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"Großes Ohr" für das Pentagon

Russland offenbar bereit, Radar in Aserbaidshan den USA zu überlassen

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Demnächst sollen Experten von State Department und Pentagon Zutritt zu einem »Objekt« bekommen, das zu Sowjetzeiten sakrosankt war: dem Radar im aserbaidshanischen Gabala.

Von Gabala konnten und können Raketenstarts von Südafrika bis weit im Indischen Ozean verfolgt werden. Für Moskau Grund genug, das 1985 in Betrieb genommene «große Ohr« nach dem Ende der Sowjetunion zu pachten.

Offiziell geht es bei dem Besuch der Amis und bei trilateralen Konsultationen Anfang September in Moskau um Möglichkeiten für eine gemeinsame Nutzung des Radars. Das hatte Präsident Wladimir Putin Georg Bush beim G-8-Gipfel in Heiligendamm ausdrücklich angeboten, um Pläne der USA zur Stationierung von Raketenabwehrstellungen in Mittelosteuropa zu verhindern.

Experten sahen darin von Anfang an einen glänzenden propagandistischen Schachzug ohne praktischen Nutzwert: Washington begründet die Raketenabwehrpläne mit dem Kernforschungsprogramm Teherans. Dessen Raketenstarts aber können von Gabala aus wegen der geringen Entfernung nicht verfolgt werden. Das Radar steht unmittelbar an der Grenze zu Iran. Der eigentliche Grund für das Expertentreffen ist daher ein anderer. Russland, schrieb die »Nesawissimaja Gaseta«, werde den USA, bis der Mietvertrag 2012 ausläuft, die gemeinsame Nutzung anbieten und dann den Amis das Radar zur Alleinbenutzung überlassen.

Indirekt hatte das der Oberkommandierende der kosmischen Truppen, Generaloberst Wladimir Polowkin, schon am Freitag angedeutet: Russland dürfe seine Verteidigungsfähigkeit nicht von den Entwicklungen im Ausland abhängig machen und könnte daher »in der Perspektive « sämtliche Objekte in den ehemaligen Sowjetrepubliken räumen.

In der Nähe von Sotschi entsteht bereits eine neue Basis für die gegenwärtig in Sewastopol auf der Krim stationierte russische Schwarzmeerflotte. Die Halbinsel gehört zur Ukraine, die in NATO und EU drängt. Den 2017 auslaufenden Pachtvertrag will Moskau nicht verlängern. Auch Aserbai-dshans Fernziel ist die NATO-Mitgliedschaft. Das »große Ohr«, sorgte sich die »Nesawissimaja«, wäre spätestens 2012 für Russland ohnehin verloren.

Andererseits ist nicht einzusehen, warum ein außenpolitisch wieder erstarktes Russland kurz vor den Wahlen ohne Not Zugeständnisse macht, die im krassen Widerspruch zu den antiwestlichen Tönen stehen, die aus dem Kreml kommen. Experten erklären Moskaus möglichen Rückzug aus Aserbaidshan denn auch mit dem Gipfel der Shanghai-Organisation Mitte August. Mit einem »Zweifrontenkrieg« überfordert, überlässt Moskau Washington den Südkaukasus, baut dafür jedoch mit China und den fünf zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken das GUSVerteidigungsbündnis zu einer Art Anti-NATO um, der auch Iran und Pakistan beitreten dürften.

Den Verlust des Radars in Gabala, so Militärexperte Pawel Solotarjow, könne Moskau ohnehin locker wegstecken. In der Tat: Russland baut momentan auf seinem Territorium erheblich modernere Radars mit gleicher Reichweite.

* Aus: Neues Deutschland, 29. August 2007


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