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"Lasst und mit diesen Deutschen nicht alleine!"

Von Stefan Körzell, DGB-Kreisvorsitzender Kassel

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,


ist die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik wirklich aufgewacht wie einige behaupten? Oder taugt das Thema "Rechtsextremismus und Neofaschismus" nur dazu, das nachrichtenarme Sommerloch zu füllen? Was ist in diesem Jahr anders als in den letzten Jahren?

Nicht erst seit der Wiedervereinigung gibt es rechte Gewalt in diesem Land. Es gab den Anschlag auf das Münchner Oktoberfest, 1980 mit 13 Toten, der jüdische Verleger Shlomo Levin wurde zusammen mit seiner Lebensgefährtin ermordet um nur zwei Beispiele zu benennen, es gab Anschläge auf jüdische Friedhöfe und Asylbewerberunterkünfte, wie in Ahnatal.

Es zieht sich eine Blutspur rechter Gewalt durch dieses Land. Der braune Mob macht Jagd auf Flüchtlinge, auf Obdachlose, Behinderte. Andersdenkende und andersaussehende Menschen werden bedroht, verfolgt, angegriffen und ermordet.

Und das nicht erst seit diesem Sommer meine Damen und Herren Politiker. Nein! Seit 1990 sind bei rechtsextremen und neofaschistischen Anschlägen und Überfällen weit über 100 Menschen ums Leben gekommen. Es gab Brand- und Bombenanschläge auf Synagogen, wie jüngst erst in Erfurt und Flüchtlingsunterkünfte und auf jüdische Friedhöfe. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter werden bedroht, können ihrem Beruf nur unter Polizeischutz ausüben.

Das ist bundesdeutscher Alltag, seit vielen Jahren. Nur wer sich dessen bewusst ist, ist auch in der Lage geeignete Maßnahmen dagegen zu ergreifen.

Gerne übersieht die Politik, dass es seit Jahren Menschen, Initiativen, Gruppen und Organisationen gibt, die sich aktiv gegen Neofaschismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus einsetzen. Diese Menschen verdienen unsere Anerkennung und Unterstützung. Sie haben erkannt, dass antifaschistische Arbeit eine langfristige Arbeit ist und faschistisches und rassistisches Denken und Handeln in unserer Gesellschaft nicht mit kurzfristigen Aktionen zu verändern ist. Doch diesen Initiativen wurde zu oft die Anerkennung verweigert, sie wurden in die linke Ecke gestellt, wurden kriminalisiert. Damit muss Schluss sein!

Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen alle gesellschaftlichen Widerstände couragiert und aktiv gegen rassistische Ausgrenzung und Gewalt, für Menschenrechte einsetzen, verdienen die Anerkennung und Unterstützung unserer Gesellschaft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
aber, wer wie der hessische Ministerpräsident Koch der Meinung ist, dass die rechte Gewalt in diesem Land dramatisiert wird, zündelt mit an der Lunte, sorgt mit dafür, dass die rechten Schläger kein Unrechtsbewußtsein haben oder entwickeln. Unter Umständen sogar denken, sie handeln im Einklang mit der Politik. Vielleicht kann aber ein Ministerpräsident gar nicht anders, der auf Stimmenfang bei den letzten Landtagswahlen mit einer Kampagne gegen die hier in Deutschland lebenden ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger ging. Vielleicht hat er selbst kein Unrechtsbewusstsein. Er kann und will vielleicht nicht klar Stellung beziehen, weil bei den nächsten Wahlen eine antifaschistische Stimmung im Land seine Erfolgsaussichten schmälern könnte, die Wahl erneut zu gewinnen.

Herr Koch, was hier in diesem Land passiert sind Verbrechen, als solche müssen sie auch benannt werden. Und ein Verbrechen ist es schon, wenn, wie auf dem Viehmarkt in Hofgeismar und in Discotheken rechte Schläger vorsätzlich andere Menschen angreifen, zusammenschlagen, Hakenkreuze sprühen, anderen Menschen per Telefon, Post und e-Mail damit drohen sie in der Genickschußanlage hinzurichten oder in der Gaskammer zu ermorden. Dies sind mittlerweile Vorkommnisse hier aus Kassel, der nordhessischen Region. Und solange Menschen in diesem Land in Angst und Schrecken leben müssen, solange gilt es dies öffentlich zu machen die Verantwortlichen dafür sind zu benennen.

Dass Sie Herr Koch, damit Probleme haben, den Verharmloser spielen ist in diesem Land weithin bekannt. Wenn Sie von der Situation keine Ahnung haben, schweigen Sie lieber, das können sie ja. Das wiederum wissen in diesem Land fast alle.

Wer zulässt, dass Menschen, die in dieses Land wollen, vor Verfolgung und Ermordung flüchten, dadurch unterschieden werden, ob sie der Gesellschaft nützen oder ihr "auf der Tasche liegen", wer Sprüche wie "Das Boot ist voll" macht und Kampagnen unter dem Titel "Kinder statt Inder" startet, macht sich mit verantwortlich, was in diesem Land passiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,


Rassismus und Faschismus sind nicht dann erst schlimm, wenn Menschen bei Übergriffen ums Leben kommen, Tote auf der Straße liegen. Es geht um den alltäglichen Rassismus. Um Sprüche, die am Stammtisch und in der Politik gemacht werden. Der Faschismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft, hier gilt es anzusetzen. Hier muss der Kampf dagegen geführt werden.

Hierzu muss es eine demokratische und humanistische Erziehung in unserer Gesellschaft geben. Dabei muss Konsens sein:
"Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen". Ein Verbrechen, das es zu bekämpfen gilt.

Deshalb muss Jugendarbeit angemessen finanziert werden, müssen Jugendclubs eine Perspektive haben. Es gilt, nicht erst dann mit der Geldgießkanne durch das Land zu ziehen und Jugendclubs zu finanzieren wenn die Spitze des Eisbergs aus dem Wasser ragt, sich die Fratze des Faschismus zeigt.

All denjenigen die jetzt mit dem ausgestreckten Finger in den Osten der Bundesrepublik zeigen und sagen dass Rassismus und Neofaschismus ein Problem der Ostdeutschen Länder ist, möchte ich sagen:
"Passen Sie auf, vier Finger zeigen auf Sie zurück."

Mölln, Solingen, Lübeck, und Bad Reichenhall um nur einige zu nennen liegen im Westen der Bundesrepublik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,


wer über Jahre hinweg Massenarbeitslosigkeit duldet, Jugendlichen nach der Schule keine Chance gibt eine Ausbildung zu beginnen, muss damit rechnen, dass sich Frust und Enttäuschung ein Ventil suchen, wo diese Wut abgelassen werden. Dies sind dann oftmals Schwächere die für die eigene schlechte Situation verantwortlich gemacht werden.

Fest steht jedoch auch, das die Republikaner, NPD und DVU nicht in den sogenannten sozialen Brennpunkten ihre besten Stimmergebnisse erzielen, sondern in den Gegenden in denen der Mittelstand wohnt, Facharbeiterinnen und Facharbeiter, Verwaltungsangestellte, Beamte, Menschen wie Du und ich. Hier bestimmt die Angst vor dem möglichen Verlust des Arbeitsplatzes das Wahlverhalten. Eine Erkenntnis die wir als Gewerkschaften auch zu beachten haben. Wissenschaftliche Untersuchungen haben dies deutlich gemacht. Wer Neofaschismus und Rassismus wirksam bekämpfen will, muss mit dafür sorgen, dass Menschen wieder Arbeit bekommen, ein Einkommen zum Auskommen erzielen können, Benachteilige und Erwerbslose nicht diskriminiert und als Schmarotzer bezeichnet werden.

Dazu braucht es in Kassel und in der Region große Anstrengungen. Hierzu ist vor allem auch die Wirtschaft gefordert. Es reicht nicht aus, ausschließlich Angst um die Exportchancen der bundesdeutschen Wirtschaft zu haben. Eine solche Diskussion orientiert sich nur an den Kapitalinteressen, ist einseitig und zu kurz. Nein, vielmehr trägt die Wirtschaft die Verantwortung dafür, dass genügend Arbeits- und Ausbildungsplätze bereit gestellt werden, soziale Ausgrenzung beseitigt werden kann. Dies muss in der Diskussion an den Anfang gestellt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,


der 1. September 1939 war der traurige Anfang eines Krieges in dem Millionen von Menschen ums Leben kamen. Auch hier waren Rassismus und Fremdenhass die geistigen Vorläufer um eine solchen Feldzug zu beginnen. Dies darf nie wieder passieren, deshalb müssen wir uns gegen jegliche Form von Faschismus, Rassismus und Ausgrenzung wehren. Dafür gibt es hier in Kassel eine Arbeitsgrundlage: das "Bündnis gegen Rechts". Sich daran zu beteiligen, dazu rufe ich alle auf.

Es reicht jedoch nicht aus heute zu demonstrieren. Bei der jetzigen Auseinandersetzung geht es um die Präsenz auf den öffentlichen Straßen und Plätzen. Diese Straßen und Plätze dürfen wir nicht den Skinheads und den Neofaschisten überlassen, zeigen wir ihnen, dass es eine demokratische Öffentlichkeit gibt, die sich ihnen in den Weg stellt. Deshalb gilt es auch da zu sein , wenn wieder Rechtsextreme versuchen hier in Kassel aufzumarschieren. Dazu möchte ich euch/sie alle ermutigen.

Alle ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger möchte ich dazu aufrufen, selbstbewußt in dieser Stadt zu leben, mit uns gemeinsam gegen die Rechtsextremen zu kämpfen. Laßt uns mit diesen Deutschen nicht alleine!

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