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Orbitaler Ordnungsdienst

UN-Experten diskutieren in New York über die Vermeidung von Gefahren

Von Wolfgang Kötter *

Bei der zu dieser Jahreszeit üblichen schwülen Sommerhitze beraten im UNO-Hauptsitz am East River in Manhattan Regierungsexperten aus 15 Ländern ab heute (8. Juli) darüber, wie Transparenz und Vertrauensbildung im Weltraum gefördert werden können. Unter Vorsitz des russischen Diplomaten Victor Vasiljev wollen die Mitglieder aus Brasilien, Chile, China, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kasachstan, Nigeria, Rumänien, Sri Lanka, Südafrika, Südkorea, der Ukraine und den USA eine breite Palette von Themen erörtern. Den Experten liegt ein ganzer Stapel von Papieren mit Stellungnahmen und Vorschlägen vor, die die UN-Mitgliedstaaten eingereicht haben. Dabei geht es beispielsweise um Verhaltensregeln, die Transparenz der Weltraumprogramme und -aktivitäten sowie Streitschlichtungsmechanismen und Vereinbarungen zur Verhinderung von Missverständnissen und Fehlinformationen.

Wirksame Maßnahmen zur Abwendung von Bedrohungen und zur Sicherung der friedlichen Nutzung des Weltraums sind dringend notwendig. Bedrohungen ergeben sich aus zwei teilweise mit einander verflochtenen Entwicklungen. Das ist zum einen die zunehmende Vermüllung des Alls mit Weltraumschrott und zum anderen die fortschreitende Militarisierung des Kosmos. Immer wieder verdeutlichen militärische Aktionen, Unfälle und Beinahe-Katastrophen die Gefahren.

Der Weltraum als Trümmerfeld

Seit Beginn des Raumfahrtzeitalters wurden nach Angaben der Europäischen Weltraumorganisation ESA etwa 5.500 Satelliten in Erdumlaufbahnen geschossen. Davon sind zurzeit noch etwa 1.000 funktionsfähig. Die übrigen sind entweder abgestürzt und in der Atmosphäre verglüht, oder rasen gemeinsam mit Überresten von Raketen, sowie Trümmern aus Explosionen und Kollisionen mit hohen Geschwindigkeiten um die Erde. Besorgnis löste beispielsweise ein Vorfall aus, bei dem im Februar 2009 ein ausrangierter russischer Satellit mit einem US-amerikanischen Kommunikationssatelliten zusammenstieß und diesen funktionsunfähig machte. Die Flugkörper zerbarsten dabei in mehr als 2.100 größere Trümmerteile. Schätzungen zufolge zirkulieren über 300 000 Objekte von mindestens einem Zentimeter Durchmesser im All. Der Katalog des US Space Surveillance Network (SSN) verzeichnet ungefähr 17.000 Objekte von mindestens zehn Zentimetern Durchmesser. Der Schrott bildet ein zunehmendes Risiko für andere Flugkörper, denn wegen ihrer enorm hohen Geschwindigkeit können diese Teile bei einer Kollision enormen Schaden anrichten. Schon ein Objekt von nur einem Zentimeter Größe setzt beim Zusammenstoß mit einem Satelliten etwa die Energie einer explodierenden Handgranate frei.

Wissenschaftler befürchten sogar, dass die steigende Zahl von Raketentrümmern und Schrottsatelliten die friedliche Raumfahrt in nicht allzu ferner Zukunft völlig zum Erliegen bringen könnte. Zwar ist es gelungen, sich im Weltraumausschuss der Vereinten Nationen und auch im EU-Rahmen auf Richtlinien und Verhaltensregeln zu einigen, mit deren Hilfe sich die Entstehung von Weltraumschrott eindämmen ließe. Doch die Umsetzung ist freiwillig und die empfohlenen Maßnahmen können das Problem nicht durchgreifend und langfristig lösen.

Gefährliche Waffen im All

Für das Militär spielt der Weltraum eine immer größere Rolle. Nahezu die gesamte militärische Kommunikation läuft bereits über Satelliten. Sie orten gegnerische Stellungen wie auch Truppenbewegungen und senden die Aufnahmen unmittelbar an die militärische Einsatzzentrale oder auch direkt an die Truppen vor Ort, wo Präzisionsmunition mit Hilfe von Satelliten in Ziele navigiert wird. Weitere Aufrüstungspläne sehen vor, den Weltraum als militärische Teststätte zu missbrauchen und bewaffnete Satelliten zu Erprobungszwecken ins All zu schießen. Mögen manche Projekte auch noch exotisch erscheinen, an ihrer Verwirklichung arbeiten Wissenschaftler und Konstrukteure intensiv weiter. Die Palette reicht von Minisatelliten, die andere Satelliten manipulieren, bis hin zu Minen, die als kleine Sprengladungen an einen Flugkörper herangeführt werden und diesen dann zerstören. Außerdem könnten Radiowellen-Energiewaffen im Kosmos platziert werden, die von Himmelskörpern aus feindliche Satelliten und Kommunikationssysteme stören oder vernichten. Weltweite Beunruhigung lösten beispielsweise zwei Vorfälle der vergangenen Jahre aus, bei denen sowohl die USA als auch China jeweils eigene Satelliten zu Testzwecken abschossen. Derartige Aktivitäten führen ihrerseits zur weiteren Anhäufung von Schrott im Weltraum und gefährden die friedliche Nutzung des Alls zusätzlich.

Weltraumrecht mit Lücken

Obwohl also unverzügliches Handeln dringend geboten ist, hat sich in den vergangenen Jahren in Sachen Abrüstung praktisch nichts bewegte. Die Experten müssen in ihren Überlegungen jedoch auch nicht bei Null beginnen. Denn die Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum steht seit Jahrzehnten auf der Tagesordnung der internationalen Abrüstungsgremien in New York, Genf und Wien. Doch die bisher erzielten Ergebnisse reichen nicht aus. Jedes Jahr verabschiedet die UNO-Vollversammlung zu diesem Thema Resolutionen, die allerdings für die Staaten lediglich politische Empfehlungen sind. Der UN-Weltraumausschuss hingegen erarbeitete den rechtsverbindlichen Weltraumvertrag. Das Abkommen bestimmt den Mond und andere Himmelskörper als Gemeingut der Menschheit, erlaubt ausschließlich die gleichberechtigte, friedliche Erforschung und Nutzung zum Vorteil und im Interesse aller Länder. Zu allen Himmelskörpern ist ein uneingeschränkter Zugang zu gewährleisten. Ausdrücklich wird festgestellt, dass der Weltraum kein nationales Eigentum ist und keiner nationalen Hoheitsgewalt oder Besetzung unterliegt. Die Anwesenheit von atomaren und anderen Massenvernichtungswaffen auf einer Erdumlaufbahn und deren Stationierung im Weltraum ist verboten. Auf Himmelskörpern dürfen keine militärischen Stützpunkte errichtet oder Manöver und Waffentests durchgeführt werden. Zwar zählt der seit 1967 geltende Vertrag inzwischen 101 Mitgliedstaaten, aber er ist nicht umfassend. Der im Jahre 1979 abgeschlossene Mondvertrag spezifiziert die Verpflichtungen weiter. Das Abkommen verbietet die Anwendung und Androhung von Gewalt in Bezug auf die Erde, den Mond, auf Raumschiffe und deren Besatzungen sowie auf künstliche Weltraumprojekte. Nicht verboten sind allerdings durch den Kosmos fliegende ballistische Raketen sowie Satelliten zur Kontrolle, Kommunikation und Aufklärung.

Die bestehenden völkerrechtlichen Regelungen setzen einer Militarisierung des Kosmos zwar bestimmte Grenzen, schließen sie aber nicht völlig aus. Denn wie der Weltraumvertrag beschränken sich auch der Teilteststoppvertrag und der Mondvertrag auf Massenvernichtungswaffen. Somit weist das Völkerrecht gefährliche Lücken auf, die zukünftig mit präzisionsgesteuerten Hightech- und Anti-Satelliten-Waffen gefüllt werden könnten. Zwar wurden zahlreiche Vorschläge für rechtsverbindliche Verpflichtungen gegen das Wettrüsten in All entwickelt, bisher aber konnten sich die Staaten auf weitere völkerrechtlich verbindliche Abkommen nicht verständigen. Die nun von der Expertengruppe auszuarbeitenden Empfehlungen zur Erhöhung von Transparenz und Vertrauen im Weltraum können Abrüstungsmaßnahmen nicht ersetzen, aber möglicherweise zumindest einen Schritt zu mehr Sicherheit und Stabilität bedeuten. Nach Fertigstellung wird der Bericht der UN-Vollversammlung zur weiteren Erörterung und Beschlussfassung vorgelegt.

Völkerrechtliche Vereinbarungen zum Kosmos:

  • Der Teilteststoppvertrag (1963) verbietet u.a. auch Kernwaffentests und andere nukleare Explosionen im Weltraum;
  • Der Weltraumvertrag (1967) verbietet, atomare und andere Massenvernichtungswaffen und ihre Trägermittel im All zu stationieren. Der Mond und andere Himmelskörpern werde nicht für militärische Stützpunkte, Teststätten oder Manöver genutzt;
  • das Weltraumrettungsübereinkommen (1968) regelt die Gewährung von Hilfe für in Not geratene Raumfahrer und die Rückgabe von in den Weltraum gestarteten Gegenständen;
  • das Weltraumhaftungsübereinkommen (1972) gewährt angemessenen Schadensersatz für durch Weltraumgegenstände verursachte Schäden;
  • das Weltraumregistrierungsübereinkommen (1975) erleichtert die Identifizierung von in den Weltraum gestarteten Gegenständen;
  • der Mondvertrag (1979) verpflichtet zur ausschließlich friedlichen Nutzung des Mondes und verbietet die Anwendung und Androhung von Gewalt in Bezug auf die Erde, den Mond, auf Raumschiffe und deren Besatzungen sowie auf künstliche Weltraumprojekte. Die Stationierung von Massenvernichtungswaffen auf dem Mond und im mondnahen Raum ist untersagt.

Weltraum-Zwischenfälle

  • erstes Halbjahr 2010: Laut dem Befehlshaber der russischen Weltraumtruppen Generalleutnant Oleg Ostapenko mussten diese im ersten Halbjahr 2010 mehr als 40 Mal vor einer gefährlichen Annäherung von Weltraumobjekten an die Internationale Raumstation ISS warnen.
  • 22. März 2009: Weltraummüll fliegt auf die ISS zu. Die Astronauten ändern den Kurs der Station, um eine Kollision zu verhindern.
  • 12. März 2009: Ein 2,5 Zentimeter großes Schrottteil treibt auf die ISS zu. Für ein Ausweichmanöver ist es zu spät. Die Astronauten flüchten in die angedockte Sojus-Kapsel, bis die Gefahr vorüber ist.
  • 10. Februar 2009: Ein noch aktiver amerikanischer Nachrichtensatellit und der seit Jahren abgeschaltete russische Militärsatellit "Kosmos-2251" prallen in 780 Kilometern Höhe über dem Norden Sibiriens zusammen. Sie zerbersten völlig.
  • November 2008:März 2008: Von einer Rakete lösen sich nach dem Start vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan Teile und stürzen auf eine Weide im sibirischen Altai-Gebirge. Vier Pferde werden getötet.
  • März 2007: Ein brennendes Stück Weltraumschrott verfehlt über dem Südpazifik ein chilenisches Passagierflugzeug nur um Sekunden.
  • Januar 2004: Unbekannter Weltraummüll von der Größe eines Kleinwagens stürzt auf einen Acker im Norden Argentiniens.
  • Dezember 2002: Ein Teil einer 1985 gestarteten Ariane-Rakete trifft ein Haus im afrikanischen Uganda, niemand wird verletzt.
  • Januar 2002: Trümmer eines drei Tonnen schweren US-Forschungssatelliten stürzen im Norden des Persischen Golfs ab.
  • März 2001: Die 15 Jahre alte russische Raumstation "Mir" stürzt kontrolliert in den Pazifik vor Neuseeland. Teile verglühen vor dem Einschlag wie ein Kometenschwarm in der Atmosphäre.
  • Februar 2000: Ein mehrere hundert kg schweres Fragment einer von Russland gestarteten Proton-Trägerrakete schlägt neben dem Haus eines Dorfbewohners in Korgon (Westsibirien) ein.
  • März 1997: Trümmer eines russischen Progress-Raumtransporters, der nach der gescheiterten Ankopplung an die "Mir" aufgegeben worden war, stürzen rund 7000 km westlich von Chile in den Pazifik.
  • November 1996: Teile der fast sieben Tonnen schweren russischen Raumsonde "Mars 96" mit 270 Gramm Plutonium fallen nahe der Osterinseln in den Pazifik.
  • Januar 1995: Der deutsch-japanische Satellit "Express" stürzt nach nur dreieinhalbstündigem Flug über Ghana ab. Die Raumkapsel wird erst neun Monate später gefunden.


* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - im "neuen deutschland!" vom Montag, 8. Juli 2013


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