Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Schmutzige Kampagne

Angstmache vor der "schmutzigen Bombe": Atommächte wollen Nichtweiterverbreitungsvertrag ausweiten. Dabei könnten sie erst einmal selbst abrüsten

Von Inge Höger und Paul Grasse *

In New York beginnt heute turnusgemäß die vierwöchige Überprüfungskonferenz für den nuklearen Nichtweiterverbreitungsvertrag (Treaty on the Nonproliferation of Nuclear Weapons - NPT). Deutschland will dort zum Erhalt und Ausbau des Atomwaffensperrvertrags beitragen und Anpassungen dort forcieren, wo es »neue Bedrohungen« gibt, wie es in Regierungskreisen heißt. Dazu gehöre vor allem die Aufwertung des Zusatzprotokolls von 1997, das intensivere Kontrollen durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) erst möglich macht. Von CDU bis Bündnis 90/Die Grünen scheint Konsens zu sein, daß man alle NPT-Vertragsstaaten drängen müsse, dieses Protokoll zu unterzeichnen. Im Kontext der Drohungen gegen den Iran, der von der Ergänzungserklärung 2006 zurückgetreten ist, kann diese Forderung leicht zur Rechtfertigung für einen Angriffskrieg werden. Das 97er Protokoll wird instrumentalisiert, obwohl die USA und mehrere Staaten der EU es von vornherein nicht unterzeichnet haben.

Die NPT-Konferenz kann nicht losgelöst vom »Gipfel für Nuklearsicherheit« im vergangenen Monat in Washington betrachtet werden. In dessen Rahmen arbeitete die BRD vor allem darauf hin, die Kontrolle allen nuklearen Materials zu erreichen. Der Nichtweiterverbreitungsvertrag, verschiedene andere Konventionen und Resolutionen, aber auch die IAEA - all das möchte die Bundesregierung unter einem Dach vereinen. Der Fokus soll in Zukunft eher darauf gelegt werden, daß unter dem Vorwand der Gefahr einer schmutzigen Bombe Terroristen und »Schurkenstaaten« keinen Zugang zu nuklearem Material erhalten. Da dies alle radioaktiven Substanzen betrifft, die in Medizin und Industrie verwendet werden, würde die Umsetzung der »nuklearen Sicherheit« die Rechte, die der NPT zur friedlichen Nutzung von Atomkraft vorsieht, stark einschränken. Perspektivisch soll die zivile Anwendung entsprechender Technologien dadurch von der Einbindung in einen geschlossenen internationalen Brennstoffkreislauf abhängig und damit zu einem politischen Privileg werden. Deshalb hat der Iran auf die Anreicherung im Ausland verzichtet und ist 2006 vom NPT-Zusatzprotokoll zurückgetreten.

Offizielle Begründung für den akuten Handlungsbedarf in Sachen nuklearer Sicherheit ist die Bedrohung europäischer und nordamerikanischer Innenstädte durch »Nuklearterroristen«. US-Präsident Barack Obama spricht davon, daß »der Nuklearterrorismus die größte Einzelgefahr für die Sicherheit der Welt« ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betont, daß es sich hier nicht bloß um eine hypothetische Annahme handelt. Dabei werden bewußt zwei Dinge in einen Topf geworfen: Die Strahlung, die von einer schmutzigen Bombe ausginge, wird absichtsvoll mit der Wirkung eines nuklearen Anschlags gleichgesetzt.

Tatsächlich gibt es keine hundertprozentige Kontrolle über waffenfähiges Uran und Plutonium. Zwar stellt der NPT ein Regelwerk für Weitergabe und Nutzung militärischen und zivilen Wissens über Bomben bzw. Kraftwerke dar. Im wesentlichen geht es um die Einschränkung militärischer Verwendung, während gleichzeitig für die Weiterverbreitung aller Komponenten zivilen Gebrauchs der Atomkraft geworben wird. Der Erfolg des Kontrollregimes wird auf unregelmäßig stattfindenden Überprüfungskonferenzen evaluiert. Der NPT wird jedoch ständig unterlaufen: So erlaubt die »nukleare Teilhabe« Piloten der Bundeswehr, im Krisenfall US-amerikanische Atombomben abzuwerfen. Auf dem Balkan, im Irak und in Afghanistan ist radioaktive DU-Munition zum Einsatz gekommen. Die USA entwickeln zielstrebig Miniatomwaffen zum »Bunkerbrechen«. Ohnehin ist es zynisch, daß gerade der Staat, der als einziger bislang Atomwaffen gegen Zivilisten eingesetzt hat und dies auch heute nicht ausschließt, sich zum Gralshüter aufschwingt. Nebenbei arbeiten die USA zusammen mit rund zwei Dutzend Staaten im Rahmen eines »Global Nuclear Energy Projects« an der Entwicklung neuer Atomkraftwerke. Diese »IV. Generation« soll mit Brennstäben arbeiten, die sich nicht zur Wiederanreicherung eignen.

Option Eigenbau

Weltweit gibt es rund 1500 Tonnen hochangereichertes Uran und 600 Tonnen Plutonium. Nach Angaben der IAEA sind seit 1993 ganze acht Kilogramm hochangereichertes Uran »verschwunden«. Selbst diese Menge reicht bei weitem nicht für eine Atomwaffe. Die Option Eigenbau wie die Möglichkeit, daß Terroristen eine Bombe stehlen und benutzen könnten, schätzen sowohl die Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) als auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als verschwindend gering ein. Für eine nukleare Explosion bräuchte man angereichertes, waffenfähiges Uran oder Plutonium, großes technisches Wissen und eine leistungsfähige industrielle Infrastruktur.

Anders ist es mit der »schmutzigen Bombe« - kurz: USBV-A, für »Ukonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung-Atomar«. Die wird, im Unterschied zu einer Nuklearwaffe, auch »radiologische Bombe« genannt. Sie besteht aus einer Sprengladung, kombiniert mit einer beliebigen Menge radioaktiven Materials. Dabei kann es sich um medizinisch oder industriell genutzte Isotope handeln, oder einfach um Atommüll. Die Bundeswehrzeitschrift aktuell erwähnt als Beispiel ausschließlich Materialien, die von Krankenhäusern und Forschungslaboren genutzt werden. Dieses radioaktive Material muß mittels der Sprengladung möglichst fein pulverisiert und verteilt werden, um eine Wirkung zu erzielen.

Anders als Merkel und Obama ist das Strahlenschutzamt überzeugt, daß »die radiologischen Gefahren einer schmutzigen Bombe (...) überschätzt werden«, so der damalige BfS-Präsident Wolfram König 2006. Auf diese »beschränkten radiologischen Folgen« sei Deutschland bestens vorbereitet, meinte König weiter. Ein aktueller Bericht seiner Behörde warnt vor allem vor den »psychosozialen Effekten«, die sich aus der Assoziation eines solchen Sprengsatzes mit Kernwaffen ergäben: Panik und Hysterie. Diesen Ängsten müsse die Politik durch vorsorgliche Information über die »begrenzte Gefahr«, die von dem Sprengsatz ausgehe, vorbeugen. In der Praxis geschieht jedoch genau das Gegenteil: Die Gleichsetzung »schmutziger« Bomben mit Nuklearwaffen wird bewußt betrieben. Als Gegenmaßnahmen bei eingetretener Kontamination, die das Krebsrisiko erhöhen kann, empfiehlt die HSFK im übrigen »das schnelle Entfernen vom Explosionsort, das Ablegen kontaminierter Kleidung und eine Dusche«.

Neben dem BfS scheinen auch »Terroristen« Zweifel an der Effektivität »schmutziger« Bomben zu haben. So berichtete 2004 u.a. der US-Physiker Richard Muller, daß das Angebot eines Gangsters an Al-Qaida, in den USA eine solche Bombe zu zünden, mangels Wirksamkeit von letzterer abgelehnt wurde. Der irakische Präsident Saddam Hussein wiederum ließ 1987 Tests mit »schmutzigen« Bomben einstellen, weil sie schlecht funktionierten. Tschetschenische Rebellen, die 1995 ein wenig Cäsium in Moskau vergruben, zogen einen Anruf bei den Medien einer Sprengung des Stoffes vor.

Das Ziel der Verwischung von Grenzen zwischen ziviler und militärischer Nutzung ist es, den zivilen Gebrauch radioaktiver Materialien perspektivisch einem genauso strikten Regime zu unterwerfen, wie der NPT das für die militärische Nutzung vorgibt zu tun. Die BRD strebt an, eine Art Sperrvertrag inklusive Sanktionsmöglichkeiten auch für alle zivilen Nutzungsmöglichkeiten nuklearer Derivate zu etablieren.

Grenze verwischen

Der Washingtoner Atomgipfel zur nuklearen Sicherheit hat kein völkerrechtlich bindendes Dokument hervorgebracht. Gleichwohl ist es gelungen, in der Öffentlichkeit die Gefahr real existierender Atomwaffen mit der Angst vor »schmutzigen« Bomben zu vermengen. Wenn jetzt allen klar ist, daß Nuklearterrorismus eine Bedrohung ist, dann war der Gipfel ein Erfolg, heißt es in Berlin. Der erste Schritt ist getan. Von der »freiwilligen« nuklearen Selbstkontrolle verbunden mit »Hilfsangeboten« an dritte Länder dabei bis zur »Sanktionsfähigkeit« ist es jedoch kein weiter Weg. Bei paralleler Aufweichung der Definitionen von zivil und militärisch nutzbarem Material könnte dies z.B. dazu führen, daß die Belieferung von nichtstaatlichen Krankenhäusern womöglich eine Anklage nach sich zieht, die nach dem Willen einiger Staaten, u.a. der BRD, internationale Gerichte beschäftigen soll.

Nach einer Auskunft der Bundesregierung werden in den Kernkraftwerken der BRD jährlich 2,1 Tonnen spaltbares Plutonium hergestellt, bisher insgesamt 145 Tonnen. Die Partei Die Linke weist denn auch darauf hin, daß nur der Ausstieg aus der Atomkraft den Nachschub an waffenfähigem Spaltmaterial abschneiden kann.

Deutsche Staatsräson ist außerdem, daß die EU mit Frankreich, Atommacht bleibt. Paris wiederum lehnt Kontrollen strikt ab.

* Inge Höger (Die Linke) ist Mitglied im Verteidigungsausschuß des Bundestages. Paul Grasse ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter.

Aus: junge Welt, 3. Mai 2010



Zurück zur Seite "Atomwaffen"

Zurück zur Homepage