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Gesundheitspolitik weltweit unterentwickelt

WHO: 100 Millionen Menschen werden jährlich durch Behandlungskosten in die Armut getrieben

Die Weltgesundheitsorganisation fordert eine bessere und effizientere Finanzierung der Gesundheitssysteme.

Trotz internationaler Anstrengungen seien die Unterschiede bei der Gesundheitsversorgung und Lebenserwartung weltweit so groß wie nie zuvor, sagte WHO-Generaldirektorin Margaret Chan am Montag bei der Vorstellung des Weltgesundheitsberichts in Berlin. 100 Millionen Menschen würden jährlich durch Behandlungskosten in die Armut getrieben.

Der Weltgesundheitsbericht fordert die internationale Gemeinschaft auf, deutlich mehr Geld in den Gesundheitssektor zu investieren. Derzeit geben demnach 31 Länder weniger als 35 US-Dollar pro Kopf und Jahr für den Gesundheitsbereich aus. Wenn mehr Länder ihre Zusagen einhielten, bis 2015 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe bereitzustellen, könnten bis 2015 drei Millionen Menschenleben zusätzlich gerettet werden, heißt es in dem Bericht.

Doch auch die armen Länder seien in der Pflicht. Im Jahr 2000 hätten sich Afrikas Staatschefs verpflichtet, 15 Prozent der staatlichen Mittel für Gesundheit auszugeben. Nur Liberia, Ruanda und Tansania hätten dieses Ziel bisher umgesetzt. Die WHO rät, durch effizientere Steuererhebung oder neue Steuerquellen etwa auf Tabak und Alkohol oder Währungstransaktionen weitere Finanzierungsquellen zu erschließen.

Die WHO-Chefin bemängelte zugleich die fehlende Effizienz vieler Vorhaben im Gesundheitswesen. Im vergangenen Jahrzehnt sei das Thema Gesundheit deutlich höher auf die politischen Agenden vieler Länder gerückt, sagte sie. Es gebe »sehr viel mehr Geld, aber auch sehr viel mehr Akteure und Partnerschaften«. So arbeiteten weltweit 140 Gesundheitsinitiativen parallel. Durch verstärkten Einkauf von Generika oder den Kampf gegen Ineffizienz in Krankenhäusern könnte jedes Land überdies Geld wirtschaftlicher einsetzen.

Der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) betonte ebenfalls, eine bessere internationale Abstimmung sei angesichts der Vielfalt der Akteure im Bereich der Gesundheit nötig. Er befürworte daher »ein starkes Mandat der WHO für globale Koordinierung«.

Niebel sagte weiter, Deutschland unterstütze den Aufbau von Gesundheitssystemen in Entwicklungsländern mit jährlich mehr als 500 Millionen Euro. Ein besonderes Schwerpunktthema sei hierbei die Mütter- und Kindersterblichkeit. Seit 1990 wurde die Müttersterblichkeit nur um ein Drittel reduziert. Ziel der internationalen Gemeinschaft ist es, sie bis 2015 um drei Viertel zu senken.

Dem Bericht zufolge ist die unzureichende Finanzierung der Gesundheitsversorgung nicht nur ein Problem von Entwicklungsländern. Die WHO beklagt, dass auch in Industriestaaten viele Menschen mit den Behandlungskosten überfordert seien. In den USA seien Privatleute meist deshalb überschuldet, weil sie Behandlungskosten nicht hätten selbst zahlen können. Auch in Griechenland, Portugal, Polen und Ungarn müssten viele Menschen finanzielle Härten erleiden, da sie direkt für ihre medizinische Versorgung zu zahlen hätten.

Der WHO-Bericht wurde im Rahmen einer internationalen Ministerkonferenz zur Finanzierung von Gesundheitssystemen vorgestellt, die am Montag in Berlin stattfand. Neben Chan und Niebel nahm daran auch Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) teil.

* Aus: Neues Deutschland, 23. November 2010


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