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"Wir brauchen kein Zentrum gegen Vertreibung. Wir brauchen ein Zentrum gegen Krieg."

Mitglieder des Willy-Brandt-Kreises, Friedensforscher und Vertreter/innen der Friedensbewegung treten mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit

Am 21. Dezember erschien in der Wochenzeitung „Freitag“, am 22. Dezember in der Süddeutschen Zeitung eine Anzeige, die aufhorchen ließ: Mitglieder des Willy-Brandt-Kreises, darunter so prominente Zeitgenossen wie Egon Bahr, Günter Grass, Friedrich Schorlemmer, Klaus Staeck oder Daniela Dahn, AktivistInnen der Friedens- und Gewerkschaftsbewegung, unter ihnen Horst Schmitthenner, Willi van Ooyen, Willi Hoffmeister und Lühr Henken, sowie eine Reihe von Friedenswissenschaftlern wie Michael Brzoska, Reinhard Mutz und Werner Ruf (alle Erstunterzeichner sind unten dokumentiert) wandten sich in einem eindringlichen Appell gegen die geplante Errichtung des von den deutschen Vertriebenenverbänden geforderten „Zentrums gegen Vertreibung“ . Wir dokumentieren im Folgenden den bemerkenswerten Aufruf mitsamt seinen Unterzeichner/innen. Die Initiatoren werben um weitere Unterstützung (siehe unten).



Aufruf für ein "Zentrum gegen Krieg"

Das geplante und anhaltend umstrittene Zentrum gegen Vertreibung unterliegt, entgegen den Intentionen des Parlaments, der Gefahr, als Instrument der Anklage missverstanden zu werden. Dieser Missdeutung, die auch in Polen und Tschechien sehr bald laut geworden ist, sollte begegnet werden. Geht es hier wirklich nur um das Recht auf eine Klagemauer, um Verständnis und Versöhnung, oder geht es um die Zuweisung von Schuld und Unrecht Richtung Osteuropa, mit dem Ziel einer Bewusstseinsverschiebung, die schließlich auch eine Eigentumsverschiebung ermöglichen wird?

Vertreibung ist eine von vielen entsetzlichen Kriegsfolgen. Genauso gut könnte man ein Zentrum gegen Gebietsannexionen befürworten, eins gegen die Geringschätzung des Lebens von Soldaten, gegen Massaker an Zivilisten, gegen Bombenopfer und Ruinen, eins gegen Zwangsarbeit und Gefangenenlager, gegen Hunger und Typhus, ein Zentrum gegen Vergewaltigung, gegen Verrohung der Sitten, gegen „ethnische Säuberungen“, gegen Vergeltung und Strafe der Sieger.

All dies sind im letzten Jahrhundert immer die fatalen Folgen von Kriegen gewesen, je schrecklicher der Krieg, je fataler. Verurteilt man aber die Folge und nicht die Ursache, so greift man zu kurz, ja weckt Illusionen. Man suggeriert, nach Angriffskriegen könnten deren unvermeidliche Folgen vermieden werden.

Für die Zukunft folgt daraus nicht das Unrealistische: Vertreibungen nach Kriegen sind zu verbieten. Sondern: Wer Vertreibungen verhindern will, muss Kriege verhindern.

Wir brauchen kein Zentrum gegen Vertreibung. Wir brauchen ein Zentrum gegen Krieg. Das den Jüngeren veranschaulicht, weshalb Krieg geächtet und künftig zu meiden ist. Jede Art von oben erwähnten Kriegsleiden könnte hier einen Raum bekommen, nicht nur die, die heute noch entschädigungsrelevant sind. In diesem Kontext hätte auch das Thema Flucht und Vertreibung seinen Platz.

Am Eingang wäre eine Warnung von Bertolt Brecht von 1952 denkbar: „Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungskraft für kommende Leiden, ist fast noch geringer.“

Die Mitglieder des Willy-Brandt-Kreises:
Egon Bahr, Elmar Brähler, Daniela Dahn, Hans-Joachim Gießmann, Günter Grass, Dieter Klein, Irina Mohr, Klaus Noé, Rolf Reissig, Edelbert Richter, Axel Schmidt-Gödelitz, Friedrich Schorlemmer, Klaus Staeck, Christoph Zöpel;
sowie:
Michael Brzoska/Reinhard Mutz, Institut für Friedensforschung, Hamburg; Lühr Henken, Hamburger Forum für Frieden, Völkerverständigung und weltweite Abrüstung; Willi Hofmeister, Ostermarschkreis Ruhr; Jörg Huffschmid, Attac; Willi van Ooyen, Ostermarschbüro; Johannes Pfäfflin, Psychotherapeutischer Arbeitskreis für Betroffene des Holocaust e.V.; Peter Pogany-Wnendt, IPPNW; Werner Ruf/Peter Strutynski, Bundesausschuss Friedensratschlag; Horst Schmitthenner, "Politikwechsel"; Horst Trapp, Friedens- und Zukunftswerkstatt Frankfurt/M.; Henning Zierock, Arno Gruen, Konstantin Wecker, Kultur des Friedens; und andere.


Unterzeichnungsmöglichkeit: www.brandt-kreis.de


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