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Die vergessene Krise

Hunger situation in 33 countries is "very serious" to "grave"

Von Jana Frielinghaus *

Während die Politik zwölfstellige Rettungspakete für Großbanken auflegt, nimmt eine Krise, bei der es für eine Milliarde Menschen um Leben und Tod geht, unbeachtet ihren Lauf. Am Dienstag stellten die deutsche Welthungerhilfe und das Internationale Forschungsinstitut für Ernährungspolitik IFPRI anläßlich des Welternährungstages am 16. Oktober in Berlin den sogenannten Welthungerindex 2008 vor, mit dem die Situation in derzeit 88 Ländern veranschaulicht wird und die Entwicklung der letzten Jahre nachgezeichnet werden kann. Das Ergebnis: Fortschritte auf der einen und Rückschritte auf der anderen Seite ergeben »auf globaler Ebene Stagnation«, konstatierte IFPRI-Direktor Joachim von Braun.

Bei den absoluten Zahlen verzeichnet das IFPRI gar eine dramatische Verschlechterung: Allein im Jahr 2007 wuchs die Zahl der Hungernden weltweit um 75 Millionen auf 923 Millionen. Im Jahr 2008 kommen nach Einschätzung von Brauns »noch einmal mindestens 75 Millionen Menschen hinzu«, denen es am Nötigsten fehlt. Ingeborg Schäuble, Vorsitzende der Welthungerhilfe, erklärte, dies sei »eine Schande für die Menschheit«, denn: »Im Gegensatz zu den Banken sind sie nicht selbst schuld an ihrer Misere.« Nötig sei »ein Rettungspaket gegen den Welthunger«.

Mit dem Index werden die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren, der Anteil der Kinder unter fünf Jahren mit Untergewicht und der Anteil der Unterernährten an der Gesamtbevölkerung des Landes bewertet. Am schwersten von Hunger betroffen sind demnach afrikanische Länder südlich der Sahara, insbesondere Staaten wie Äthiopien, Liberia, Sierra Leone und die Demokratische Republik Kongo.

Zur dramatischen Verschlechterung seit Mitte 2007 hat vor allem die Explosion der Nahrungsmittelpreise beigetragen. Dabei schätzt Joachim von Braun den Anteil der Spekulation an den Warenterminbörsen am Preisanstieg als eher gering ein. Der Boom der Bioenergieproduktion dagegen hat nach IFPRI-Angaben mit rund 30 Prozent zum Preisanstieg beigetragen. Weitere wesentliche Ursachen sind Klimawandel, Bevölkerungswachstum, steigender Ölpreis und wachsender Fleisch- und Milchkonsum.

Die Finanzkrise habe aktuell zu einem Absinken der Agrarpreise beigetragen, so von Braun. Dies bedeute jedoch nur eine kurzfristige Erleichterung für die Armen. Gleichzeitig werde der Zugang zu Kapital für dringend nötige Agrarinvestitionen und für Ernährungsprogramme noch mehr erschwert.

Angaben zur Situation im Irak, in Afghanistan oder in Somalia fehlen im Welthunger-Index, weil für diese Länder keine verläßlichen Daten vorliegen. Gleichwohl besteht für IFPRI kein Zweifel, daß die Lage dort besonders dramatisch ist. Und während auch die Bundesrepublik vor allem ihre milliardenschwere militärische Präsenz am Hindukusch ausbaut, leiden nach Angaben der Hilfsorganisation Oxfam von Ende September fast fünf Millionen Afghanen unter unerträglicher Nahrungsmittelknappheit, eine Million afghanische Kinder sind im kommenden Winter akut vom Hungertod bedroht.

Ingeborg Schäuble forderte eine Erhöhung der Ausgaben der Industriestaaten für die Förderung der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern um jährlich mindestens zehn Milliarden Euro.

* Aus: junge Welt, 15. Oktober 2008

Hunger situation in 33 countries is "very serious" to "grave"

WHH(October 14, 2008). In 33 countries throughout the world there is a "very serious" or "grave" hunger situation. These countries are right at the bottom of the Global Hunger Index 2008 (GHI 08), which the International Food Policy Research Institute (IFPRI) from Washington and Welthungerhilfe presented today on the occasion of the World Food Day in Berlin.

The Democratic Republic of Congo, Eritrea, Burundi, Niger und Sierra Leone are the worst of a total of 88 countries in the ranking, and the situation there is extremely serious. Grouped according to world regions, Sub-Saharan Africa is the worst, followed by South Asia. Altogether the number of people suffering from famine worldwide has risen from 848 to 923 million people.

For the first time the GHI also shows a long-term trend through comparing the current figures with those from 1990. Joachim von Braun, Director of the IFPRI said the result, a mixture of progress and reversals in different countries, showed stagnation at a global level: "The Global Hunger Index makes it clear that there certainly is progress in combating hunger, but unfortunately not on a broad front. We cannot accept this situation."

Ingeborg Schäuble, President of Welthungerhilfe: "Almost a billion starving people is a scandal for the world. In contrast to the banks, they themselves are not guilty for their plight. The general rethinking about the role of the state and the international community, brought about by the financial crisis, must be extended to also cover the hunger crisis. The world needs a rescue package to combat global hunger, and we therefore demand that funding for the development of agriculture in developing countries be increased by at least ten billion euros every year and that fairer trading conditions should be created."

Joachim von Braun commented on the current financial crisis: "The financial crisis contributes towards a decrease in agricultural prices, and this means short-term relief for the poor. But it also now reduces the amount of capital available for agricultural investments and for food aid programmes. This threatens to prevent the sustainable overcoming of the global food crisis."

Quelle: www.welthungerhilfe.de




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