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Kinder in Armutsfalle

Mehr Milliardäre und viel mehr Arme weltweit. Konferenz in Japan: Wachsende soziale Spaltung trifft die Jüngsten besonders hart

Von Thalif Deen, IPS *

Die immer wieder festgestellte Kluft zwischen arm und reich kennt nur einen Trend. Sie wird tiefer und tiefer. Das alles geschieht in einer Zeit, in der die Weltwirtschaft einen Aufschwung genommen hat wie niemals zuvor. Der globale ökonomische Output erreichte im vergangenen Jahr ein Volumen von umgerechnet 60 Billionen US-Dollar. Mit dem Wachstum der Wirtschaftsleistung nahm auch die Zahl derjenigen zu, die über ein exorbitantes persönliches Vermögen verfügen. In der Liste der Superreichen, die vom US-Wirtschaftsmagazin Forbes erstellt wird, sind in diesem Jahr 1125 Milliardäre aufgeführt, 179 mehr als im Vorjahr. Aber nicht nur die Zahl der Oligarchen nahm rapide zu, auch deren globale Allokation. Selbst Staaten, die früher zu den ärmsten Regionen der Welt zählten, brachten inzwischen Milliadäre hervor. Doch während bei Forbes Personen aus Ländern wie Ägypten, Belize, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Malaysia, Mexiko, Nigeria und Venezuela auftauchen, nimmt auch die Zahl der Armen weiter zu.

Bald jede Sekunde werde die Welt mit einem neuen Millionär beglückt, zugleich aber lebe fast eine Milliarde Menschen von weniger als einem Dollar am Tag, und weit über 800 Millionen Menschen litten Hunger, sagte Kul Chandra Gautam, ehemaliger beigeordneter UN-Generalsekretär und früher stellvertretender Leiter des Weltkinderhilfswerks UNICEF. Gautam war einer der über 1300 Teilnehmer des am Montag im japanischen Hiroshima zu Ende gegangenen Kinderrechtsforums, zu dem das Globale Netzwerk der Religionen für Kinder (GNRC) eingeladen hatte. Das Netzwerk ist eine seit 2000 bestehende Einrichtung der in Tokio ansässigen Arigatou-Stiftung, das Treffen war das dritte seiner Art. Die beiden ersten internationalen Tagungen fanden im Mai 2000 in Tokio und im Mai 2004 in Genf statt.

Gautam sprach auf dem Treffen von einem dramatischen Kontrast. Trotz des zunehmenden Reichtums einzelner auch in Ländern des Südens lasse die Armut jährlich fast zehn Millionen Kinder an Krankheiten sterben, die leicht kuriert werden könnten. Ebenso seien 93 Millionen Kinder, die meisten von ihnen Mädchen, zu einem Leben ohne Grundschulbildung verurteilt und weitere Millionen zu erzwungener Arbeit unter zum Teil gefährlichsten Bedingungen. »Wie immer werden aller Wahrscheinlichkeit nach die Kinder auch die Leidtragenden der derzeitigen Hochs bei den Lebensmittel- und Treibstoffpreisen sein«, warnte der Experte in einem Gespräch mit IPS am Rande der Tagung. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen leben weltweit über 600 Millionen Kinder in absoluter Armut. In weiter Ferne befindet sich damit für sie das erste der acht sogenannten Millenniumsentwicklungsziele: die Halbierung von Hunger und Armut bis 2015.

Dennoch sieht auch Gautam Fortschritte. Wie er betonte, verbesserte sich die Lage der Kinder und Armen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stärker als in den letzten 500 Jahren. In Asien habe über eine Milliarde Menschen den Weg aus der Armut gefunden -- 400 Millionen Menschen allein in China. UNICEF berichtete 2007 erstmals, seit entsprechende Daten erfaßt werden, von weniger als zehn Millionen Kindersterblichkeitsfällen und damit von einer Senkung der Sterblichkeitsrate um 60 Prozent seit 1960. »Das ist ein beeindruckendes Zeugnis für den Erfolg vieler Interventionen an der Gesundheitsfront«, so Gautam.

Die Pocken, die noch in den 50er Jahren um die fünf Millionen Menschen im Jahr töteten, sind ausgerottet, die Kinderlähmung steht kurz davor, und auch die Zahl der an Masern sterbenden Kinder in Afrika ist in den letzten sieben Jahren um 90 Prozent zurückgegangen. »Zudem gehen heute mehr Kinder in die Schule als je zuvor, und zumindest auf der Grundschul­ebene nimmt die Geschlechterungleichheit allmählich ab«, sagte Gautam. Auch hätten internationale Errungenschaften wie die UN-Kinderrechtskonvention den Belangen der Kinder und vor allem dem Kampf gegen ihren Mißbrauch zu politischem Gewicht verholfen. Dennoch lebten Millionen Menschen ohne Anteil an diesen Entwicklungen. Betroffen seien insbesondere die Armen im Afrika südlich der Sahara und in Teilen Südasiens. Größte Hindernisse für einen erfolgreichen Kampf gegen die Armut seien bewaffnete Auseinandersetzungen und die HIV/AIDS-Pandemie. Sie schwächten die sozialen Systeme zusätzlich und sorgten für die weitere Marginalisierung der ohnehin Benachteiligten.

* Aus: junge Welt, 28. Mai 2008


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