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Nix mit Abrüstung

Allein die USA geben jährlich mehr als 33 Milliarden Dollar für die Unterhaltung und Modernisierung ihres Atomwaffenarsenals aus

Von Reiner Braun *

Vom 30. April bis 11. Mai findet in Wien das Vorbereitungstreffen zur Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages (Nonproliferation Treaty Preparatory Committee – NPT PrepCom) statt. Die friedenspolitische Juristenvereinigung IALANA (International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms) und die Wissenschaftlervereinigung INES (International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility) begleiten den Gipfel mit einem Kongreß zur Abschaffung aller Atomwaffen (www.ialana.de).

Die »Weltuntergangsuhr steht auf fünf vor zwölf. Das Risiko eines Atomkrieges ist weiter hoch, höchste Aufmerksamkeit notwendig. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen: einer ist die Modernisierung der Atomwaffen, wie sie von allen offiziellen und inoffiziellen Nuklearmächten betrieben wird.

Die Vereinigten Staaten unterhalten nach dem neuen Start-Vertrag ein Arsenal von 1790 stationierten strategischen Atomsprengköpfen. Es handelt sich um Sprengköpfe auf Interkontinentalraketen (ICBM), ballistischen Raketen (SLBM), strategischen Bombern und U-Booten. Wartung und Erhalt kosten ungefür 31 Milliarden US-Dollar pro Jahr. In den kommenden vier Jahren wird das Pentagon 9,6 Milliarden US-Dollar zusäzlich zur Modernisierung ausgeben. Die Kosten für die Wartung und den Erhalt steigen somit auf über 33000000000 Dollar pro Jahr.

Modernisiert werden die bestehenden strategischen Trägersysteme und die Sprengköpfe. Diese Systeme werden in vielen Fällen mit vollständig neuen Teilen versehen; man kann mithin von einem neuen Typus von Atomwaffen sprechen.

Die US-amerikanischen nuklearen Trägersysteme unterliegen einer kontinuierlichen Modernisierung, einschließlich des kompletten Neubaus der Interkontinentalraketen »Minuteman III« und der ballistischen »Trident II«. Die Standzeiten der Trident-Klasse Ohio (ballistische Raketen-U-Boote) werden verlängert. Darüber hinaus wird ein neues U-Boot, das SSBNX, das die bestehende Ohio-Klasse der ballistischen Raketen-U-Boote ersetzen wird, gebaut. Diese Entwicklung wird voraussichtlich 96 Milliarden bis 101 Milliarden US-Dollar kosten. Die B-2, ein strategischer Bomber und relativ neues System, wird modernisiert, ebenso wie die B-52H Bomber. Die Air Force plant auch einen neuen Long Range Penetrating Bomber (LRPB) und einen neuen Marschflugkörper, der die luftgestützte Cruise Missile (ALCM) ersetzen soll.

»Atomare Triade«

Die United States Air Force besitzt derzeit 450 Interkontinentalraketen »Minuteman III«, stationiert auf Luftwaffenbasen in Wyoming (FE Warren Air Force Base), Montana (Malmstrom Air Force Base) und North Dakota (Minot Air Force Base). Die Modernisierung für die »Minuteman III«-Raketen sorgt unter anderem für eine und genauere Einsatz- und Zielkmöglichkeit sowie die Verbesserung der Trägersysteme und ihres Erhalts. Das Modernisierungsprogramm führt zu einer »neuen« Rakete mit erweiterten »Targeting«-Optionen und einer verbesserten Genauigkeit und Überlebensfähigkeit. Modernisiert werden auch die Atomsprengköpfe.

Die United States Navy besitzt derzeit 288 »Trident II«-D5-SLBM-der 12. Ohio-Klasse (ballistische Raketen-U-Boote)in Bangor, Washington (sieben Boote) und Kings Bay, Georgia (fünf Boote). Washingtons Kriegsmarine plant ab 2029, jedes dieser Boote zu ersetzen und mit neuen ballistischen Raketen sowie Atomsprengköpfen auszustatten.

Die United States Air Force besitzt derzeit 18 B-2 Spirit-Bomber auf der Whiteman Air Force Base in Missouri sowie 76 B-52H-Bomber auf der Minot Air Force Base in North Dakota und der Barksdale Air Force Base in Louisiana. Modernisiert wird das gesamte Arsenal. Entwickelt wird ein neuer Nuklearwaffen-tragender Langstreckenbomber (LRPB). Ständig modernisiert die Luftwaffe die B-2-Flotte. B-2 ist das Trägerflugzeug für die strategischen Bomben B61 und B83. Zudem wird die B-52H-Flotte, erstmals gebaut 1961, weiter entwickelt. Sie soll sowohl konventionell als auch atomar einsatzfähig sein, bestückt mit der modernisierten Version der Marschflugkörper ALCM.

Arsenal in der BRD

Noch immer lagern US-Atomwaffen in Deutschland, militärisch bedeutungslos aber gefährlich. Pläne für die Modernisierung dieser US-Atomwaffen in Büchel liegen im Pentagon bereit und ab 2017 sollen die alten Atomwaffen ersetzt werden. Ein Abzug der Relikte des kalten Krieges ist nicht geplant.

Im Haushaltsjahr 2010 der USA wurden schon 32,5 Millionen Dollar investiert, um zu untersuchen, wie atomare Fliegerbomben des Typs B61 modernisiert werden können. Weitere 15 Millionen Dollar werden zurzeit eingesetzt, nachdem die US-Regierung in ihrem Bericht zur Zukunftsplanung des US- Nuklearwaffenpotentials, dem Nuclear Posture Review, bestätigt, daß eine neue Bombe erforderlich ist. Ab 2018 soll sie verfügbar sein.

Weitere Nuklearmächte

Auch die Arsenale der anderen Atomwaffenmächte werden massiv und umfassend modernisiert. Erinnert sei nur an die aktuelle britische Debatte um die Modernisierung von »Trident«. Die Kosten für die neuen britischen Atom-U-Boote und die neue Generation von Atomwaffen betragen in den nächsten 20 Jahren mindestens 30 Milliarden Euro.

Frankreich beabsichtigt, für die Modernisierung seines Nuklearwaffenpotenzials bis 2018 insgesamt 17 Milliarden Euro auszugeben. Geplant sind u.a. die Inbetriebnahme eines vierten Atom-U-Boots der Thriomphard-Klasse, die Entwicklung einer neuen Atomrakete mit einer Reichweite bis zu 8000 Kilometern (M51) und ein umfassendes Simulationsprogramm zu Testzwecken.

Am 24. Februar 2012 erklärte der russische Regierungschef Wladimir Putin in einer Rede vor dem Parlament, daß sein Land neue Atomwaffen und hochpräzise konventionelle Waffen entwickelt. Moskau plant dabei die Einführung von 400 neuen strategischen Interkontinentalraketen und will seine Rüstungsanstrengungen in den nächsten zehn Jahren mit 580 Milliarden Euro finanzieren.

Bereits 2004 hat Putin eine neue Atomwaffe erwähnt. Es wird vermutet, daß eine Modifizierung der ballistischen Rakete »Topol-M« gemeint war. Eine mobile Version dieser Rakete, bestückt mit einem Mehrfachsprengkopf, wurde 2004 getestet und 2005 in Serie hergestellt. Sie könnte dann bereits innerhalb von zwei Jahren einsatzbereit sein. Topol-M-Raketen haben eine Reichweite von 9600 Kilometern. Des weiteren entwickelt Rußland angeblich eine Rakete, die 4,4 Tonnen Tragfähigkeit hat (herkömmliche nur 1,32 Tonnen) und damit bis zu zehn Sprengköpfe tragen kann. Außerdem will Rußland auch Bulava-Raketen (russische Bezeichnung 3M14, westliche Bezeichnung SS-NX-30) kaufen. Die Bulava entspricht der SS-27, wird aber anders als diese nicht von Silos oder Landfahrzeugen, sondern von U-Booten aus gestartet. Angekündigt wurde von Putin, als Reaktion auf die US-Raketenabwehrpläne aus dem Vertrag über nukleare Mittelstreckensystem (INF – Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty) von 1987 auszusteigen.

Auch China modernisiert seine Raketenstreitkräfte mit großem Aufwand. Vorrangig wird eine Reichweitensteigerung angestrebt. Seit 2005 kann die Volksrepublik mit einer leistungsgesteigerten DF-31-Rakete mit geschätzter Reichweite von ca. 8000 Kilometern nicht nur Rußland, sondern erstmals auch die Gebiete um Hawaii und Alaska bedrohen. Der atomare Gefechtskopf erreicht eine Treffgenauigkeit (CEP) von 300 bis 600 Meter. Bis 2010 soll eine verbesserte Df-31-A-Rakete Ziele bis 12000 Kilometer – und damit auch das Kernland der USA – erreichen können. Neben den landgestützten Raketensystemen besitzt China ein altes atombestücktes U-Boot (SSBN). China baut ein modernes U-Boot vom Typ 094 das bis zu 16 JL-2-Atomraketen mit einer Reichweite von ca. 8000 Kilometern an Bord haben soll. Wann dieses Boot einsatzbereit sein wird, ist unklar. Die chinesische Luftwaffe verfügt darüber hinaus über maximal 120 strategische Mittelstreckenbomber vom Typ H-6 zum Einsatz von Atombomben. Die H-6 wurde wiederholt zum Abwurf von Testbomben eingesetzt. In Ergänzung zu den strategischen Atomwaffen hält China auch eine nicht bekannte Anzahl an taktischen Atomwaffen einsatzbereit.

Vergessen werden sollte auch nicht die permanente Modernisierung der zirka 200 Atomwaffen Israels, deren Existenz das Land offiziell nicht einräumt.

Wie viel Not, Armut und Hunger könnten mit den weltweit für Atomwaffen ausgegebenen Geldern erfolgreich bekämpft werden?

* Reiner Braun ist Geschäftsführer von IALANA (Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen)

Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. April 2012



IPPNW-Studie: Hungersnot nach Atomkrieg

Ein regionaler Atomkrieg mit weniger als 100 Atomwaffen würde das Klima und die landwirtschaftliche Produktion so gravierend verändern, daß mehr als ein Milliarde Menschenleben gefährdet wären. Das ist das Ergebnis einer am Mittwoch veröffentlichten Studie der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW). Dr. med. Ira Helfand, Autor der Untersuchung »Hungersnot gefährdet eine Milliarde Menschen – globale Folgen eines regionalen Atomkriegs auf Landwirtschaft, Lebensmittelversorgung und menschliche Ernährung«, mahnt: »Die Ergebnisse der Studie belegen, daß auch relativ kleine atomare Arsenale – über die beispielsweise Indien und Pakistan verfügen – unser Ökosystem im Falle eines begrenzten Atomkrieges dauerhaft verändern können. Deswegen muß sich unser Denken über Atomwaffen grundlegend verändern.«

Helfand und eine Gruppe von Experten aus Landwirtschaft und Ernährungswissenschaft arbeiteten mit wissenschaftlichen Daten aus Studien zum regionalen Atomkrieg und Klimawandel. Sie fanden heraus, daß sinkende Temperaturen und reduzierte Niederschläge in Folge eines Atomkriegs in wichtigen landwirtschaftlichen Regionen den Anbau von Getreide, Mais und Reis gravierend stören und weltweit zur Nahrungsmittelknappheit und Preis­erhöhungen führen würden.

Die Studie wurde vom Schweizer Außenamt finanziert. Die wichtigsten Ergebnisse:
  • In den USA würden die Mais­ernten ein Jahrzehnt lang um durchschnittlich zehn Prozent geringer ausfallen. Bei Sojabohnen betrüge der Produktionsrückgang sieben Prozent.
  • Der chinesischen Reisproduktion würde zurückgehen. Während der ersten vier Jahre würde der Rückgang durchschnittlich 21 Prozent betragen; über die nächsten sechs Jahre hinweg läge die durchschnittliche Einbuße bei zehn Prozent.
  • Steigende Lebensmittelpreise würden Hunderte Millionen der ärmsten Menschen der Welt den Zugang zu Nahrung abschneiden. Selbst wenn die Agrarmärkte weiterhin normal funktionieren würden, wären innerhalb von zehn Jahren 215 Millionen Menschen unterernährt.
  • Eine signifikante, anhaltende Ertragsminderung könnte zu Panik und Hamsterkäufen führen und die verfügbare Nahrung weiter reduzieren.
  • Die weltweit 925 Millionen Menschen, die bereits chronisch unterernährt sind, konsumieren im Durchschnitt täglich 1750 Kalorien oder weniger. Selbst eine nur zehnprozentige Reduzierung ihrer Nahrungsaufnahme brächte diese Gruppe in Lebensgefahr.
Zusammenfassung der Studie auf deutsch und englische Langfassung: www.ippnw.de




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