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Geheime Verschlußsache

Massive Zunahme der Rüstungsforschung an deutschen Instituten. Regierung gibt keine Details bekannt, Zivilklausel wird häufig übergangen

Von Michael Merz *

Die Rüstungsforschung an Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Doch die Arbeit der Wissenschaftler für das Militär soll möglichst geheim bleiben. Die Antwort der Regierung auf eine kleine Anfrage der Linkspartei wurde als vertraulich eingestuft, das Verteidigungsministerium deklariert die Projekte als »Verschlußsache«. Trotzdem offenbart der veröffentlichte Teil der Fakten das Ausmaß der Rüstungsforschung an zivilen Einrichtungen und die Ignoranz mancher Hochschulen gegenüber der selbstauferlegten Zivilklausel.

Drohnen, Geschosse und Militär­roboter – irgendwann sollen sie den Tod auf den Schlachtfeldern bringen, entwickelt werden die Mordmaschinen häufig in deutschen Labors. Das jährliche Auftragsvolumen in den vergangenen vier Jahren, verglichen mit dem Zeitraum 2000 bis 2010, hat sich nach Berechnungen der Süddeutschen Zeitung und NDR Info mehr als verdoppelt. Über 700mal beauftragte das Wehrressort seit 2010 öffentliche Forschungseinrichtungen, 392 Millionen Euro ließ es sich die Arbeit der Wissenschaftler kosten. Demnach sind Marine, Luftwaffe und Bodentruppen an deren Kenntnissen interessiert. So seien etwa Studien über Drohnenschwärme, die Feinde verfolgen sollen, aber auch »intelligente« Munition, Handfeuerwaffen, Funktechnologien, Roboter sowie nichttödliche Schuß- und Wurfgeräte bestellt worden.

Die großen Absahner sind außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, an sie gingen 588 Aufträge im Wert von 364 Millionen Euro. Insbesondere die Fraunhofer-Gesellschaft mit ihren zahlreichen Instituten freute sich über die Zuwendungen. Daneben gibt es laut SZ 41 Hochschulen (120 Aufträge im Wert von 28 Millionen Euro), die seit 2010 davon profitieren. Unter ihnen sind fünf, die sich der friedlichen Forschung verpflichtet und sich mit der Zivilklausel gegen militärisch relevante Aufträge positioniert haben: Tübingen, Konstanz, Frankfurt am Main, Rostock und Göttingen.

Die Leibniz Universität Hannover hat nach Regierungsangaben das meiste Geld (5,8 Millionen Euro) unter den Hochschulen bekommen. Präsident Erich Barke fühlt sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. »Verteilt auf vier Jahre sind das 1,4 Millionen pro Jahr – insgesamt haben wir aber 100 Millionen Drittmittelbudget«, sagte er gegenüber jW. Die Zuwendungen aus dem Verteidigungsministerium seien also relativ gering. Außerdem sei die Behörde eine »demokratische Einrichtung«. Einen Widerspruch zum Leitbild der Uni, in dem es heißt »Durch unsere Lehre und Forschung wollen wir dem friedlichen Zusammenleben der Menschen dienen…«, sieht Barke nicht, und verweist auf die »Freiheit der Forschung«. »Wir arbeiten nicht an Bomben oder Munition, sondern befassen uns mit in der Bild- und Signalverarbeitung«, erklärte er.

Ähnlich offen geht Michael Flacke, Kommunikationschef an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg – mit mehr als 2,2 Millionen Euro auf Platz drei der begünstigten Hochschulen – mit der Militärforschung um. »Wir stehen dazu«, erklärte er gegenüber jW. »Deutschland hat schließlich eine Parlamentsarmee.«

Die Details brisanter Militärprojekte hält die Regierung mit Hinweis auf »Sicherheitsinteressen« geheim. Nicole Gohlke, bildungspolitische Sprecherin der Linkspartei, kritisiert: Es müsse gewährleistet sein, über das Thema zu debattieren, »und das setzt natürlich Transparenz voraus«.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 8. Juli 2014


»Wir müssen dem unsere Werte entgegensetzen«

Kampfdrohnen kein »Lichtblick«: Satzung der IG Metall sieht Einsatz für Abrüstung vor. Ein Gespräch mit Katinka Poensgen **

Katinka Poensgen ist in der IG-Metall-Bezirksleitung Mitte für Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen zuständig.

Als »Lichtblick« hatte Bernhard Stiedl, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Ingolstadt und deren Beauftragter für das Unternehmen Airbus Defence and Space, die Pläne von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zur Beschaffung von Kampfdrohnen bezeichnet. Einen Aufschrei gab es daraufhin nicht. Gibt es in der IG Metall andere Auffassungen?

In der Satzung der IG Metall (IGM) heißt es in Paragraph 2 unter »Ziele und Aufgaben«: Die IGM setzt sich für die Sicherung und den Ausbau des sozialen Rechtsstaates und die weitere Demokratisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung und den Schutz der natürlichen Umwelt zur Sicherung der Existenz der Menschheit ein. Da steht ganz deutlich: Abrüstung – nicht Aufrüstung.

Die gewerkschaftspolitische Debatte scheint aber nicht in Gang zu kommen – weil Arbeitsplätze in Rüstungsbetrieben in Gefahr sind, wie Stiedl sagt?

Das ist ein Totschlagargument. Es ist unverantwortlich, wegen des Erhalts einiger weniger Arbeitsplätze in der Waffenindustrie, die Zerstörung des ganzen Erdballs zu riskieren. Das kann nicht Aufgabe einer Gewerkschaft sein. Mit dem Geld, das die öffentliche Hand in die Rüstungsindustrie investiert, wären wesentlich mehr Arbeitsplätze im zivilen Bereich zu finanzieren. Die Beschäftigten in der Rüstungsindustrie sind hochqualifiziert und durchaus in der Lage, in anderen Bereichen zu arbeiten. Es gibt große gesellschaftliche Herausforderungen, was ökologisch integrierte Verkehrssysteme oder die Energiewende betrifft. Dies gilt es zu finanzieren, nicht Geld in die Rüstungsindustrie zu verschleudern.

Pläne von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zur Beschränkung von Rüstungsexporten sind sogar im SPD-nahen Gewerkschaftslager auf Widerstand gestoßen, weil sie zu unpräzise seien. 20 Betriebsratsvorsitzende fordern Hilfestellung für Unternehmen, um Umrüstung auf zivile Produkte zu bewerkstelligen. Wie sehen Sie das?

Ja, es ist politisch zu steuern. Historisch hat es Rüstungskonversion gegeben. Heckler & Koch im Schwarzwald hat nach dem Zweiten Weltkrieg Nähmaschinen und Fahrräder produziert; damals aufgrund von Auflagen der Alliierten. In Deutschland sollte es keine Rüstungsindustrie mehr geben. Doch schnell war alles beim alten, weil sich die Konzernleitung so größere Gewinne versprach. Deshalb muß es finanziell gut ausgestattete öffentliche Förderprogramme geben, um Betriebe zu unterstützen, in gesellschaftlich sinnvolle, hochwertige Produktionsbereiche einzusteigen. Rüstungsexporte müssen gesetzlich verboten werden. Das Arbeitsplatzargument rechtfertigt nicht, daß Menschen getötet werden – zynischer, als dies maschinell von Drohnen erledigen zu lassen, geht es nicht. Die Beschäftigten müssen bei gleicher Bezahlung zivile Güter herstellen können.

junge Welt wollte Bernhard Stiedl dazu interviewen; er war nicht bereit. Linke Funktionäre wollten ebenfalls nicht zur Rüstungskonversion Stellung beziehen – Sie sind eine Ausnahme. Ist das ein Tabuthema in der IG Metall?

Womöglich handelt es sich um zu starke Angepaßtheit. »Wenn ihr in eurem Bereich keine Rüstungsbetriebe habt, haltet euch besser raus«, heißt es. Das ist aber der falsche Ansatz. Es ist keine lokale Auseinandersetzung, sondern eine global politische. In der IG Metall spiegelt sich auch das gesamtgesellschaftliche Klima. Beim letzten ordentlichen Gewerkschaftstag hatte ich mich zu Wort gemeldet, weil die Werftindustrie ein Papier »Rüstung als Chance für Arbeitsplätze« herausgegeben hatte. Unter der derzeitigen Bundesregierung aus Union und SPD wird verstärkt aufgerüstet; sie redet sich heraus, sie erfülle nur alte Verträge. In den 1980er Jahren hat eine starke Friedensbewegung Druck gemacht. Wie damals muß es einen Arbeitskreis zur Rüstungskonversion geben. Das muß wieder offizielle Politik der IG Metall sein. Zunächst ist wünschenswert, daß der Arbeitskreis Wehrtechnik beim Vorstand der IG Metall satzungsgemäß auf die Tagesordnung setzt: Bei uns geht keine Waffe mehr raus.

Geht es um die »heilige Rüstungsindustrie«, schreien Politiker auf, die sonst locker zuschauen, wenn bei Schlecker Frauenarbeitsplätze verschwinden. Es geht darum, herrschende Machtinteressen auf Dauer abzusichern. Wir müssen dem unsere Werte entgegensetzen.

Interview: Gitta Düperthal

** Aus: junge Welt, Dienstag, 8. Juli 2014


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