Keiner soll leiden wie die Hibakusha
Tadatoshi Akiba: Drohung mit atomarem Terror ist unvereinbar mit dem Völkerrecht
Dr. Tadatoshi Akiba war von 1990 bis
1999 für die Sozialdemokratische
Partei Mitglied des japanischen Abgeordnetenhauses,
von 1999 bis 2011
war er Bürgermeister von Hiroshima
und Präsident der Weltkonferenz der
Organisation Mayors for Peace (Bürgermeister
für den Frieden), der mehr
als 3000 Städte angehören. Seit August
2012 ist Akiba Vorsitzender der
»Middle Powers Initiative« (MPI). Für
»nd« befragte ihn Hubert Thielicke.
Worin sehen Sie heute das besondere
Vermächtnis, das Hiroshima
der Welt vermittelt?
Vor mehr als 67 Jahren wurde die
nukleare Gefahr in Hiroshima
schreckliche Realität. Für die Hibakusha,
die Überlebenden, war
das die Hölle auf Erden. Deshalb
ihre Botschaft: Kein anderer soll
leiden, wie wir es mussten. Das
geben sie an die Jugend weiter, an
die Weltöffentlichkeit. In Hiroshima
haben wir die Organisation
Bürgermeister für den Frieden gegründet,
zu der auch Berlin gehört.
Mit ihren Initiativen setzt sich die
Bewegung, die immerhin mehr als
eine Milliarde Bürger repräsentiert,
für nukleare Abrüstung ein.
Wir müssen die Kernwaffen vernichten,
bevor sie uns vernichten.
Hierin sehe ich auch meine Aufgabe
als neuer Vorsitzender der
Middle Powers Initiative.
Welche Ziele verfolgt Ihre Kampagne?
Wir fördern den Dialog zwischen
Experten über die nukleare Abrüstung
und kooperieren mit Regierungen
und Diplomaten, bringen
sie in Kontakt mit nichtstaatlichen
Organisationen. Damit wollen
wir zur Formulierung von Konzepten
beitragen, die uns einer
kernwaffenfreien Welt näher
bringen. So haben wir vor der
Konferenz zur Überprüfung des
Kernwaffensperrvertrages im
Jahre 2010 in mehreren Foren den
Artikel VI des Vertrages in den
Vordergrund gestellt. Darin geht es
um die Verpflichtung der Kernwaffenstaaten
zur Abrüstung. Das
trug dazu bei, dass die Konferenz
einen Aktionsplan verabschiedete.
Jetzt geht es uns darum, in Vorbereitung
auf die Überprüfungskonferenz
2015 die Bedingungen und
den Rahmen für eine kernwaffenfreie
Welt zu erörtern.
Wie läuft die Zusammenarbeit
mit den Staaten ab?
Unsere Delegationen sprechen mit
hochrangigen Regierungsvertretern,
die Einfluss auf Außen- und
Verteidigungspolitik haben, mit
Regierungschefs und Präsidenten.
Strategische Konsultationen dienen
dem inoffiziellen Gespräch mit
Experten, Diplomaten und anderen
Regierungsvertretern. Mit unseren
Informationspapieren versuchen
wir, Ideen zu entwickeln
und Empfehlungen zu geben.
Wie schätzen Sie die Bedingungen
für die nukleare Abrüstung
derzeit ein?
Es gibt jetzt ein günstiges globales
Umfeld für eine umfassende Aktion,
die zu einer nuklearen Nulllösung
führt. Dafür sprechen zwei
wichtige Faktoren: die relativ kooperativen
Beziehungen zwischen
den Schlüsselstaaten und das
wachsende weltweite Bewusstsein,
dass Kernwaffen nicht akzeptabel
sind. Die von US-Präsident Barack
Obama dargelegte Vision einer
kernwaffenfreien Welt ist ermutigend.
Wichtig auch, dass sich die
Staaten an die Grundverpflichtungen
der UN-Charta halten und auf
Aktionen verzichten, die Abrüstungsbemühungen
beeinträchtigen.
Worin sehen Sie die Haupthindernisse
für die nukleare Abrüstung?
Nach wie vor hält das nukleare Establishment
in den Kernwaffenstaaten
am Status quo fest, setzt
die Produktion und die Modernisierung
der Kernwaffen fort. Der
Kern des Problems ist das alte
Denken in Form der nuklearen
Abschreckung, also die Drohung
mit katastrophalen Folgen. Frieden
und die Zukunft der Menschheit
dürfen aber nicht von nuklearem
Terror abhängig gemacht
werden. Diese Drohung ist unvereinbar
mit dem Völkerrecht.
Welche Maßnahmen sind Ihrer
Meinung nach vordringlich?
Uns geht es um ein umfassendes
Herangehen an die nukleare Abrüstung.
Ausdruck dessen ist die
von nichtstaatlichen Organisationen
vor einigen Jahren vorgelegte
Kernwaffenkonvention. Sie zeigt
unser Ziel. Einzelnen Schritten wie
den Reduzierungsabkommen zwischen
den USA und Russland oder
dem umfassenden Teststoppvertrag
muss die Perspektive der
kernwaffenfreien Welt zugrunde
liegen. Macht man solche Teilschritte
voneinander abhängig,
verschiebt man das Ziel in die ferne
Zukunft. Entscheidend ist es,
den Prozess am Laufen zu halten.
Abrüstungsschritte dürfen auch
nicht von künstlichen Vorbedingungen
wie »erst Sicherheit, dann
Abrüstung« abhängig gemacht und
damit letztlich verhindert werden.
Das gegen Ende des Kalten Krieges
entwickelte Konzept der gemeinsamen
und kooperativen Sicherheit
muss zum Tragen kommen:
Sicherheit ist nicht gegen, sondern
nur mit der anderen Seite möglich.
Dazu, wie auch bei der nuklearen
Abrüstung insgesamt, bedarf es
eines starken politischen Willens.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 26. Februar 2013
Middle Powers Initiative (MPI)
Die 1998 gegründete MPI ist ein
Netzwerk von acht internationalen
Organisationen, die mit Regierungen
von »Mittelmächten«
zusammenarbeiten, um auf die
Kernwaffenstaaten zugunsten
praktischer Schritte der nuklearen
Abrüstung einzuwirken.
Als Mittelmächte betrachtet
die Kampagne politisch und
ökonomisch bedeutende und international
respektierte Staaten,
die auf eine Teilnahme am Nuklearwettrüsten
verzichtet haben.
Mit Unterstützung der MPI
und der Organisation Parlamentarier
für nukleare Nichtverbreitung
und Abrüstung (PNNI) fand
in der vergangenen Woche in
Berlin ein Forum über die Bedingungen
und den Rahmen für eine
kernwaffenfreie Welt statt. daran
nahmen Regierungsvertreter und
Parlamentarier aus fast 30 Staaten
und von nichtstaatlichen Organisationen
teil. H.T.
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