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Abrüstung und Verschrottung aller Atomwaffen!

Erklärung der Middle Powers Initiative

Anlässlich der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrags, der vom 24. April bis zum 19. Mai 2000 in New York tagt, veröffentlichte die Middle Powers Initiative einen Appell, den wir nachfolgend im Wortlaut veröffentlichen. Der Text folgt einer Übersetzung von Regina Hagen, die in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht wurde.

Die Middle Powers Initiative (MPI) wurde im März 1998 von einem Netzwerk internationaler BürgerInnen-Organisationen gegründet. Die MPI ist eine zielgerichtete Kampagne, die die Führer der Atomwaffenstaaten aufklären und dazu ermutigen will, aus der Denkweise des Kalten Krieges auszubrechen, sich unverzüglich zu praktischen Schritten zur Verringerung der Gefahren zu verpflichten - einschließlich des Verzichts auf den Ersteinsatz und die Aufhebung der Alarmbereitschaft sämtlicher Nuklearstreitkräfte - und mit Verhandlungen zur vollständigen Abschaffung der Atomwaffen zu beginnen. Die MPI hilft bei der Mobilisierung einflussreicher mittelgroßer Staaten, um den politischen Willen zu fördern, der Voraussetzung ist für die Schaffung einer atomwaffenfreien Welt. Zur Aufklärungskampagne der MPI gehören Seminare, Publikationen und Beratungen mit Regierungen und BürgerInnen-Organisationen. Unter dem Vorsitz von Senator Douglas Roche, dem ehemaligen Botschafter Kanadas bei der Genfer Abrüstungskonferenz, wird die Kampagne von einem internationalen Steuerungskomitee geleitet. Die Geschäftsstelle der MPI befindet sich in der Zentrale der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges in Cambridge/Massachusetts in den USA.
Zur MPI gehören alle großen internationalen Friedensbewegungen:
  • International Association of Lawyers against Nuclear Arms (IALANA)
  • International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility (INES)
  • International Peace Bureau (IPB) - Friedensnobelpreisträger 1910
  • International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) - Friedensnobelpreisträger 1985
  • Nuclear Age Peace Foundation
  • Parliamentarians for Global Action
  • State of the World Forum
  • Women's International League for Peace and Freedom (WILPF)

Appell der Middle Powers Initiative

Die internationale Kampagne Middle Powers Initiative (MPI) hat große Bedenken, dass die internationale Gemeinschaft ein wirksames Nichtverbreitungsregime aufrechterhalten kann, obgleich sich die Rüstungskontrolle und die Nichtverbreitung momentan in einer schweren Krise befinden. Die Überprüfungskonferenz 2000 des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) wird zur Nagelprobe, ob die internationale Gemeinschaft die Kraft hat, das Nichtverbreitungsregime zu retten. Gelingt dies nicht, hätte das schwere Auswirkungen auf das internationale System: die Instabilität würde sich verstärken und das Potenzial für nukleare Proliferation, Terrorismus und sogar Krieg würde steigen.

Botschafter George Bunn, ehemaliger US-Botschafter bei der Genfer Abrüstungskonferenz und ein Verhandlungsführer für den NVV, erläuterte kürzlich einige Punkte, die Auswirkungen auf das Nichtverbreitungsregime haben:
"Das Nichtverbreitungsregime stand 1998 vor etlichen Herausforderungen: Indien und Pakistan führten Atomwaffentests durch. Diese beiden Länder sowie Iran und Nordkorea testeten Mittelstreckenraketen. Irak widersetzte sich den Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, die die vollständige Offenlegung all seiner Bemühungen zum Erwerb von Massenvernichtungswaffen fordern. Und in Russland werden Atomwaffen der staatlichen Kontrolle entzogen und die Wirtschaft bricht zusammen. Damit nicht genug, wurde die Stabilität des Nichtverbreitungsregimes durch Ereignisse des Jahres 1999 noch weiter gefährdet: Die Beziehungen der Vereinigten Staaten mit China und Russland haben sich infolge der Bombardierung Jugoslawiens durch die Nato drastisch verschlechtert. Zusätzlich wurden die Beziehungen mit China dadurch belastet, dass China von den USA der Nuklearspionage beschuldigt wurde. Und Taiwan hat angekündigt, dass es ein von China unabhängiger Staat sei, obwohl es bislang die chinesisch-amerikanische Sprachregelung von ,einem China' akzeptiert hatte. Eine deutliche Bedrohung des Regimes ergab sich auch aus dem Patt, im dem die Rüstungskontrollverhandlungen in der russischen Duma und im US-Senat stecken. Außerdem bedeutet die Präferenz der USA für den Aufbau eines nationalen Raketenabwehrsystems eine Änderung der US-Politik. Das gleiche gilt für den russischen Entschluss, zur Verteidigung gegen einen konventionellen Angriff eine neue Generation kleiner Atomwaffen zu entwickeln." Dieser Problemliste muss noch hinzugefügt werden, dass der US-Senat sich geweigert hat, das Umfassende Teststoppabkommen (CTBT) zu unterzeichnen.

In der MPI-Analyse kommt einigen Punkten besondere Bedeutung zu:
  1. Nukleare Abrüstung und Proliferation sind eng miteinander verwoben - nicht nur in Artikel VI des NVV sondern auch in der Einschätzung der Vertreter fast aller Nicht-Atomwaffenstaaten, die nicht mit den Atomwaffenstaaten verbündet sind oder unter deren direktem Einfluß stehen. Die weitere Verbreitung von Atomwaffen wird sich nicht verhindern lassen in einer Welt, in der die Atomwaffenstaaten weiterhin eine Politik vertreten und machen, die Atomwaffen als einen "Grundpfeiler" oder "von wesentlicher Bedeutung" für ihre Sicherheit einstuft.
  2. Das Nichtverbreitungsregime wird sich zunehmend auflösen, wenn die Atomwaffenstaaten ihrer eindeutigen Verpflichtung nicht gerecht werden, sofort zügige Verhandlungen mit dem Ziel der nuklearen Abrüstung aufzunehmen. Das ist die Minimalvoraussetzung für das Überleben eines wirksamen Nichtverbreitungsregimes. Dieser Schritt würde die Rechtsstaatlichkeit stärken und die Politik in Einklang mit dem einstimmig verabschiedeten Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes bringen. Außerdem wäre ein solcher Schritt Ausdruck für eine gesunde Moral und würde dem drängenden Wunsch einer großen Mehrheit der Menschheit gerecht werden.
  3. Mit dem Ende des Kalten Krieges öffnete sich das Fenster der Gelegenheit, die Welt von der nuklearen Bedrohung zu befreien. Dieses Fenster ist nur noch einen kleinen Spalt offen. Und wird nur dann offen bleiben, wenn die Führung der Atomwaffenstaaten weit über ihre momentan vorherrschende politische Einstellung hinausgeht.
  4. Die Prinzipien und Ziele, die auf der Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz 1995 des NVV verabschiedet wurden, spielen bei der Überprüfungskonferenz 2000 eine Schlüsselrolle. Diese Prinzipien und Ziele riefen dazu auf
    • bis 1996 ein Umfassendes Teststoppabkommen abzuschließen,
    • mit Verhandlungen über ein Verbot der Produktion von spaltbaren Materialien (FMCT) zu beginnen und diese zügig zum Abschluss zu bringen und
    • mit Entschiedenheit systematische und anhaltende Anstrengungen zur globalen Abrüstung von Atomwaffen zu unternehmen mit dem Ziel ihrer vollständigen Abschaffung.
      Von diesen Punkten wurde lediglich der Abschluss des Umfassenden Teststoppabkommens im Jahr 1996 erreicht. Aber auch dieser Vertrag ist noch nicht in Kraft getreten. Außerdem versetzte die Weigerung des US-Senats von 1999, der Ratifizierung zuzustimmen, dem Vertrag einen schweren Schlag. In Bezug auf die FMCT-Verhandlungen sind nicht die geringsten Fortschritte zu verzeichnen. Und die Behauptungen der Atomwaffenstaaten bezüglich ihrer "Entschiedenheit" werden dadurch konterkariert, dass sie bei den Start-Verhandlungen keine Fortschritte erzielten, Verhandlungen über nukleare Abrüstungen in sämtlichen internationalen Gremien behinderten und sich für ihre Sicherheit sowie der ihrer Verbündeten nach wie vor auf ihre Atomwaffenarsenale verlassen.

    1.1 Nukleare Abrüstung

    Die Verpflichtung der Atomwaffenstaaten zur nuklearen Abrüstung sollte bei der Überprüfungskonferenz 2000 des NVV besonders thematisiert werden. Das Abschlussdokument (Revised Working Paper) des Vorsitzenden der Vorbereitungskonferenz 1999 für den NVV, das am 20. Mai 1999 vorgelegt wurde, ruft die Atomwaffenstaaten dazu auf, ihre "eindeutige Verpflichtung zur vollständigen Abschaffung von Atomwaffen und in diesem Sinne ihre Zustimmung, energisch systematische und anhaltende Anstrengungen zur globalen Abrüstung von Atomwaffen zu unternehmen", erneut anzuerkennen.

    Die Erfolgsbilanz der Atomwaffenstaaten wird in New York genau überprüft werden. So z. B. die Einstellung der USA, dass die bislang erzielte Abrüstung - beispielsweise die Verschrottung von mehr als 80 Prozent ihrer taktischen Atomsprengköpfe und von 47 Prozent ihrer stationierten strategischen Gefechtsköpfe sowie die fortgesetzten bilateralen Verhandlungen gemäß dem Start-Prozess - Beweis für das Ende des nuklearen Wettrüstens sei und zur Erfüllung der Verpflichtungen aus Artikel VI ausreicht. Das Vereinigte Königreich wird außerdem auf seine Ankündigung von 1998 verweisen, dass es sein Atomwaffenarsenal um mehr als ein Drittel auf weniger als 200 Gefechtsköpfe reduziert und die Zeit, die zwischen einem Einsatzbefehl und der Einsatzbereitschaft seiner Trident-U-Boote erforderlich ist, von Stunden auf Tage heraufgesetzt hat.

    Diese Absenkung der Nuklearstreitkräfte ist sehr willkommen, es gibt aber keine vergleichbaren Fortschritte in Russland, Frankreich und China. Außerdem wird der Stellenwert von Atomwaffen seit 1995 wieder stärker betont. In der Presidential Decision Directive 60 betonten die USA 1997, dass sie Atomwaffen auch weiterhin als "Grundpfeiler" ihrer Sicherheitspolitik ansehen. Die Nato bestätigte auf ihrem Washingtoner Gipfel im April 1999, dass Atomwaffen in ihrem Strategischen Konzept "auch weiterhin eine wesentliche Rolle zukommt", allerdings hat das Bündnis auf Drängen von Kanada, Deutschland und Norwegen vergangenen Dezember im Prinzip einer internen Überprüfung seiner Nuklearpolitik zugestimmt. Japan und Australien betonten ihre Abhängigkeit vom sogenannten "nuklearen Schutzschirm" der USA. Während Polen, Ungarn und die Tschechische Republik der Nato beigetreten sind und andere mitteleuropäische und baltische Staaten die Mitgliedschaft beantragt haben, unterzeichnete Belarus (Weißrußland) einen bilateralen Vertrag, der seine Abhängigkeit vom "nuklearen Schutzschirm" Russlands erneuert.

    Im Januar 2000 veröffentlichte Russland eine Neufassung seiner nationalen Sicherheitspolitik, in der offensichtlich die Schwelle für einen Atomwaffeneinsatz gesenkt wird: Russland warnt davor, dass es auf einen nicht näher bezeichneten bewaffneten Angriff bei Versagen aller anderen Konfliktlösungsmöglichkeiten auch mit einem nuklearen Angriff antworten könnte, und bestätigte, dass es sich - wie das auch die Nato tut - die Option eines Ersteinsatzes von Atomwaffen offen hält. Nur China hält daran fest, dass es Atomwaffen nicht als erstes einsetzen wird. Die russische Duma hat Start II immer noch nicht ratifiziert (Anm. d. Red.: der Appell wurde formuliert, bevor die Duma dann doch am 14. April diesen Jahres die Ratifizierung beschlossen hat), und bei den Start-III-Verhandlungen zwischen den USA und Russland sind keinerlei Fortschritte zu erkennen. Inzwischen haben sich Indien und Pakistan offen zu Atomwaffenstaaten erklärt und weigern sich weiterhin, dem NVV beizutreten. Obendrein wollen die USA möglichst schnell eine Nationale Raketenabwehr (NMD) stationieren, was sowohl den Bestand des Raketenabwehrvertrags (ABM-Vertrag) gefährdet als auch Fortschritte bei den bilateralen Verhandlungen über eine Abrüstung strategischer Waffen behindert. Dieser Einbruch des bilateralen Abrüstungsprozesses untergräbt das Nichtverbreitungsregime weiter und kann auch dazu führen, dass das internationale Vertrauen in Rüstungskontrollverhandlungen insgesamt sinkt. Sowohl Russland als auch China haben deutlich gemacht, daß die Stationierung eines NMD-Systems ein neues Wettrüsten mit offensiven Atomwaffen auslösen würde. Und China hat sogar schon mit der Modernisierung seines Atomwaffenarsenals begonnen. Überdies behindert die Stationierung eines Raketenabwehrsystems unzweifelhaft eine deutliche Reduzierung der strategischen Streitkräfte - selbst dann, wenn es zu einem bilateralen Kompromiss in Bezug auf Start und NMD kommen sollte.

    Fast alle Nicht-Atomwaffenstaaten, die nicht mit einem Atomwaffenstaat verbündet sind oder unter seinem direkten Einfluß stehen, glauben, dass es den Atomwaffenstaaten am politischen Willen fehlt, ihre Verpflichtungen aus dem NVV angemessen zu erfüllen. Außer in den nächsten Monaten werden sichtbare Schritte unternommen und überzeugen die Nicht-Atomwaffenstaaten vom Gegenteil, wird dieses Thema bei der NVV-Überprüfungskonferenz unvermeidbar zum Konflikt führen. Jayantha Dhanapala, stellvertretender UN-Generalsekretär der Vereinten Nationen, umriss am 12. Januar 2000 bei einer Rede am Zentrum für internationale Sicherheit und Zusammenarbeit in Stanford/USA, welche Schritte ergriffen werden müssten, um diese Gefahr abzuwenden: "Das heißt, daß die Atomwaffenstaaten mit neuen Initiativen beweisen, dass sie ihren Verpflichtungen zur Abrüstung aus dem NVV ernsthaft und in gutem Glauben nachkommen. Das heißt, dass das Umfassende Teststoppabkommen und der Start-II-Vertrag möglichst schnell in Kraft treten. Das heißt, dass Start III möglichst rasch abgeschlossen wird und tiefe Einschnitte in die Atomwaffenarsenale vereinbart sowie deutliche Fortschritte bei der Offenlegung von Atomwaffenarsenalen und atomwaffenfähigen Materialien erzielt werden.

    Das heißt, dass die Atomwaffenstaaten möglichst schnell übereinkommen, ihre Arsenale aus der Alarmbereitschaft zu nehmen - das empfahl die Canberra-Kommission übrigens schon vor Jahren - und auf die Ersteinsatzdoktrin zu verzichten sowie alle taktischen Atomwaffen zu vernichten. Das heißt, dass bei der Abrüstungskonferenz in Genf Unterausschüsse zur nuklearen Abrüstung und zu spaltbaren Materialien eingerichtet werden. Das heißt, dass der ABM-Vertrag als Grundlage für die strategische Stabilität beibehalten wird."

    1.2 Universelle Bedeutung

    Indien, Pakistan und Israel müssen dem NVV erst noch beitreten. Israel und Pakistan - beide führten 1998 Atomwaffentests durch - haben wiederholt erklärt, dass sie auf Atomwaffen verzichten würden, wenn von Seiten der offiziellen Atomwaffenstaaten deutliche Fortschritte bezüglich ihrer Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung zu erkennen wären. Israel, das nach Ansicht zahlreicher Experten über mehr als 200 Atomwaffen verfügt, äußert sich nach wie vor nicht eindeutig zu diesem Thema.

    Von den anderen Atomwaffenstaaten wurde auch kein Druck auf Israel ausgeübt, sein Atomwaffenarsenal aufzugeben. Wenn aber die Atomwaffenstaaten ihre Politik bezüglich der nuklearen Abrüstung nicht deutlich ändern, ist auch in diesem Bereich nicht mit Fortschritten zu rechnen.

    1.3 Sicherheitsgarantien

    Die negativen Sicherheitsgarantien der Atomwaffenstaaten - das heißt die Zusagen, gegen einen Nicht-Atomwaffenstaat keine Atomwaffen einzusetzen und auch nicht mit dem Einsatz zu drohen - bleiben für die Nicht-Atomwaffenstaaten schwach und unzureichend. Das Abschlussdokument des Vorsitzenden der Vorbereitungskonferenz 1999 für den NVV ruft dringend dazu auf, "rechtlich bindende negative Sicherheitsgarantien abzugeben, die den Schutz der Atomwaffenstaaten vor dem Einsatz von oder der Drohung mit Atomwaffen sicherstellen".

    Negative Sicherheitsgarantien waren fester Bestandteil des Handels, dem die Atomwaffenstaaten im Austausch gegen die unbegrenzte Verlängerung des NVV im Jahr 1995 zugestimmt haben. Allerdings steht die Sicherheitsdoktrin sowohl der Nato als auch Russlands im Widerspruch zu diesen Versprechen.

    Darüber hinaus behalten sich die westlichen Atomwaffenstaaten mehrdeutig das Recht vor, Atomwaffen zur Abwehr eines Angriffs mit biologischen oder chemischen Waffen einzusetzen, wenn dadurch ihre elementaren Interessen irgendwo auf der Erde verletzt würden. Dadurch werden die Garantien von 1995 noch weiter abgeschwächt, und es werden im Widerspruch zu Artikel VI des NVV alte Begründungen zur Beibehaltung von Atomwaffen auf unabsehbare Zeit neu belebt und neue gefunden.

    1.4 Sicherungsmaßnahmen

    Das Nichtverbreitungsregime beruht darauf, dass die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) Sicherungsmaßnahmen gegen die Abzweigung von spaltbaren Materialien für Atomwaffen durchführt. Diese Maßnahmen müssen erheblich gestärkt und für alle Länder - einschließlich der Atomwaffenstaaten - bindend werden, wenn sie effektiv verhindern sollen, dass spaltbare Materialien für Waffenprogramme abgezweigt werden.

    1.5 Naher Osten

    Der Nahe Osten gilt als besonders labil. Mit Ausnahme von Israel haben sämtliche Staaten dieser Region den NVV unterzeichnet. Das Abschlussdokument des Vorsitzenden der Vorbereitungskonferenz 1999 für den NVV ruft Israel dazu auf, "dem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten und sämtliche Nukleareinrichtungen sofort und ohne Einschränkungen unter umfassende Sicherungsmaßnahmen der IAEA zu stellen".

    1.6 Schlussfolgerungen

    Die Enttäuschung der meisten Nicht-Atomwaffenstaaten, darunter auch der meisten Mitglieder der New Agenda Coalition, ist hoch und wächst weiter, da sie feststellen müssen, dass die Atomwaffenstaaten ihren Verpflichtungen aus dem NVV nicht gerecht werden. Diese Verpflichtungen wurden bei der Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz 1995 des NVV durch die dort vereinbarten Prinzipien und Ziele erneut bestätigt. Diese Enttäuschung untergräbt die Unterstützung für den NVV und könnte sogar dazu führen, dass einige Nicht-Atomwaffenstaaten darüber nachdenken, den Vertrag aufzukündigen.

    Für die globale Sicherheit ist es von größter Bedeutung, dass der NVV gerettet wird, bis Verhandlungen über ein umfassendes Konzept für die Abschaffung sämtlicher Atomwaffen stattgefunden haben. Da der NVV auch für die Sicherheit der Atomwaffenstaaten äußerst wichtig ist, müssen die Atomwaffenstaaten demgemäß ohne Wenn und Aber ihre Verpflichtungen aus Artikel VI des NVV erfüllen.

    In diesem Sinne ruft die Middle Powers Initiative die Atomwaffenstaaten zu folgenden Schritten auf:
    1. Sie sollen eindeutig bestätigen, dass es rechtlich bindende Verpflichtungen gibt, in gutem Glauben Verhandlungen über die Abschaffung von Atomwaffen zu führen und diese Verhandlungen mit Nachdruck zum Abschluss zu bringen.
    2. Sie sollen deutliche Schritte unternehmen, um die Abhängigkeit der einzelnen Staaten und der jeweiligen Militärbündnisse von den Atomwaffen zu reduzieren und damit den Stellenwert dieser Waffen zu verringern. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass sie die ständige Einsatzbereitschaft der Atomwaffen herabsetzen, auf den Ersteinsatz verzichten, rechtlich bindende Abkommen zum Schutz der Nicht-Atomwaffenstaaten vor einem Atomwaffeneinsatz abschließen, und eine Selbstverpflichtung eingehen, keine neuen Atomwaffen zu konstruieren oder zu entwickeln.
    3. Sie sollen anerkennen, dass das NVV-Regime nicht auf Ewig aufrechterhalten werden kann, wenn einige Staaten darauf bestehen, dass sie durch Atomwaffen eindeutige Sicherheitsvorteile haben, anderen Staaten aber das Recht auf diese angeblichen Vorteile absprechen.
    4. Sie sollen ein internationales Bilanzierungssystem für sämtliche Atomwaffen und spaltbaren Materialien einführen und Verhandlungen über einen überprüf- und erzwingbaren Vertrag über ein Produktionsverbot von spaltbaren Materialien (FMCT) aufnehmen.
    5. Sie sollen das Umfassende Teststoppabkommen (CTBT) unterzeichnen und bestätigen, dass sie den Raketenabwehrvertrag (ABM-Vertrag) von 1972 einhalten werden.
    6. Sie sollen öffentlich zugeben, dass die moralisch und rechtlich unhaltbare nukleare Abschreckungsdoktrin, die Millionen unschuldiger Leben mit der Vernichtung bedroht, kein Schutz vor der Gefahr durch Atomwaffen bietet, vor allem nicht vor der Bedrohung durch terroristische Regime oder Gruppen, durch unbeabsichtigte oder nicht autorisierte Raketenstarts, durch Computerfehler, durch skrupellose Kriminelle sowie durch andere unvorhersehbare und irrationale Szenarien. Atomwaffen sind für keinen Staat ein zulässiges Mittel zur Aufrechterhaltung seiner nationalen Sicherheit. Übersetzung: Regina Hagen für die Frankfurter Rundschau

      Zu weiteren Beiträge über Atomwaffen und atomare Abrüstung:

      Atomwaffen

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