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Für dauernden Frieden

Gegen nationalistische Großmachtphantasien im Ersten Weltkrieg: Vereinzelte Frauenstimmen in Deutschland und Frankreich

Von Florence Hervé *

Millionen Tote, Verwundete, Gefangene, Vertriebene. Zerstörte Existenzen und verwüstete Landschaften. Zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs wird das ganze kommende Jahr über daran erinnert. Bereits in der zweiten Hälfte 2013 ist die Marketingmaschine angelaufen, jede Menge Bücher zum Thema sind schon erschienen, weitere werden folgen. Wissenschaftler erklären den Krieg, Tourismusunternehmen veranstalten Reisen zu den Schlachtfeldern.

Der mutigen und klugen Frauen, die sich während des Krieges grenzübergreifend gegen das mordspatriotische Geschrei stemmten, wird dagegen wohl kaum gedacht werden – vielleicht mit Ausnahme von Bertha von Suttner. Die Friedensnobelpreisträgerin stellte schon lange vor dem Krieg fest: »Begeisterung für Kriegstaten und Kriegshelden findet man bei Frauen so gut wie bei Männern, Begeisterung für die Friedensbewegung wird von Frauen ebenso intensiv an den Tag gelegt wie von Männern.«

In der Kriegsfrage gab es Spaltungen innerhalb der proletarischen und bürgerlichen Frauenbewegungen. Die Mehrheit unterstützte den Waffengang. In Deutschland und Frankreich ordnete die Frauenbewegung ihre Ziele den »nationalen Prioritäten« unter. Auch die Mehrheit der deutschen Sozialdemokratinnen schwieg. Artikel über Friedensaktionen erschienen auch in der SPD-Zeitschrift Die Gleichheit nur noch zensiert, deren langjähriger Redakteurin Clara Zetkin wurde 1917 gekündigt. Die wenigen Kämpferinnen gegen Militarismus und Krieg waren radikale Feministinnen und Sozialistinnen.

Auf den internationalen Sozialistischen Frauenkonferenzen in Stuttgart 1907 und in Kopenhagen 1910 sowie auf einer Friedenskundgebung in Basel 1912 mobilisierte Clara Zetkin als Sekretärin der Sozialistischen Fraueninternationale gegen den Krieg der Herrschenden und Besitzenden. Im März 1915 initiierte sie die Berner Konferenz, die 25 Sozialistinnen der kriegführenden Länder zum Protest gegen den Krieg versammelte, darunter sieben aus Deutschland und eine aus Frankreich. »Nicht die Verteidigung des Vaterlandes, seine Vergrößerung ist der Zweck dieses Krieges«, hieß es im Berner Appell an die Frauen der Welt, der in allen kriegführenden Ländern heimlich verbreitet wurde, weil solche Aktionen verboten waren – etwa 200000 Exemplare allein in Deutschland. Eine große Antikriegsdemonstration fand Ende Mai 1915 vor dem Berliner Reichstag statt, unter den 1500 Teilnehmenden mehr als die Hälfte Frauen. Zahlreiche wurden inhaftiert – auch Clara Zetkin unter der Anklage des »versuchten Hochverrats«.

In Frankreich wurden die Kriegsgegnerinnen ebenfalls verfolgt. Nach dem Druck des Berner Aufrufs wurde die Sozialistin und Gewerkschafterin Louise Saumoneau 1915 vor ein Kriegsgericht gestellt und zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Sie war Gründerin eines Komitees sozialistischer Frauen »Für den Frieden, gegen den Chauvinismus«. Die Lehrerin und Gewerkschafterin Hélène Brion erklärte 1915, warum sie Pazifistin sei: »Ich bin gegen den Krieg, weil ich Feministin bin: Der Krieg ist der Sieg der brutalen Gewalt, und der Feminismus kann nur durch die moralische Kraft und durch geistige Werte siegen. Es gibt einen absoluten Gegensatz zwischen beiden.« Nach vier Monaten Gefängnis wurde sie im März 1918 vor dem Pariser Kriegsgericht wegen »Defätismus« zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Doch dies waren einsame Stimmen auch unter den Sozialistinnen, bei den Bürgerlichen sah es nicht viel anders aus. Aber es gab sie. Marguerite Durand, Grande Dame des französischen Feminismus und Kriegsgegnerin, mußte 1914 die Herausgabe ihrer Zeitung La Fronde einstellen. Marcelle Capy, Journalistin, Pazifistin und Feministin, prangerte Greuel und Absurdität des Krieges an. Ihr Buch »Eine Frauenstimme im Getümmel« (1916) wurde zensiert. Sie gründete 1918 die antimilitaristische Wochenzeitung La Vague und wollte »der Bestialität« widerstehen, »die im Fleisch so vieler Europäer, die sich zivilisiert glaubten, brüllend erwacht ist«. Sie mokierte sich über die Frauen, »die den Gerüchten glauben, daß die Deutschen kleine Franzosenkinder töten, um sie zu verspeisen«.

Die Französinnen waren auf dem unter anderem von Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann initiierten Internationalen Frauenfriedenskongreß in Den Haag 1915 nicht vertreten. Dort protestierten 1000 Teilnehmerinnen aus zwölf Ländern gegen den Krieg. Es entstand ein Internationales Frauenkomitee für »dauernden Frieden«, die spätere Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit IFFF. Danach gründete die Feministin und Sozialistin Gabrielle Duchêne ein französisches Komitee, 1919 wurde sie Vizepräsidentin der IFFF. Die deutsche und die französische Sektion waren unter den politischsten in der Liga und zählten zu den ersten, die auf die deutsch-französische Versöhnung hinarbeiteten.

* Aus: junge Welt, Freitag, 27. Dezember 2013


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