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Hungergipfel mit magerem Ertrag

Entwicklungsorganisationen kritisieren Verlauf und Ergebnisse der Welternährungskonferenz

Entwicklungsorganisationen haben eine kritische Bilanz des Welternährungsgipfels gezogen. Die Bundesregierung sieht indes wichtige Impulse. *



Die Teilnehmer des Welternährungsgipfels in Rom haben sich nach langwierigen Verhandlungen auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt. In dem am Donnerstag verabschiedeten Dokument verpflichten sie sich, »mit allen Mitteln das von der Krise ausgelöste Leiden zu lindern und die Nahrungsmittelproduktion zu fördern«. Die internationale Gemeinschaft müsse »dringend koordinierte Maßnahmen ergreifen, um die negativen Folgen der steigenden Lebensmittelpreise auf die am meisten gefährdeten Länder und Bevölkerungen zu bekämpfen«, betonen die Teilnehmer der dreitägigen UNO-Konferenz. Arme Länder müssten bei der Entwicklung ihrer Landwirtschaft durch stärkere Investitionen unterstützt werden.

Kurzfristig fordert die Erklärung, Lebensmittelhilfe für Entwicklungsländer zu verstärken. Langfristig gelte es, in den am stärksten von der Krise betroffenen Regionen vor allem Kleinbauern zu unterstützen und den Handel zu liberalisieren. Die Vertreter der mehr als 180 Teilnehmerstaaten des Treffens betonten ferner die Notwendigkeit, auf die »Herausforderungen des Klimawandels« einzugehen. Verstärkte Investitionen mahnten die Gipfelteilnehmer in diesem Zusammenhang in Forschung und Technologie für Lebensmittel und Landwirtschaft an.

Die Deutsche Welthungerhilfe äußerte sich zum Abschluss der dreitägigen Konferenz enttäuscht. »Mutlose Politiker lassen die Hungernden im Stich«, erklärte die Organisation und kritisierte, die Hauptursachen der Ernährungskrise wie Handelsbeschränkungen der Industriestaaten für Importe aus Entwicklungsländern seien in Rom ausgespart worden. In der Schlusserklärung fehlten zudem Hinweise auf die Chancen und Risiken der Biotreibstoffe. Angekündigte Soforthilfen wie verbilligtes Saatgut und Kleinstkredite für Bauern schafften eher Abhängigkeiten, als dass sie die Krise lösten. Für mehr Ernährungssicherheit seien vielmehr langfristige Investitionen in die Infrastruktur und die Bildung der Bauern nötig. Der Evangelische Entwicklungsdienst sprach von einer vertanen Chance.

Thomas Hirsch von »Brot für die Welt« meinte, die Konferenz habe ihr Ziel verfehlt, die Auswirkungen des Klimawandels und der Agrotreibstoffe auf die Welternährung anzugehen.

Die internationale Hilfsorganisation Oxfam würdigte, dass erstmals auf einer UN-Konferenz anerkannt wurde, dass Probleme wie Hunger, Klimawandel und die Produktion von Biotreibstoffen eng miteinander verbunden seien.

Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul zeigte sich indes überzeugt, dass von Rom wichtige Impulse ausgehen. Sie begrüßte einen von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon vorgelegten Aktionsplan zur Ernährungskrise. Darauf sollte sich die Weltgemeinschaft verständigen. Armut und ungerechte Verteilung seien die Kernprobleme. »Es ist wichtig, dass der Welternährungsgipfel stattgefunden hat«, erklärte sie.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Juni 2008


Entdemokratisierung der Agrarpolitik

FIAN-Experte Armin Paasch: Konzernlobby war beim Welternährungsgipfel stärker denn je **

Der am Donnerstag (5. Juni) zu Ende gegangene Welternährungsgipfel in Rom hat für die Hungernden nichts gebracht, sagt Agrarexperte Achim Paasch, der für die Menschenrechtsorganisation FIAN Deutschland als Beobachter vor Ort war. In der UN werden technische Lösungen diskutiert, die nur den Agrokonzernen zugute kommen würden.

ND: Die letzten UN-Gipfel, die sich mit zentralen Menschheitsfragen beschäftigt haben, endeten mit Floskeln und der Ankündigung, später über konkrete Maßnahmen zu entscheiden. War dies beim Welternährungsgipfel ähnlich?

Paasch: Leider ja. Man muss festhalten, dass sich sehr wenig Konkretes in der Abschlusserklärung findet und wegweisende Entscheidungen fehlen. Der einzige konkrete Beschluss lautet: Die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO wird künftig in der UN-Task-Force zur Welthungerkrise mitarbeiten.

Thema des UN-Gipfels war die Frage, inwieweit die Agrospritproduktion und der Klimawandel zur Ernährungskrise beigetragen haben. Forderungen aus Entwicklungsländern, die Agrospritproduktion deutlich zurückzufahren, blieben aber ungehört.

In der Abschlusserklärung gibt es lediglich eine Einladung zum Dialog. Dieses Thema ist völlig an den Rand gedrängt worden, und zwar von den Regierungen, die ein Interesse an der Argrotreibstoffproduktion haben. Vor allem die USA, die EU und Brasilien haben blockiert, dass hier Lösungen ernsthaft diskutiert wurden. Und auch zum Thema Klimawandel gibt es letztendlich nicht mehr als einige allgemeine Floskeln.

Und was ist von dem »Globalen Aktionsrahmen« zu halten, den UN-Generalsekretär Ban Ki Moon auf der Konferenz vorgelegt hat?

Darin finden sich einige positive Ansätze – beispielsweise die Stärkung der sozialen Sicherheit und die Unterstützung von armen Konsumenten, die sich angesichts der stark gestiegenen Preise die Nahrung nicht mehr leisten können. Allerdings weisen die langfristigen Maßnahmen zur Bekämpfung des Hungers unserer Ansicht nach in die völlig falsche Richtung. So sollen die Entwicklungsländer ihre Märkte für Nahrungsmittelimporte noch weiter öffnen. Und diese Einfuhren sollen sogar subventioniert werden, auch mit Entwicklungshilfegeldern. Dies wäre eine nie dagewesene Dimension der Importförderung. Und schließlich sollen Getreidespeicher, also quasi die Grundnahrungsmittelvorräte, aus Effizienzgründen noch stärker privatisiert werden. Dies wäre letztendlich eine stärkere Dosis der Medizin, die zu dieser Hungerkrise geführt hat.

Damit würden die falschen Agrarstrukturen gestärkt ...

Es wird zwar gesagt, dass die kleinbäuerliche Landwirtschaft gestärkt werden soll, was wir begrüßen würden. Allerdings kann man aus den Papieren herauslesen, dass vor allem technologische Lösungen, also Hochleistungssaatgutsorten und Biotechnologie, gefördert werden sollen. Dies aber würde die Kleinbauern in die Abhängigkeit von großen Saatgutkonzernen führen.

Hat die Lobby der Agrokonzerne hinter den Kulissen mitgewirkt?

Diese Lobby war in Rom stärker denn je. Es gab ein eigenes Forum des privaten Sektors. Vertreten waren dort auch Großkonzerne wie Cargill, Unilever und Bunge, die sich für eine neue »Grüne Revolution« in Afrika und für mehr Liberalisierung stark machen. Diese Vorschläge stellen aber keine Lösungen für die Hungernden dar, sondern würden einfach die Profite erhöhen. Es ist skandalös: In den letzten drei, vier Monaten ist die Anzahl der Hungernden weltweit signifikant angestiegen, und gleichzeitig gingen die Profite der Agrokonzerne steil in die Höhe.

Sie kritisieren eine »Entdemokratisierung der internationalen Agrarpolitik«. Warum?

In der FAO gilt noch immer das Prinzip »ein Staat – eine Stimme«. Jetzt aber wurde die Federführung für die internationale Agrarpolitik von der FAO an diese UN-Task-Force unter Schirmherrschaft von Ban Ki Moon übertragen. Deshalb ist der vorgelegte Aktionsplan auch kein zwischenstaatliches Dokument. Die Regierungen werden nicht konsultiert und haben darüber nicht zu entscheiden.

Dadurch wird also die große Zahl der Entwicklungs- und Schwellenländer aus Entscheidungsprozessen herausgedrängt?

In der Task-Force geben eindeutig Weltbank und IWF den Ton an. Und diese Finanzinstitutionen werden von den reichen Ländern dominiert.

Fragen: Kurt Stenger

** Aus: Neues Deutschland, 6. Juni 2008


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