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Wie der Teufel das Weihwasser

Eine Ausstellung über den Ersten Weltkrieg im Deutschen Historischen Museum Berlin unterschlägt Ursachen und Ziele

Von Kurt Pätzold *

Man sollte mindestens zwei, besser jedoch drei Stunden Zeit mitbringen, einige Konzentration und die Fähigkeit, in den absichtlich reduziert beleuchteten Räumen auch die kleiner geschriebenen Texte auf den erklärenden Tafeln zu lesen. Ist das gegeben, verläßt man den Pei-Bau mit in mancher Hinsicht neuen, zumindest aufgefrischten Kenntnissen und einprägsamen Bildern aus dem und vom Ersten Weltkrieg. Wie Menschen an den Fronten, in der Heimat, in Gefangenenlagern, auf Fluchten, in Sonnengluten und Eiswüsten litten, hungerten und verhungerten; wie Soldaten auf die verschiedenste Weise und mit immer weiter perfektionierten Mitteln einander töteten; wie Menschen durch Erschießungskommandos niedergemacht und am Galgen ermordet wurden – diesen Alltag von Millionen, Europäern sowie Soldaten und Zwangsarbeitern, die von anderen Kontinenten herbeigeschafft wurden, stellt die Ausstellung »Der erste Weltkrieg 1914–1918« einfallsreich vor der Besucher Augen.

Sie wird bis zum 30. November im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen sein und als »deutschlandweit einzige Überblicks­ausstellung zum Kriegsgeschehen« beworben. »Im Zentrum stehen Gewalteskalation und Gewalterfahrung, die (…) neue Dimensionen erreichten«, schreiben die Gestalter. Die Gefahr, die mit ihrem Ansatz einhergeht, liegt offen zutage. Der Besucher, konfrontiert mit dem Grauen des Krieges, das ihm so zuvor nicht vor Augen geführt worden sein mag, kehrt in die Helligkeit des Tages mit der »Erkenntnis« zurück: »Krieg schlecht, Friede gut«. Eintragungen im Besucherbuch zeugen davon. Eine Enttäuschung steht jedoch Besuchern bevor, zu deren Vorbildung gehört, daß Kriege keine Zufallsprodukte sind, sondern in Gesellschafts- und Staatszuständen Ursachen besitzen, daß in ihnen Ziele verfolgt und mit ihnen Interessen gewahrt oder durchgesetzt werden sollen. Gut, die lassen sich schlechter gegenständlich oder anschaulich machen als Waffen, Plakate, Bestecke für Feldchirurgen oder für Kinderhand bestimmtes Kriegsspielzeug. Und sogenannte Flachware, Texttafeln zumal, ohne die es ohnehin nicht geht, ist bei den Museologen weniger beliebt.

Was aber hinderte die Ausstellungsmacher daran, auf einer geographischen Karte die Ziele des deutschen Imperialismus zu markieren, jene Weltgegenden, auf die sich der Eroberungs- und Expansionshunger des Kaiserreichs besonders richtete? Was, die Autoren und führenden Propagandisten deutscher Kriegszielprogramme durch Fotos oder Dokumente vorzustellen? Was, einen Text aus der Feder jener unübersehbar ins Blickfeld zu rücken, die ihren Zeitgenossen gegen die Lügen von der Vaterlandsverteidigung und der Behauptung deutscher Kultur das wahre Interessenspektrum der Regierenden und Herrschenden enthüllten, für das Millionen in die Menschenschlachthäuser befehligt wurden?

Die Leerstellen überraschen nicht. Auf sie stieß vor Jahresfrist schon der Besucher des damals neu gestalteten Teils der Dauerausstellung im benachbarten Zeughaus. Und da bereits bei dessen Präsentation auf »Lücken« aufmerksam gemacht wurde, ist die Feststellung keine bloße Verdächtigung, daß im Hause Unter den Linden gegenüber mancher Kritik eine partielle Schwerhörigkeit oder auch Leseschwäche herrscht. Schon im 2013 herausgegebenen Begleitheft war der Entschluß zum Kriege, über dessen Urheber nichts gesagt wurde, zum »Sprung ins Dunkle« deklariert und, die Rede des Staatssekretärs für die Außenpolitik Bernhard von Bülow vor dem Reichstag 1897 zitierend, geschrieben worden, Deutschland hätte den »Platz an der Sonne« erstrebt, was auf die europäischen Konflikte verschärfend wirken mußte. Das war eine milde, der Wahrheit sich behutsam annähende Formulierung.

Gleiches gilt für die Feststellung, das »kaiserliche Deutschland« habe durch bedingungslose Unterstützung seines Verbündeten Österreich-Ungarn in der sogenannten Julikrise »zur Eskalation der politischen Lage beigetragen«. Die Entschlüsselung des Begriffs »Deutschland« war den Autoren entweder nicht möglich oder, da er im vorliegenden Falle als Nebelwand taugt, nicht erwünscht. So richtig für den Kieg war eigentlich nur Wilhelm II., der, martialisch dreinblickend, den Besucher der Ausstellung gleichsam empfängt.

Soziale Klassen, Schichten und Gruppen, die sich nach ihrer Stellung in der Gesellschaft voneinander unterscheiden und deren Interessen weit auseinander und gegeneinander liegen, gibt es in diesem Geschichtsbild nicht. Mit einer Ausnahme: Als Konsumenten unterscheiden sich »die Deutschen« gerade in Kriegszeiten schon, wie in Bildern von der »Heimatfront« veranschaulicht wird. Sie bezeugen: Während die einen über die Mittel verfügen, sich reichlich zu ernähren, kämpfen die anderen in Massen gegen das Verhungern an und Hunderttausende Deutsche verloren den Kampf.

Zugelassen werden auf der gleichen Ebene noch Unterscheidungen im Lebensalltag, wenn Fotos und Filmstreifen das elende Dasein der Arbeiterfrauen in den Rüstungsfabriken veranschaulichen. Daß sie dort unter dem Druck, ihre Familie versorgen zu müssen, mit Granaten nicht nur Nachschub für die Kriegsverlängerung und damit für den Tod ihrer Männer produzieren, läßt sich diesen Dokumenten hinzudenken. Doch daß sie damit gleichzeitig Kriegsgewinne erschuften, die sich in Bilanzen ausweisen ließen und deren »Empfänger« unschwer namhaft zu machen wären, gehört nicht mehr zum Museumsprogramm. Klassenbewußtsein hat der Krieg selbst schließlich genug erzeugt. Es ist binnen Jahrzehnten weitgehend verlorengegangen. Da muß nicht eine den Nachfahren geltende Ausstellung in eine Weckfunktion treten.

Die Beachtung weiter Tabuzonen kündigt sich bereits mit dem Flyer an, der den Besuchern mit der Eintrittskarte überreicht wird. Sein Text belegt: Die Verfasser kennen Begriffe wie Kriegsgeschehen und Kriegsfreiwillige, Kriegstechnik und Kriegswirtschaft. Kriegsursachen und Kriegsziele hingegen, um von Kriegsschuld zu schweigen, scheinen ihnen nicht untergekommen. Beide werden gemieden wie vom Teufel das Weihwasser. Sie scheinen ebensowenig in der Ankündigung des reichhaltigen wissenschaftlichen Begleitprogramms auf. Das bestreiten Fachleute aus Großbritannien, Frankreich, Belgien, Polen und der Ukraine. Es bietet so interessante Themen wie Literatur, Fotografie und Propaganda und führt bis ins ferne Japan oder in die nahe neutrale Schweiz. Und fällt der Begriff Kriegsplan, kommt die Rede auch nicht auf jene, die das Verbrechen des Jahres 1914 vorbereiteten und zu verantworten haben, sondern dann sind strategische (Feldzugs-)Pläne gemeint wie der unter dem Generalstabschef Schlieffen ausgearbeitete, der sechs Wochen nach Kriegsbeginn im September 1914 an der Marne scheiterte und dann Makulatur war.

Kurzum: Die Empfehlung, diese Ausstellung zu besuchen, verbindet sich mit einer Vorwarnung. Das Deutsche Historische Museum nimmt mit ihr nicht die Partei jener, die heute Ursachen von aktuellen Kriegen auf die Spur zu kommen suchen. Denen hätte Beistand werden können, wenn wenigstens in Strichen Ursprung, Herkunft und Ziele des Krieges der Jahre 1914 bis 1918 gezeichnet worden wären. Doch soll das den Museumsmitarbeitern nicht allein angelastet werden. Von diesem Verzicht sind sie auch durch die Mitglieder des internationalen Fachbeirats nicht abgehalten worden, dem ein Dutzend und mehr Professoren der Geschichte angehörten. Und das wiederum sagt etwas darüber, wo die das öffentliche Feld beherrschende Historiographie angekommen ist. Läßt sich von einem Museum verlangen, daß es der Wissenschaft vorausgeht?

Täglich 10 bis 18 Uhr; Begleitband »Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten«, Theiss Verlag, Darmstadt 2014, 224 Seiten, 23,95 Euro

* Aus: junge Welt, Mittwoch 11. Juni 2014

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