Hunger wird zunehmend zur Waffe
Welthungerhilfe befürchtet wachsende Zahl an humanitäre Nothilfen durch Kriege
Von Haidy Damm *
Der Anteil an Nothilfe wächst, die
Arbeit von Hilfsorganisationen in
Regionen mit bewaffneten Konflikten
aber wird schwieriger. Die Welthungerhilfe
stellte am Dienstag in
Berlin ihren Jahresbericht vor.
Bewaffnete Konflikte bedeuten für die
Bevölkerung oftmals lebensbedrohliche
Krisen: Hunger, mangelnde medizinische
Versorgung, Verlust des
Zuhauses. So sind durch den Bürgerkrieg
in Syrien etwa drei Millionen
Menschen auf der Flucht, der überwiegende
Teil von ihnen lebt in den
Nachbarländern. Dort werden sie von
Hilfsorganisationen versorgt, im Land
selbst sei das nur teilweise möglich,
berichtete Bärbel Dieckmann, Präsidentin
der Welthungerhilfe, bei der
Vorstellung des Jahresberichtes 2013
in Berlin. Es fehlten »humanitäre Korridore
«, die die Versorgung mit Lebensmitteln
möglich machen. »Hunger
wird als Waffe genutzt«, kritisierte
Dieckmann. Hilfe werde teilweise
gezielt verweigert, um die Bevölkerung
zu zermürben. Solche Konflikte
könnten nur politisch, nicht aber allein
mit humanitärer Hilfe gelöst werden,
sagte Diekmann und forderte,
Deutschland müsse mehr als die jetzt
neu zugesagten 10 000 Flüchtlinge
aus Syrien aufnehmen.
Weltweit sei die Hilfsorganisation
2013 »mit einer stark steigenden Anzahl
humanitärer Notlagen konfrontiert
« worden, erklärte Generalsekretär
Wolfgang Jamann. »Dieser Trend
setzt sich bis heute fort.« Eine wachsende
Zahl an Menschen, die dringend
auf Unterstützung angewiesen
seien, stelle humanitäre Organisationen
vor »enorme Herausforderungen«, erklärte die Welthungerhilfe.
Allein in Südsudan seien nach
Schätzungen der Vereinten Nationen
etwa fünf Millionen Menschen auf
humanitäre Hilfe angewiesen, erklärte
die Welthungerhilfe. Präsidentin
Bärbel Dieckmann forderte die
bewaffneten Konfliktparteien dazu
auf, »ihren Verpflichtungen nach internationalem
humanitären Völkerrecht
verantwortungsbewusst nachzukommen,
das Töten von Zivilisten
einzustellen und den humanitären
Akteuren bedingungslosen und ungehinderten
Zugang zur Zivilbevölkerung
in den Konfliktzonen zu gewähren«.
Auch die Afrikanische Union sowie
die in Südsudan ölproduzierenden
Staaten müssten sich stärker an einer
Lösung des Konfliktes beteiligen. Nur
so könne eine drohende Hungersnot
noch abgewendet werden, erklärte
Dieckmann. Angesichts der beginnenden
Regenzeit müssten die Landwirte
auf die Felder, um die Versorgung
für das kommende Jahr sicherzustellen.
Obwohl in Südsudan angesichts
großer Ölvorkommen und
fruchtbarer landwirtschaftlicher Flächen
grundsätzlich eine Versorgung
der Bevölkerung möglich wäre, leben
nach 30 Jahren Bürgerkrieg 90 Prozent
unter der Armutsgrenze. Etwa eine
Million Menschen sind durch die
erneuten Kriegshandlungen vertrieben
worden, knapp 300 000 Flüchtlinge
hätten das Land verlassen, bis
Ende des Jahres könnte sich diese Zahl
nach Schätzungen der Vereinten Nationen
verdoppeln.
In den afrikanischen Ländern südlich
der Sahara gewinnen Extremisten
nach Einschätzung der Welthungerhilfe
immer mehr an Boden. Die
Umstürze in Nordafrika hätten zu einer
Militarisierung der Region mit
Ländern wie Mali, Niger, Südsudan
oder der Zentralafrikanischen Republik
beigetragen. »Viele Söldner aus
nordafrikanischen Ländern wie Libyen
sind dorthin ausgewandert«, sagte
Jamann. Eine große Gefahr für die
Entwicklungshelfer vor Ort sei neben
den bewaffneten Konflikten die zunehmende
»Entführungsindustrie«.
Die Spendeneinnahmen der Welthungerhilfe
sind nach eigenen Angaben
im vergangenen Jahr leicht auf
insgesamt 154,1 Millionen Euro gestiegen.
Davon flossen insgesamt 140
Millionen Euro in 355 Auslandsprojekte
in 40 Ländern.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 4. Juni 2014
Hunger als Waffe
Haidy Damm sieht keinen Widerspruch zwischen Neutralität und politischen
Forderungen der Welthungerhilfe **
Humanitäre Hilfe zu leisten, wird weltweit schwieriger und gefährlicher,
heißt es im aktuellen Jahresbericht der Welthungerhilfe. In Syrien werde
Hilfe teilweise gezielt verweigert, um die Bevölkerung zu zermürben. Südsudan steuert auf eine Hungerkrise zu, weil Landwirte die Felder nicht bestellen können. Hunger wird so zur Waffe.
Gerade im Fall von Nothilfe ist die neutrale Rolle von Nichtregierungsorganisationen
überlebenswichtig. Dennoch stellt die Welthungerhilfe politische
Forderungen. Und zwar nicht allein an die Konfliktparteien, die
sich unmittelbar gegenüberstehen. In Südsudan sind unter anderem China
und Indien aufgefordert, sich für eine friedliche Lösung einzusetzen. Beide Staaten profitieren vom dort geförderten Erdöl. Auch über die Flüchtlingspolitik
der EU verliert die Organisation kein gutes Wort, sondern fordert
eine Neuausrichtung, die sich konsequent den Fluchtursachen widmet.
Sich auf diese Weise politisch einzumischen, ist der richtige Weg. Denn
Konflikte können nur politisch, nicht aber mit humanitärer Hilfe gelöst
werden. Neutral sein heißt nicht, keine Meinung zu haben. In Fragen der
Nothilfe dennoch vehement auf freien Zugang zu den Hungernden zu bestehn, steht dazu nicht im Widerspruch.
** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 4. Juni 2014 (Kommentar)
Welthungerhilfe
Die Welthungerhilfe ist eine der größten privaten Hilfsorganisationen in
Deutschland. Sie leistet Hilfe aus einer Hand: Von der schnellen
Katastrophenhilfe über den Wiederaufbau bis zu langfristigen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit mit einheimischen Partnerorganisationen nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe. Seit der Gründung im Jahr 1962 wurden mehr als 6.800 Projekte in 70 Ländern mit 2,39 Milliarden Euro gefördert — für eine Welt ohne Hunger und Armut.
Mehr Informationen auf der Website der Welthungerhilfe: www.welthungerhilfe.de [externer Link]
Und zum Jahresbericht 2013 informiert digitalen Pressemappe.
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