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Kampf gegen Hunger

Immer mehr Staaten im südlichen Asien leiden unter den explodierenden Preisen für das Grundnahrungsmittel Reis. UN-Organisation braucht zusätzliches Geld

Von Thomas Berger *

Nach jüngsten Hochrechnungen der UN-Behörde für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) wird der Wert globalen Nahrungsgüterimporte 2008 auf mehr als eine Billion US-Dollar klettern. Das wäre rund ein Viertel mehr als im Vorjahr, verursacht vor allem durch die extremen Preissteigerungen für Getreide wie Reis und Weizen. Unter diesen haben gerade arme Staaten in Süd- und Südostasien immer mehr zu leiden. Einige Länder der Region sehen allerdings in der Krise auch neue Chancen. So könnte Pakistan als Reisexporteur aus dem faktischen Ausfuhrstopp von Vietnam und Indien unter Umständen Profit ziehen. Die Regierung in Islamabad hat angeblich für eine Million Tonnen Reis die Verschiffung erlaubt.

Pakistan ist bei den Exporteuren weit abgeschlagen hinter den Spitzenreitern Thailand, Vietnam und Indien nur die Nummer fünf, verfügt aber über gewisse Ressourcen. Auch Japan sieht sich von einer Verknappung des Angebotes nicht betroffen. Aus den strategischen Reserven, die der einzige entwickelte Industriestaat Asiens anlegt, soll jetzt nach jüngsten Meldungen eine Großlieferung an die Philippinen erfolgen. Die sind der weltgrößte Importeur von Reis und von den Handelsbeschränkungen der Vormonate am stärksten betroffen. Zwar hatte Vietnam noch vor seinem Ausfuhrstopp als letztes ein Geschäft mit Manila abgeschlossen, doch reicht dies allein nicht, um die Versorgung der Menschen im Inselstaat abzusichern.

Sorgen um Bangladesch

Schwierig ist die Lage auch in Bangladesch. Allerdings steuert die militärgestützte Übergangsregierung im öffentlichen Eingeständnis dessen einen Zickzackkurs. Bereits am 5. Januar hatte Armeechef Moeen U Ahmed vor einer möglichen Katastrophe im weiteren Jahresverlauf gewarnt. Genau drei Monate später, am 5. April, hatte er eine völlige Kehrtwende vollzogen, spielte das Problem herunter. »Wo ist eine Krise? Die Preise sind zwar gestiegen, aber das ist auch alles«, hieß es plötzlich. Dabei hatte der General gerade eine Tour über einen der größten Märkte des Landes hinter sich, wo er hätte sehen müssen, daß die Ernährung speziell der ärmsten Bevölkerungskreise gefährdet ist.

Hilfsorganisationen warnen für Bangladesch bereits vor der schlimmsten Hungersnot seit 1974. Insbesondere Kleinkinder in urbanen Zentren sind betroffen. Viele arme Familien müssen inzwischen bis zu 80 Prozent ihres Monatsverdienstes aufbringen, um wenigstens eine tägliche Mahlzeit zu sichern. Der normale Marktpreis für das Kilo Reis hat sich binnen einem Jahr auf 35 Taka, umgerechnet rund 50 Cent, verdoppelt. 2,6 Millionen Menschen erhalten ihn durch Subventionen verbilligt, was aber nicht ausreicht. Schließlich hatte Bangladesch 2007 unter zwei Hochwasserkatastrophen und einem schweren Zyklon im November zu leiden. Obwohl Indien derzeit eigentlich nicht exportiert, hat es dem kleineren Nachbarn im Osten kürzlich vier Millionen Tonnen Reis zukommen lassen, um den schlimmsten Engpaß zu überwinden.

Bei steigenden Preisen und Verknappung des Angebots sind inzwischen Wucherer am Werk, die versuchen, aus der Not ihrer Mitbürger Profit zu schlagen. Einige der Läden, die in Südasien verbilligten Reis an die Ärmsten verkaufen, sind geschlossen worden, weil sie die Lieferungen statt dessen lieber zum Normalpreis auf dem Schwarzmarkt feilboten. Fragwürdige Praktiken gibt es speziell in Pakistan auch beim Handel mit Weizen, dessen Preis global ebenfalls auf Rekordhöhen gestiegen ist. Die Regierung hat Zwischenhändler inzwischen offiziell gewarnt: Wenn sie auf lukrative Exporte setzen, statt wie üblich zur Grundversorgung der armen Bevölkerungsteile an die Behörden zu verkaufen, riskieren sie, daß ihre Bestände konfisziert werden.

In Afghanistan muß die Lage ebenfalls als alarmierend bezeichnet werden. Über ein gemeinsame Maßnahme der Regierung in Kabul und dem UN-Welternährungsprogramm (WFP) haben allein im März und April mehr als 400000 Einwohner spezielle Nahrungsgüterhilfe erhalten. Insgesamt ist die Nahrungsversorgung von 2,5 Millionen Menschen akut bedroht, sollten sich die Bedingungen nicht verbessern. Bis Mitte des Jahres, so die UN-Nachrichtenagentur IRIN, reichen die derzeitigen Reserven. Danach muß durch die Experten neu sondiert werden, wie sich der Bedarf entwickelt hat.

Auch Sri Lanka gefährdet

Selbst in Sri Lanka, sonst nicht für Nahrungsmittelkrisen bekannt, gibt es erste Warnzeichen, daß die Preisexplosion nicht ohne gravierende Folgen bleibt. Fachleute der Vereinten Nationen haben festgestellt, daß inzwischen 29 Prozent der Kinder unter fünf Jahren unterernährt sind, 15 Prozent davon sogar in schwerem Maße. Diese Zahl liegt deutlich über den Werten, die man für ein so relativ entwickeltes Land erwarten würde. Der anhaltende Bürgerkrieg im Norden und Osten des Landes zwischen Regierung und tamilischen Rebellen verschärft die Versorgungslage Zehntausender Familien zunehmend.

Die dramatisch erhöhten Kosten für die Beschaffung von Reis und Weizen belasten auch die Nothilfe­ des WFP. Bei ihren Einkäufen muß die UN-Unterorganisation im Durchschnitt 57 Prozent mehr als 2007 bezahlen, weshalb zusätzliche Finanzmittel dringend notwendig sind. In Osttimor waren die Helfer im April sogar schon gezwungen, zu für sie ungewöhnlichen Maßnahmen zu greifen. Die Unterstützung für die durch die politischen Unruhen zu Flüchtlingen im eigenen Land gewordenen Menschen in den Camps wurde zurückgefahren, um 35000 anderen mit der Ausgabe von Nahrungsmitteln über die akute Notlage hinwegzuhelfen.

* Aus: junge Welt, 30. Mai 2008


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