlagen der Orientierung wird
wenig gefragt, obwohl es Anlass genug dazu gibt.
Die modernen Gesellschaften befinden sich in einem kalten Krieg gegen Vielfalt und Wandel, Differenz
und Integration, gegen offene Entfaltung und die Ausgleichsbewegungen durch Risiken und Chancen
hindurch: also gegen alles, was die lebendige Evolution in der Natur und mit ihr die Menschen bestimmt,
bis hinein in den ‚prä-lebendigen’ Grund, der uns und alles Leben trägt. Die vielen Möglichkeiten einer
lebendigen Welt werden ignoriert, die in kreativen Prozessen einer fortwährenden Differenzierung und
gleichzeitigen oder nachfolgenden kooperativen Integration des Unterschiedlichen (einem Plus-
Summen-Spiel) zu organismisch vielfältigeren Lebensformen aufwachsen, wo das Ganze, in einem sehr
umfassenden und differenzierten Sinne, mehr ist als die Summe seiner Teile.
Stetiger Wandel ist ein Charakteristikum kultureller Evolution und ebenso ein Kriterium für kulturelle
Zukunftsfähigkeit. Wenn dieser fehlt, ist ein Erstarren eines Kulturmodells bis zum Zusammenbruch
vorbestimmt. Ist die Wandlungsfähigkeit, die Fähigkeit zum kulturell evolutiven Prozess, über die kulturinternen
Strukturen fest an ökonomische Systeme gebunden und sind diese hauptsächlich an materielle
Ausgangsvoraussetzungen geknüpft, dann kann eine kulturelle Weiterentwicklung nur in den Grenzen
der materiellen Welt stattfinden. Werden diese Grenzen erreicht, führt dies zum kulturell-evolutiven
Stillstand und letztlich zu einem Ausstieg aus der dynamischen Evolution des Lebens.
Die Quantenphysik – und nicht nur sie – fordert uns auf, unser Denken in starren Strukturen grundsätzlich
so zu emanzipieren, dass flexible Beziehungen an deren Stelle treten können. Auflockerung und
sanfte Auflösung monostruktureller, zentralistischer Konstruktionen, die bevorzugte Ausdrucksformen
des materialistisch-mechanistischen Weltbildes sind, werden möglich. Die Vernichtung aller anderen
Werte durch den Mechanismus der Märkte, wo machtförmige Stärke absoluten Vorrang fordert vor Entfaltung
und Gerechtigkeit, verliert endgültig ihre liberale Legitimation. Im neuen Denken verbindet sich
die Fülle unserer Wahrnehmungsvermögen und geistigen Bewegungen; bewußte wie unbewußte Motive
für menschliches Denken und Handeln werden gleichermaßen anerkannt. Damit zeichnet sich eine neue
evolutionäre Ebene ab, in der eine komplexe, nicht fragmentierte Wirklichkeitswahrnehmung, so etwas
wie ‚Ahnung’, das Fundament unseres Denkens, Fühlens und Handelns bildet. So können wir unsere
Ziele und Strategien in Muster und Bewegungen angepassten Wirkens verwandeln.
Lernen braucht dringend lebende Vorbilder. Aber es sind nicht nur die Lehrenden oder geistigen Führer,
die uns Wege weisen. Wir alle sind auch Einsichtige, die einander erinnern können, was in uns an Vermögen
angelegt ist, und aus dem heraus seit Urzeiten schon in vielen Leben erfolgreich gelebt wurde. Im
gemeinsamen Dialog, in einer Lernkultur der Gegenseitigkeit, können wir als Species daraus schöpfen.
Die in Wechselwirkung zum bewegten Lebenskomplex Erde gewachsenen, über Jahrmilliarden dynamisch
angepassten und ‚geprüften’ Organisationsmuster und -formen lebendiger Strukturen und Biokomplexe
zeigen uns Zugänge und Umgangsformen, um ein dezentral-dynamisches, vielzelliges, nämlich
organismisches Zusammenwirken lebendiger Gesamtheit auf der Erde zu organisieren. Wir lernen, dass
wir, wie alles Andere, untrennbar mit dieser wundersamen irdischen Geobiosphäre verbundene TeilnehmerInnen
und Teilhabende sind.
NEUE ANFORDERUNGEN
Wir müssen verengte und mechanistische Strategiemuster, Reduktionen, Mittelwertsbildungen fallen lassen
und sie ersetzen durch Beweglichkeit, Offenheit und Empathie, um neue offen gestaltbare
Schöpfungs- und Handlungsräume zu ermöglichen. Das öffnet uns ein Füllhorn echt kreativer Lebendigkeit
integriert durch organismische Kooperation. Die prinzipiell genuine Kreativität in einer zeitlich
wesentlich offenen Welt ist es, die hier die vermeintlich unlösbaren Fesseln sprengt und eine immense
Vielzahl erfolgreicher Lebensstile eröffnet. Ein immer lebendigeres Sein, ein fortdauerndes Werden kann
an Stelle eines erstarrten Habens-Wohlstandes treten. Das Individuum gewinnt wachsende Offenheit in
seiner intensiven Teilhabe und durch seine Zeit und Raum übergreifende Einbettung in den Lebensverbund
der Erde. Erst dieses dynamische Wechselspiel zwischen Menschen und den Menschen und ihrer
lebendigen Mitwelt ist wirklich Wohlstand schaffend und fordert und fördert den Menschen in seinem
ganzen Wesen.
Es ist dringend notwendig, eine integrative Kooperation der vielfältigen wirtschaftlichen Austauschstrategien
zwischen Menschen, Gemeinschaften und ihrer natürlichen Mitwelt, sowie der Verteilungsmuster
in Produktion, Verwertung und Versorgung zu ermöglichen, um die Verfügbarkeit von Lebensgütern
sowie der strukturellen und institutionellen Vorbedingungen sozialökonomischen Austausches zu gewährleisten.
Der Entwicklung neuer dezentraler und polyzentrischer Produktions-, Verteilungs- und
Entscheidungsstrukturen kommt besondere Relevanz, ja, Priorität zu.
Ökonomie muss sich an ihren lokalen und regionalen soziokulturellen Bezügen, Strategien, Traditionen
und Bedürfnissen messen, um bedarfsgerecht und zukunftsfähig zu sein und nicht in künstliche Homogenisierungen
und Erstarrungen zu geraten, entlang derer sich steigende Gefährdungspotenziale entwickeln.
Hierzu braucht es ein größtmögliches Maß an dezentraler Leistungsinitiative und -möglichkeit,
Versorgungssouveränität und Subsistenz. Dies verlangt zugleich eine globale Vernetzung und Abfederung
über die Versorgung mit Gütern globaler Relevanz. Eine optimale wie bewegliche Komplementarität
zwischen pluralen Ökonomien von lokaler, regionaler und kontinentaler Bedeutung in Synergie mit
interkontinentalen Infrastrukturen für den Austausch von Gütern und Diensten aus globaler Arbeitsteilung
bilden hierfür wesentlich mittragende Voraussetzungen.
Die materiellen Rahmenbedingungen und die Verfügbarkeit von begrenzten Quellen und Senken der irdischen
Natur, wie deren Regenerationszyklen bestimmen wesentlich die Gemeinschaftsgüter. Deshalb
hat die ökologische Grundlage der Erde räumlich wie zeitlich Gemeinschaftscharakter. Sie darf nicht
weiter zentralisiert verwaltet und nicht monopolisiert werden, weder privat noch staatlich, noch überstaatlich.
Ein jeder hat gleichermaßen Teil an der Gesamtheit der gemeinschaftlichen Lebensgrundlage
Erde, und ist dort, wo er lebt und wirkt, den globalen Gemeinschaftsgütern lokal bis interkontinental
treuhänderisch verpflichtet. Die Einschränkungen liegen nur in den stofflichen Begrenzungen unseres
Lebensortes Erde, der geistig-kulturelle Raum kann mit uns vielfältig wachsen.
NEUES HANDELN
Es ist dringlichst an der Zeit, neues Denken in neuem Handeln umzusetzen, und darin die Kraft des Differenzierten,
Bewegten, des Sich-Wandelnden für uns zu nutzen. Hierfür ist eine Parallelität neuer institutioneller,
individueller und gesellschaftlicher Entwicklungen notwendig. In den gegenwärtigen Strategien
für das wirtschaftliche, politisch-kulturelle und ökologische Zusammenwirken der Menschen dominieren
immer noch zentralisierte Machtstrukturen, die wir ablösen sollten und können.
Der Aufbau polyzentrischer, sich komplementär ergänzender Wirtschaftsstrukturen ist notwendig. Monetär
orientierte marktwirtschaftliche Wirtschaftsinstitutionen müssen und lassen sich mit zivilgesellschaftlichen
sozialen, kulturellen und subsistenzwirtschaftlichen Initiativen und Institutionen in wechselseitiger
Bereicherung verbinden. Parallel sollte Dezentralität und Unterschiedlichkeit ökonomischer, politischer
und soziokultureller Institutionen über flache transparente Hierarchien innerhalb ihrer Entscheidungsorgane
und -träger gestützt werden. Hierfür ist eine Verringerung monopolistischer Machtstrukturen
weniger Unternehmen zugunsten einer Vielfalt von wirtschaftlichen, marktlich wie zivil getragenen
Unternehmungen notwendig und möglich. Deren kooperatives Zusammenspiel muss und kann
lokal bis interkontinental politisch, rechtlich und infrastrukturell gewährleistet werden.
Com-petition, das heißt kooperatives Wetteifern, kann sich – um eine menschen- und gemeinschaftsgerechte
Globalversorgung zu gewährleisten – nur durch Innovation und schöpferische Produktivität, unter
Nutzung der dynamischen Triebkräfte eines kooperativ-dialogischen Zusammenwirkens der Kulturen
und Menschen der Erde, fördernd und schützend entwickeln. Dialog und Austausch müssen und
können besonders in den institutionellen und räumlichen Überschneidungen der Kulturen in allen Lebensschichten
installiert werden und einer ständigen dynamischen Anpassung folgen. So können Spannung
und Konflikte dynamisch abgefedert, ausgeglichen, und im bewegten Diskurs umgeleitet werden.
Das schöpferisch-erfinderische Potenzial, das sich in der individuellen Besonderheit des eigenen Weges
ausdrückt, erhöht den Ideen- und Entwicklungsreichtum für eine Vielzahl von Lebensstilen, für Neuund
Fortentwicklungen von Bestehendem und stellt so einen unersetzbaren Wert dar. So realisiert sich
die hohe produktive Potenzialität menschlich-schöpferischen Handelns auch ökonomisch im Sinne eines
alle bereichernden Plus-Summen-Spieles.
Die formale Betonung der Wirtschaft auf maximale Effizienz in der Allokation von Ressourcen, ein
Grundpfeiler der wirtschaftlichen Globalisierung, führt zu künstlich homogenisierten monokulturell überformten
Lebensräumen und einer maximalen Abhängigkeit der Menschen von äußeren, von ihnen
nicht beeinflussbaren Faktoren. Diese sind nicht von sich aus fixiert, sondern werden eskalierend negativ
provoziert. Wenn wir die eskalierenden Probleme betrachten, welche heute die Menschheit belasten, so
sind sie im überwiegenden Maße eine Folge extremer Machtballungen und wirtschaftlicher Ungleichheit,
dirigiert und forciert von einem lebensfeindlichen finanziellen Netzwerk, das, anstatt das Beziehungsgefüge
zwischen den Menschen zu Gunsten der Menschen zu stärken, zum ‚unersättlichen’ Selbstzweck
verkommen ist. Die Entkoppelung des unbegrenzten monetären Kapitalwachstums von der räumlich
und stofflich begrenzten Erde treibt diesen Mechanismus mit voran. Die internationale Geldmenge kann
und muss dringend stabilisiert und dynamisch in Lebensqualität stärkende und globale Versorgung fördernde
Wirtschaftsaktivitäten gelenkt werden. Die Beachtung der vielfältigen Toleranzgrenzen bei der
dynamischen Stabilisierung der Geobiosphäre, der Belastbarkeit der natürlichen Lebensgrundlagen und
ihrer Regenerationszyklen bildet die Voraussetzung unseres Überlebens und des Friedens zwischen den
Menschen. Dem muss ökonomisch die Schaffung von geschlossenen Produktions- und Stoffkreisläufen,
ein nachhaltiger Energieumsatz sowie die Internalisierung ökologischer Externalisierungen und eine Minimierung
ökologischer Risiken entsprechen.
Dies bedeutet eine strategische Ausrichtung am Paradigma des Lebendigen.
WIR SIND LEBEN
Wenn wir das uns allen gemeinsame Spielfeld des Lebens durch ungezügeltes Machtstreben immer weiter
‚kippen’, so dass die Mehrheit der Menschen und ein Großteil der Kreatur auf ihm keinen Halt mehr
finden, werden unsere Probleme sich zu einer Katastrophe auswachsen.
Aber der Boden auf dem eine neue verträgliche organismische Kulturenvielfalt aufwächst, ist gut vorbereitet.
Ein neues, doch uns wohl vertrautes Menschenbild wird sichtbar, das von empathischen Menschen
ausgeht. Wir sollten uns von den Konfrontationen und Verzerrungen unseres zivilisatorischen
Alltages nicht in die Irre führen lassen. Unsere Existenz als Menschen heute zeigt uns, dass auch wir das
erfolgreiche Ergebnis einer ähnlichen, schon Milliarden Jahre währenden Entwicklung sind. Unsere Zuversicht
ist nicht ohne Basis. Wir müssen neues Wissen schaffen und so handeln, dass Lebendigkeit
vermehrt und vielfältig erblüht. Wir können uns darauf verlassen, dass diese Kraft in uns wirkt. Denn die
Allverbundenheit, die wir Liebe nennen können und aus der Lebendigkeit sprießt, ist in uns und in allem
Anderen von Grund auf angelegt.
Dieses Manifest wurde anlässlich der Internationalen Konferenz "Einstein weiterdenken" (14. bis 16. Oktober 2005) in Potsdam veröffentlicht.
Hierzu gibt es - sozusagen als "Langfassung" eine Potsdamer Denkschrift 2005, die als pdf-Datei herunterzuladen ist: Potsdamer Denkschrift 2005.
Quelle: Website der Vereinigung deutscher Wissenschaftler (VDW): http://vdw-ev.de
The English version of the Potsdam Manifesto 2005 'We have to learn to think in a new way' and the Potsdam 'Denkschrift' 2005 you can download here:
Potsdam Manifesto 2005
"We have to learn to think in a new way" - english version (pdf-file)
Potsdam "Denkschrift" 2005
English version
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